Brandenburg Parteitage in Brandenburg: "Keine Liebeshochzeit" - SPD und BSW entscheiden über Koalition
SPD und BSW haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt – nun müssen die Gremien diesen annehmen. Auf dem Parteitag der SPD muss Ministerpräsident Woidke die Mitglieder auf ein Zweckbündnis einschwören. Von Hasan Gökkaya
Neben dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) muss auch die SPD dem Koalitionsvertrag zustimmen, damit wie geplant am 11. Dezember Dietmar Woidke sich zum Ministerpräsidenten von Brandenburg wählen lassen kann. Dafür hat die SPD Brandenburg an diesem Freitag zu einem außerordentlichen Landesparteitag in Potsdam einberufen - am selben Tag wie das BSW.
Die SPD konnte seit 1990 alle bisherigen Ministerpräsidenten stellen und hat nun die Chance, mit Woidke als Regierungschef erneut Brandenburg als "Stammland der Sozialdemokraten" zu proklamieren, auch in Zeiten einer erstarkenden AfD. Im Vorfeld der "Aussprache zum Koalitionsvertrag und Beschluss", wie es unter Punkt 5 der Tagesordnung heißt, wird deshalb auch nicht mit einer großen Überraschung gerechnet. Und weil die Partei nach innen gerichtet eher für Disziplin bekannt ist, wird erwartet, dass der Entwurf zum Koalitionsvertrag zwischen dem BSW und der SPD auf dem Landesparteitag durchgewunken wird.
Zumindest schien es zuletzt nicht viel Redebedarf zu geben, auch unter SPD-Wählern. Als am Montag die SPD-Fraktion zu einer öffentlichen Diskussion in Fürstenwalde einlud, kamen nicht einmal 20 Genossinnen und Genossen zusammen. Der Fraktionsvorsitzende Daniel Keller sagte offen vor den Anwesenden: "Eine Koalition mit dem BSW ist keine Liebeshochzeit, sondern das, was wir unter Verantwortung verstehen, und dass wir gemeinsam die Verantwortung haben, in den nächsten fünf Jahren handlungsfähig zu sein." Die Wenigen, die kamen, stimmten zu.
Wirtschaftsminister Steinbach zieht sich wegen BSW zurück
Ganz dem Zufall überlassen will der amtierende Ministerpräsident Woidke die Sache aber nicht: Vor der Debatte zum Koalitionsvertrag wird Woidke auf dem SPD-Parteitag eine Rede halten. Keine schlechte Idee, blickt man auf die Gemengelage. Denn klar ist: Für die SPD ist das BSW als Bündnispartner keine Traumvorstellung. Woidke sprach selbst bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags im Beisein von BSW-Partei- und Fraktionschef Robert Crumbach von "schwierigen Verhandlungen".
Eine Regierungslinie zusammenschreiben ist das eine, die Gegenseite wirklich kennen das andere. Und da ist das Problem: Für Woidke und seine Partei ist das noch junge BSW nach wie vor eine politische "Blackbox". Wie gut sich mit der Partei wirklich regieren lässt, kann nicht einmal der erfahrene Ministerpräsident absehen. Noch-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach zog deshalb bereits Konsequenzen: Ende November teilte der SPD-Politiker mit, für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen. Er begründete seinen Rückzug damit, dass die SPD in der nächsten Landesregierung voraussichtlich eine Koalition mit dem BSW eingeht und er keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sehe.
Vor, während und nach dem Wahlkampf zur Landtagswahl wurde dem BSW vorgeworfen, Russland-freundlich zu sein - auch wegen der BSW-Namensgeberin und Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine oft mit relativierenden Aussagen verharmloste. Dagegen nutzte Woidke bis zum September die Wahlkampfbühnen des Landes fleißig dafür aus, um sich von AfD und BSW eben auch durch ukrainefreundliche Töne zu distanzieren.
