Klärbecken der vierten Reinigungsstufe in Mörfelden-Walldorf

Hessen Super-Reinigungsstufe: Bach neben Kläranlage in Mörfelden-Walldorf erholt sich

Stand: 17.04.2025 15:39 Uhr

Seit fast zwei Jahren reinigt die Kläranlage Mörfelden-Walldorf das Wasser gezielt von Schadstoffen - wie etwa von Medikamenten-Rückständen oder Pestiziden. Sie hat dafür als eine von wenigen Kläranlagen in Deutschland eine vierte Reinigungsstufe. Wissenschaftler stellen schon jetzt fest: Der Bach neben der Kläranlage erholt sich.

Von Anna Vogel

Über eine kleine Schale gebeugt schauen Professor Jörg Oehlmann und Catalina Trejos Delgado, welche Tiere sie eben aus dem Geräthsbach gefischt haben. Seit drei Jahren untersuchen sie das Gewässer, in das das gereinigte Abwasser aus der Kläranlage Mörfelden-Walldorf (Groß-Gerau) eingeleitet wird.

Die Ökotoxikologen der Goethe-Universität in Frankfurt wollen herausfinden, wie sich die neue vierte Reinigungsstufe der Kläranlage nebenan auf das Ökosystem im Gewässer auswirkt. Dafür beobachten sie nicht nur den pH-Wert und den Sauerstoffgehalt im Wasser, sondern sie untersuchen auch, wie sich Organismen wie Schnecken und Bachflohkrebse entwickeln.  

Bedrohung für die Wasserqualität

In einer früheren Studie wies Jörg Oehlmann bereits bei 170 hessischen Kläranlagen einen Artenschwund nach. Demnach verschwanden 62 Prozent der Arten, die vor dem Einlauf des Kläranlagenwassers in einem Gewässer vorgekommen waren, in dem Bereich mit dem beigemischten Wasser.

Der Grund: Im Abwasser der meisten Kläranlagen sind noch kleinste Mengen an Schadstoffen, die nicht biologisch abbaubar sind. Das sind zum Beispiel Rückstände von Medikamenten, von Frostschutzmitteln oder Pestiziden. Die Stoffe werden Spurenstoffe genannt, weil ihre Dosis oft gerade einmal ein Millionstel oder Milliardstel Gramm pro Liter beträgt.

Die nachgewiesenen Spurenstoffen seien besorgniserregend, da die Menge dieser Substanzen auch in unserem Grundwasser zunimmt, so Oehlmann: "Insofern stellt das eine immer größere Bedrohung letztlich auch für unsere Wasserressourcen und die Qualität des Wassers dar." 

Kläranlage in Mörfelden-Walldorf bundesweit führend

In Mörfelden-Walldorf ist die Entscheidung für noch sauberes Wasser bereits vor mehr als zehn Jahren gefallen. Inzwischen hat die Stadt die bestehende Kläranlage für viele Millionen Euro sanieren lassen und auch eine vierte Reinigungsstufe eingebaut.

"Wir sind hier mit unserer Anlage deutschlandweit führend. Das bedeutet: Wir gewinnen auch Erfahrungen, die nachher alle anderen Kläranlagen in Deutschland übernehmen werden", sagte Mathias Stief, Leiter der Abteilung Abwasser bei den Stadtwerken in Mörfelden-Walldorf.

80 Prozent weniger Spurenstoffe

Die Kläranlage in Mörfelden-Walldorf macht da weiter, wo die meisten anderen Kläranlagen fertig sind. Nach der biologischen Reinigung wird das Wasser hier noch mit Ozon behandelt. Anschließend wird dem Wasser Aktivkohle beigemischt.

Durch die große Oberfläche der fein gemahlenen Aktivkohle haften die Spurenstoffe hier besonders gut und können schließlich zu rund 80 Prozent aus dem Wasser herausgefiltert werden, so Mathias Stief. "Was wir hier tun, ist Umweltschutz für die nächste Generation – zum Schutz unseres Trinkwassers." 

Ausbau deutschlandweit schleppend

Die EU fordert eine Nachrüstung der größten Kläranlagen um eine vierte Reinigungsstufe bis 2035. Laut Bundesumweltamt betrifft das 155 Kläranlagen. Zusätzlich sollen kleinere Kläranlagen wie die in Mörfelden-Walldorf dann eine vierte Reinigungsstufe bekommen, wenn sie zum Beispiel in einem Gebiet stehen, in dem Trinkwasser gewonnen wird. Laut Schätzungen der EU-Kommission betrifft das rund 664 deutsche Kläranlagen.

Eine hr-Umfrage bei allen Umweltministerien hat ergeben: Aktuell sind gerade einmal bei 61 deutschen Kläranlagen vierte Reinigungsstufen in Betrieb. Bei 71 ist ein Ausbau geplant. Die meisten davon stehen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

In Hessen haben außer der Kläranlage in Mörfelden-Walldorf auch die Kläranlage der Firma Merck in Darmstadt und die Kläranlage in Bickenbach eine entsprechende Reinigungsstufe, bei sechs weiteren Anlagen in Südhessen ist ein Ausbau geplant. 

Vierte Reinigungsstufe verursacht hohe Kosten

"Es müssten jetzt alle Kommunen nachziehen, das hessische Ried ist ein empfindliches Gebiet. Wir wissen, dass der Dreck durch den Sandboden sehr leicht versickert", meint Thomas Winkler (Grüne), der Bürgermeister von Mörfelden-Walldorf.

Allerdings weiß er auch um die Schwierigkeiten – denn allein die vierte Reinigungsstufe hat Mörfelden-Walldorf rund 11 Millionen Euro gekostet, von denen das Land Hessen mehr als sechs Millionen Euro übernommen hat.

Trotz Kosteneinsparungen beim Bau der Kläranlage ist es ein teures Großprojekt und die vierte Reinigungsstufe verursacht zusätzliche Kosten bei der Unterhaltung. All das macht sich seit diesem Jahr in gestiegenen Wasser- und Abwasserpreisen bei den Bürgern bemerkbar.  

Arten kehren zurück

Die Belohnung dafür kann Catalina Trejos Delgado aber schon jetzt im Labor unter dem Mikroskop an einer Schnecke sehen: "Da sind zwei Embryonen, das ist ein wichtiger Indikator für unsere Forschung." Die Fruchtbarkeit der Organismen am Geräthsbach hat sich schon wieder verbessert.

Auch Jörg Oehlmann verweist auf einen verbesserten Artenreichtum. "Viele empfindliche Arten sind jetzt hier wieder nachweisbar."

Das Ökosystem beginnt sich also langsam zu erholen. Bis die Unterschiede deutlicher werden, wird es aber vermutlich noch Jahre dauern. Denn bislang fließt auch noch das Wasser aus der Kläranlage Langen in den Geräthsbach – und die hat noch keine vierte Reinigungsstufe.