Ein junger Mann steht vor dem Kasseler Regierungspräsidium und schaut ernst in die Kamera

Hessen "Den Tätern entgegenschreien, dass wir für demokratische Werte eintreten"

Stand: 02.06.2025 18:53 Uhr

Vor sechs Jahren ermordete ein Rechtsextremist in Wolfhagen-Istha den damaligen Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Lübckes Erbe lebt weiter - auch, weil junge Menschen sich dafür einsetzen: so wie der 23-jährige Lukas Mühlbauer.

Lukas Mühlbauer war selbst noch Schüler, als Walter Lübcke vor sechs Jahren ermordet wurde. Als Schulsprecher setzte er sich maßgeblich dafür ein, dass seine Schule in Walter-Lübcke-Schule umbenannt wurde.

In der Folge wurde er Opfer der sogenannten NSU 2.0 Drohserie - einer Reihe von rechtsextremen Drohschreiben, die ab 2018 an Anwälte, Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens verschickt wurden.

Inzwischen ist Mühlbauer Kreistagsabgeordneter für die SPD und sitzt in der Gemeindevertretung des nordhessischen Habichtswaldes.

Lukas Mühlbauer: "Wir leben in einem freien Land, da muss man für Werte eintreten"

hessenschau.de: Herr Mühlbauer, wie erinnern Sie sich an den Mord an Walter Lübcke vor sechs Jahren?

Lukas Mühlbauer: Ich habe das am nächsten Morgen auf Social Media erfahren. Auf Instagram war das Foto von Walter Lübckes Haus, wo ich an dem Abend zufälligerweise geparkt habe. Darunter stand ganz groß "Regierungspräsident ermordet". Ich war erst einmal schockiert.

Und ich wusste das nicht so richtig einzuordnen, bis ich den politischen Hintergrund verstand - dass ein Rechtsextremer ihn aufgrund seiner politischen Meinung ermordet hat. Einer Meinung, die in der Region von eigentlich fast allen vertreten werden sollte: dass wir Menschen, die hierher kommen, eine sichere Heimat und eine gute Unterkunft bieten sollten.

Der Mord an Walter Lübcke
Am 02. Juni 2025 jährt sich der Tag der Ermordung Walter Lübckes zum sechsten Mal. Der CDU-Politiker und Regierungspräsident von Kassel wurde 2019 vor seinem Wohnhaus in Wolfhagen-Istha von einem Rechtsextremisten aus nächster Nähe erschossen. Bundesweit hatte die Tat für Entsetzen gesorgt.

Walter Lübcke hatte sich öffentlich für demokratische Werte und die Aufnahme Geflüchteter ausgesprochen - auch bei einer Bürgerversammlung im Jahr 2015. Sie habe den Täter zu seiner Gewalttat motiviert, sagte dieser später. 2021 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Zum sechsten Jahrestag erinnern Gedenkveranstaltungen an Walter Lübcke – als Verteidiger der Demokratie und als Opfer rechter Gewalt.

hessenschau.de: Der Mord an Walter Lübcke war in Deutschland der erste rechtsextrem motivierte Mord an einem gewählten Politiker nach 1945. Was hat das mit Ihnen gemacht, dass diese Tat hier, in Ihrer eigenen Heimat, passiert ist?

Mühlbauer: Erst einmal war das eine "Jetz-erst-Recht"-Situation: Jetzt muss ich erst recht laut werden. Wir müssen die Meinung Lübckes hier weiter vertreten. Sonst schaffen Täter es, Menschen zum Schweigen zu bringen. Das kann und will ich nicht akzeptieren.