Mit Sondierungspapier kam Thema Russland wieder auf
Als aber absehbar wurde, dass die SPD - ohne AfD - in Brandenburg nur mit dem BSW regieren kann, begannen die Sozialdemokraten das Thema zunehmend zu umschiffen. Erst das Sondierungspapier zeigte, wie viel die SPD bereit war zu Gunsten von BSW ins Papier zu schreiben: Festgehalten wurde in dem Dokument, dass der russische Krieg in der Ukraine "nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet" werden könne. Und: Vor dem Hintergrund, "Spannungen innerhalb Europas" durch eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts abbauen zu wollen, sähen SPD und BSW "die Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch", heißt es.
Auf Woidke prasselte sofort Kritik ein, er sei damit BSW-Chefin Sahra Wagenknecht entgegengekommen, damit sie wiederum dem Brandenburger BSW grünes Licht für die Koalition gebe. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth bezeichnete das Sondierungspapier sogar "in mehrfacher Hinsicht" als "einen Bruch mit der Politik des Bundeskanzlers und der SPD". Der Wortlaut im Sondierungspapier wurde unverändert im Entwurf zum Koalitionsvertrag übernommen.
Die Sanktionen gegen Russland werden darin nicht infrage gestellt, aber es wird – im Sinne des BSW – betont, dass sie Nachteile für die Wirtschaft in Brandenburg brächten. Auch deswegen müssten "diplomatische Friedensbemühungen auch die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehung zum Ziel haben", heißt es.
Ist der Entwurf "tief lila gefärbt"?
Allerdings muss sich Woidke mit Blick auf den Entwurf zum Koalitionsvertrag auch nicht als geschrumpften Zwerg geben. Schließlich wird die SPD in einer neuen Regierung sieben der zehn Ministerien besetzen können, darunter Wirtschaft, Inneres und Bildung. Der Verfassungstreue-Check für Beamte, der seit September gilt, soll nicht - wie vom BSW zunächst gefordert - abgeschafft, sondern 2025 nur geprüft werden. Und: Zur Bundeswehr und ihren Standorten in Brandenburg heißt es im Vertrag, dass der Ausbau der zivilen Infrastruktur sowie die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen dazugehöre.
Prompt stellte ein Journalist bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags BSW-Chef Crumbach deshalb auch die Frage, wie viel BSW überhaupt noch im Vertrag stecke. Dieser sei "tief lila gefärbt", antwortete er knapp.
BSW-Abgeordneter Hornauf gefährdet Woidkes absolute Mehrheit
Spätestens als die Koalitionsverhandlungen wegen des Fliegerhorsts Holzdorf (Elbe-Elster) ins Stocken gerieten, wurde der SPD aber klar, wie instabil das junge BSW-Uhrwerk tickt. Der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf drohte sogar, wegen Kritik an der Stationierung des Raketenabwehrsystems Arrow 3 in Holzdorf bei der Wahl des Ministerpräsidenten nicht für Woidke zu stimmen – und stellte sich damit gegen seine eigene Fraktion.
Crumbach hatte mit Blick auf die näherkommende Wahl des Ministerpräsidenten am 11. Dezember große Mühe, die Aufregung um Hornauf runterzuspielen. Zuletzt entschied seine Fraktion nach einem langen Gespräch, Hornauf nicht aus der BSW-Fraktion rauszuschmeißen. Der ließ allerdings auf Nachfrage von Journalisten bis zum Ende offen, ob er Woidke bei der Wahl zum Ministerpräsidenten wählen wird.
SPD und BSW haben in einem Landesparlament mit insgesamt 88 Abgeordneten eine Mehrheit von 46 Stimmen. Das ist alles andere als komfortabel für ein Kabinett, das durchregieren will. Sollte Hornauf seine Drohung wahrmachen und am 11. Dezember nicht für Woidke stimmen, bekäme dieser gerade noch so viele Stimmen wie er bräuchte – vorausgesetzt, niemand anderes von BSW oder SPD springt ab. So oder so: Es wird eine knappe Kiste - und das weiß die SPD.
Doch das ist erst der übernächste Schritt. Jetzt müssen erst einmal die Gremien von SPD und BSW entscheiden, ob sie dem Entwurf zum Koalitionsvertrag zustimmen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.12.2024, 7 Uhr