Hessen Nach Ampel-Aus: Hessen-FDP zwischen Aufbruch und Existenzangst
"Endlich hat der Spuk ein Ende!" So freut sich die Führung der hessischen FDP über das Zerbrechen der Ampel-Koalition im Bund und demonstriert Geschlossenheit. Die Angst vor dem finalen Abstieg der Partei ist damit noch nicht vertrieben.
Dass sie fast schon bedrückt wirke - den Eindruck wollte Wiebke Knell nicht gelten lassen. Das sei allenfalls einer "sehr kurzen Nacht" geschuldet, sagte die Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, als sie am Donnerstag in Wiesbaden mit anderen Spitzen der Landespartei vor die Presse trat.
"Heute ist Tag eins des Aufbruchs", verkündete Knell vielmehr. Und fügte an: "Ich bin erleichtert, dass dieser Spuk ein Ende hat." Am Vorabend hatte der Bruch zwischen ihrem Parteichef, Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der einen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der anderen Seite zum Ende der Ampel-Koalition von SPD, FDP und Grünen geführt.
Ob Knell, Co-Fraktionschef Stefan Naas oder Generalsekretär Moritz Promny: Es lag womöglich nicht nur an der Müdigkeit, wenn ihr Gesichtsausdruck mit der frohen Botschaft von der Aufbruchstimmung der Hessen-FDP für den nun aufziehenden Bundestagswahlkampf nicht korrespondieren wollte.
Für eine Partei geht es ums Ganze
Wer von ihnen von dem bösen Ende der Koalition bei der voraussichtlich im März anstehenden Neuwahl des Bundestages profitiert, weiß keine der beteiligten Ex-Ampel-Parteien. Oder ob überhaupt eine von ihnen. Aber anders als für SPD oder Grüne geht es für die FDP bei Umfragewerten auf Bundesebene von zuletzt stets unter fünf Prozent um die Existenz.
Beim ARD-DeutschlandTrend, für den Bürgerinnen und Bürger am Mittwoch kurz vor dem Ampel-Bruch befragt wurden, kam die FDP auf vier Prozent. 11,4 Prozent waren es noch bei der Bundestagswahl 2021 gewesen.
In dieser Lage haben viele hessische Liberale einen Befreiungsschlag herbeigesehnt, wie eine vor kurzem von Parteimitgliedern in Neu-Isenburg (Offenbach) gestartete bundesweite Initiative für ein Ampel-Aus zeigte. Als es jetzt auch ohne Befragung in Berlin final knallte, knallte es überraschend auch in den eigenen Reihen.
Wissing-Schock in Wiesbaden
Erst kurz vor dem eilig anberaumten Presse-Statement am Landtag erwischte die Parteispitze die Meldung kalt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing, bis dahin Vorsitzender der FDP im benachbarten Rheinland-Pfalz, verlässt die Partei. Er bleibt auf seinem Posten im Kabinett von Lindners neuem Intimfeind Scholz und übernimmt den frei gewordenen Posten des Justizministers gleich mit.
So stützt Wissing die Darstellung, durch die der SPD-Kanzler am Vorabend gegen Lindner in die Offensive kommen wollte: Ein verantwortungsloser FDP-Bundesvorsitzender stelle Parteiinteressen über das Wohl des Landes.
Kein Kommentar zum "Abweichler"
Immerhin blieb die FDP in Hessen einig. Prominente Rückendeckung erhielt Wissing hierzulande einzig vom über Nacht zur Ex-Partnerin gewordenen SPD.
Deren Landeschef Sören Bartol, als Bundestagsabgeordneter bisher Teil des Ampel-Regierungslagers, spielte den Bundesverkehrsminister als Vorbild gegen den Ex-Bundesfinanzminister aus: Wissing habe im Gegensatz zu Lindner gezeigt, "was es bedeutet, Verantwortung auch in schwierigen Zeiten zu zeigen".