Dieses Gefühl hat auch relativ lange angehalten. Bis die ersten Drohanrufe an der Schule eingegangen sind, in denen unter anderem auch mein Name persönlich genannt worden ist. Wenn man Sätze liest wie: "Lukas Mühlbaum muss zurückgehalten werden, sonst ziehe ich ihm einen Eishockey-Schläger durchs Gesicht", unterschrieben mit "NSU 2.0", dann überlegt man natürlich doppelt (was man tut, Anm. d. Red). Wir haben ja gesehen: Jetzt kann so eine Tat tatsächlich umgesetzt werden. Das sind nicht nur leere Worte.

hessenschau.de: Wie kam es dann zur Umbenennung der Walter-Lübcke-Schule?

Mühlbauer: Grundsätzlich hatten wir unseren alten Namen ("Wilhelm-Filchner-Schule") schon lange kritisch diskutiert. Kurz nachdem Walter Lübcke ermordet worden ist, haben wir uns als Schülervertretung zusammengesetzt und darüber gesprochen. Dann kam relativ schnell die Idee: Lasst uns mit Walter Lübcke ein Zeichen setzen. Lasst uns sagen, dass diese Region für genau das steht, was Walter Lübcke verbreitet hat und den Tätern entgegenschreien, dass wir hier für demokratische Werte eintreten wollen - und dass unsere Schule dahintersteht.

Uns Schülern war es damals sehr wichtig, dass man nicht nur die Schilder tauscht und sagt: "Jetzt sind wir eine demokratische Schule", sondern dass viel inhaltliche Arbeit hinterherkommen muss. Ich habe wahrgenommen, dass in den letzten Jahren auch sehr viel passiert ist - besonders mit der Initiative "Offen für Vielfalt". Das beginnt mit dem demokratischen Prozess im Klassenraum, bei der Klassensprecherwahl, bis hin zu Veranstaltungen und Projekttagen in Berlin oder in Wiesbaden.

hessenschau.de: Damit sollen ja auch die Werte Walter Lübckes implementiert und weiter gelebt werden. Was sind das für Werte?

Mühlbauer: Ein Zitat, das ihm zugeschrieben wird, lautet: "Wir leben in einem freien Land und da muss man für Werte eintreten." Diese Werte, die ich damit verbinde, sind Freiheit und Gerechtigkeit. Die Freiheit, dass man egal wo man herkommt, egal welches Geschlecht man hat, in unserem Land willkommen ist, dass man hier ankommen kann, dass man hier sich einbringen und engagieren kann.

hessenschau.de: Aktuell wird wieder viel über die Aufnahme Geflüchteter diskutiert. Die neue Bundesregierung möchte unter anderem einen faktischen Aufnahmestopp an den Grenzen. Wie sehen Sie das?

Mühlbauer: Ich sehe das kritisch und bin der Meinung, dass das individuelle Recht auf Asyl ein sehr wichtiges Grundrecht ist. Ein grundsätzlicher Aufnahmestopp ist nicht der richtige Weg. Wir müssen uns viel mehr damit auseinandersetzen, wie wir integrieren wollen.

Ich denke, wir haben an den Geflüchteten aus der Ukraine gesehen, dass die Integration deutlich besser gelungen ist als 2015. Das liegt daran, dass wir gesagt haben: Wir verteilen die Menschen in unsere Gesellschaft. Wir nehmen sie auf und lassen sie arbeiten. Sprachkurse sind da eine Schlüsselposition, die auf kommunaler Ebene einfach geschaltet werden kann.

hessenschau.de: Heute sind Sie für die SPD im Kreistag, Walter Lübcke war CDU-Mitglied. Verbinden solche Momente über Parteigrenzen hinweg?

Mühlbauer: Ich glaube grundsätzlich, dass Kommunalpolitik über Parteigrenzen hinweg vereint. Denn dabei geht es oftmals um die Sache und weniger um das, was im Parteibuch steht.

Aber ich glaube auch, dass Menschenwürde, Menschenrechte, demokratische Grundwerte in den Parteien im demokratischen Spektrum gelebt werden - von der CDU bis hin zu den Linken. Für sie kann man auch unabhängig vom Parteibuch zusammenstehen.

Die Fragen stellte Leander Löwe.