FDP-Landtagsfraktionschefin Knell sprach von "einem Abweichler", Generalsekretär Promny von einer "persönlichen Entscheidung", die er nicht kommentieren wolle. Eine größere Zahl von Nachahmern in den eigenen Reihen fürchtet die Hessen-FDP nicht. "Im Großen und Ganzen steht die FDP ganz geschlossen hinter Christian Lindner“, sagte Promny. Die hessische FDP stehe "voll hinter Christian Lindner", schob Knell nach.
"Regieren ist kein Selbstzweck"
Linder habe Mut, die FDP eine klare Haltung bei Wirtschaft und Finanzen bewiesen: Die Lesart der Partei in Wiesbaden folgt der, die in Berlin bereits vorgelegt wurde. "Regieren ist kein Selbstzweck" - so formulierte FDP-Landesvorsitzende Bettina Stark-Watzinger das ältere Lindner-Diktum um, man regiere besser gar nicht als schlecht.
Die 56-Jährige aus Bad Soden (Main-Taunus) folgte Lindner auch beruflich: Anders als Wissing legte die bisherige Bundesbildungsministerin ihren Kabinettsposten nieder.
Bettina Stark-Watzinger und Christian Lindner am Mittwochabend in Berlin
Nackte Angst
Für das Agieren Lindners gab es seit Mittwochabend laut Co-Landtagsfraktionschef Naas auch viele "positive Rückmeldungen“ aus den hessischen FDP-Kreisverbänden. Was Basis und Parteispitze vereint: Angesichts eines Umfrage-Dauertiefs und schwerer Schlappen bei Europa- und Landtagswahlen geht schon seit Monaten die nackte Angst um, die Ampel koste die Partei noch Kopf und Kragen.
Bei der Landtagswahl vor gut einem Jahr hatte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde nur gerade so geschafft. Anders als bei SPD und Grünen ist für die FDP auch der Wiedereinzug in den Bundestag stark gefährdet.
Anti-Ampel-Initiative überflüssig
Der Ausstieg aus der Ampel als letzte Rettung: Die in Neu-Isenburg gestartete FDP-Mitgliederbefragung war bereits der zweite Anlauf mit demselben Ziel. Der erste Anti-Ampel-Aufstand - in Kassel und damit ebenfalls in Hessen losgetreten - war gescheitert.
Dass dieses Ampel-Ende mit der schweren Kanzler-Schelte gegen Lindner und Wissings Parteiaustritt für die Partei weniger glatt als erhofft lief, sagte öffentlich niemand aus der hessischen FDP-Führung.
Ob sich die Entwicklung beruhigend auf die Psyche der Mitglieder auswirkt, zeigt sich vielleicht in zwei Wochen. Am 23. November steht der schon länger geplante Landesparteitag in Wetzlar an.
Problemverhältnis mit Grünen im Landtag
Wie sehr die Existenzängste vor der Bundestagswahl die Nerven auch bei der hessischen FDP blankgelegt haben, hatte sich vor kurzem im Landtag gezeigt. Vordergründig ging es um die Frage, wie sinnvoll ein Untersuchungsausschuss zur Affäre um die Entlassung von Ex-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker aus dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium ist.
Bei der Abstimmung im Plenarsaal stellten sich drei von acht FDP-Abgeordneten gegen einen Untersuchungsausschuss. Es kam zu lautstarken Wortwechseln. Ein Argument der Gegner eines Untersuchungsausschusses: Die Fraktionsspitze hatte in der Sache mit den in Wiesbaden ebenfalls oppositionellen Grünen zusammengearbeitet.
Kritiker wie Ex-Fraktionschef René Rock sahen die enge Kooperation nicht gerne. Hauptargument: Genau wie im Bund trennen FDP und Grüne auf zentralen Politikfeldern wie Wirtschaft und Finanzen Welten. Das Chaos in der Ampel und die daraus folgenden Wahlschlappen hätten gezeigt: Es schade der FDP, allzu enge Schulterschlüsse mit den Grünen zu suchen.
Das wirft die Frage auf, wie beide Parteien künftig im Landtag miteinander umgehen - gerade im gemeinsam auf den Weg gebrachten Untersuchungsausschuss. Das Ampel-Zerwürfnis, so der Vorsatz am Donnerstag aus der FDP-Fraktion, soll die Arbeit nicht beeinträchtigen.