
Brandenburg Energie, Mobilität, Migration: Das bedeutet der schwarz-rote Koalitionsvertrag für Brandenburg
Union und SPD versprechen auf mehr als 140 Seiten Koalitionsvertrag viel - und nicht weniger als einen Politikwechsel. Acht Themenfelder sind für Brandenburg von besonderer regionaler Bedeutung. Von Hanno Christ
Energieerzeugung
Brandenburg ist einer der größten Energielieferanten für die Republik, vor allem bei Erneuerbaren Energien aber auch bei Strom aus Braunkohle. Das soll auch nach dem Willen von Union und SPD so bleiben, allerdings wird es einen vorsichtigeren Zubau von Solar- und Windkraftanlagen geben. Brandenburg gehört zu den Bundesländern mit den meisten Windkraftanlagen, die Braunkohlekraftwerke sind noch immer einer der wichtigsten Energielieferanten.
Der vereinbarte Kohleausstieg bis 2038 soll nicht angetastet werden, es sei denn, es gibt verlässliche, bezahlbare alternative Formen der Energieerzeugung. Der Ausbau der Windkraft soll fortgesetzt werden, aber stärker als bislang auf Kosteneffizienz, Netzkapazität und Akzeptanz vor Ort geachtet werden. Mögliche Flächen für Erneuerbare Energie-Anlagen sollen bis 2032 überprüft werden.
Die Nutzung des regional erzeugten Stroms vor Ort soll ausgebaut werden, erneuerbarer Strom vor allem "netzdienlich" erzeugt werden. Soll heißen: Nur wenn er gebraucht und genutzt wird, soll auch erzeugt werden. Damit will der Bund Milliardenkosten vermeiden, die er bislang für die Abregelung von Anlagen zahlen musste.

Wasserstofffähige Gaskraftwerke, die besonders emissionsintensive Kraftwerke wie in der Lausitz ablösen, sollen nach den Vorstellungen von Union und SPD vor allem an Standorten entstehen, wo es bereits Kraftwerke gibt. Damit gemeint sein dürften vor allem Standorte in der Lausitzer Kohleregion. Das Wasserstoffkernnetz – das Rückgrat einer Wasserstoffversorgung in Deutschland- müsse landesweit industrielle Zentren anbinden, explizit "auch im Osten Deutschlands".
Auch die Batterieforschung soll intensiviert und gefördert werden. Brandenburg dürfte daran mit BASF und Tesla ein besonderes industriepolitisches Interesse haben.
Energiepreise und Klimaschutz
Die Sorge vor einer De-Industrialisierung treibt das Land um. Um energieintensive Betriebe zu unterstützen, will die Koalition einen Industriestrompreis auf den Weg bringen. Gefordert wurde der auch schon in der Vorgängerregierung, nur durchgesetzt wurde er nie. Wie genau dieses Instrument aussehen soll, ist noch offen.
Vor allem große Betriebe wie Eko in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree), Rolls-Royce in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming), Alstom in Hennigsdorf (Oberhavel) oder Leipa in Schwedt (Uckermark) dürften sich Hoffnung machen, dass sie künftig finanzielle Lasten von den Schultern genommen bekommen. Auch die besonders energieintensiven Rechenzentren würden davon profitieren. Dazu sollen auch Netzentgelte und Stromsteuer gesenkt werden, die einen erheblichen Teil des Strompreises ausmachen. Das Maßnahmenpaket soll eine Entlastung von fünf Cent pro Kilowattstunde bringen.

Für Erleichterung bei Klimaschützern dürfte auch diese Ankündigung sorgen: Die Koalition bekennt sich weiterhin zur steigenden Bepreisung von CO2-Emissionen, Belastungen will sie aber ausgleichen. Damit soll die Abwanderung von Betrieben in Länder vermieden werden, wo es keine solche Belastung für Unternehmen gibt. Gleichzeitig soll nun endlich das – ebenfalls unter der Ampel-Regierung geforderte - Klimageld kommen, auch wenn genau dieser Name nicht im Vertrag auftaucht: Zur Unterstützung "besonders belasteter Haushalte" sollen Einnahmen aus den Emissionen an Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen zurückgegeben werden.
Auch im Vertrag: Die Speicherung, der Transport und die Nutzung von klimaschädlichem Kohlendioxid soll gefördert werden und „umgehend“ in ein Gesetzespaket gegossen werden. Wo etwa die Speicherung genau geschehen soll, lässt der Vertrag offen. Von einem solchen Verfahren profitieren würden große Betriebe wie der Zementhersteller Cemex in Rüdersdorf (Märkisch-Oderland). Die Landesregierung Brandenburg hatte eigens eine Task-Force gegründet, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, das ansonsten kaum Möglichkeiten hat, seine Produktion CO2-ärmer umzubauen.
Mobilität
Brandenburg ist noch immer das Land der Autofahrer. Auf den Straßen brummen noch deutlich mehr Diesel und Benziner als e-Stromer. Nach den Plänen von Union und SPD soll sich das ändern etwa durch steuerliche Entlastung von e-Auto-Fahrern und einen Ausbau des Ladenetzes. Brandenburg ist auch ein Land der Pendler: Mehr als 60 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger fahren zur Arbeit in einen anderen Ort. Sie dürften sich freuen über Pläne der künftigen Bundesregierung: Die Pendlerpauschale soll ab dem 1. Januar 2026 von 30 auf 38 Cent erhöht und das schon ab dem ersten Kilometer. Dazu soll auch ein Programm aufgelegt werden, um auch Haushalten mit kleinerem und mittlerem Einkommen den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität zu ermöglichen.
Eine lange erhobene Forderung der Brandenburger Politik – der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nach Polen – findet sich im Vertrag wieder. Der Ausbau soll "zügig" erfolgen, Europa-Züge mit Fernverkehrsstandard zur besseren Anbindung eingesetzt werden. Das Deutschlandticket – eine Herzensangelegenheit des BSW-geführten Infrastrukturministerium in Brandenburg - wird über 2025 hinaus fortgesetzt. Wie teuer es die Nutzer aber zu stehen kommen wird, ist noch offen.

Sanktionen, Außenpolitik und Bundeswehr
Eigentlich kaum ein Thema für ein Bundesland, in Brandenburg aber aufgrund der besonderen geographischen Lage und der politischen Konstellation in der Landesregierung von Relevanz. Folgt man dem Entwurf des Koalitionsvertrages soll die "effektive nationale Umsetzung der Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskriegs" weiterhin sichergestellt werden.
Das kann wie eine Absage gelesen werden an Hoffnungen und Forderungen vor allem aus der Uckermark und aus den Reihen des BSW in der Landesregierung, dass demnächst wieder russisches Gas und Öl nach Deutschland fließten. Am Standort der PCK-Raffinerie in Schwedt werden die Sanktionen besonders kritisch gesehen. Die Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunft der Raffinerie ist groß.
Strittig in Brandenburg könnte auch die Rolle der Bundeswehr werden. Union und SPD wollen die Armee stärker im öffentlichen Leben verankern. Man setze sich für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen, heißt es im Vertrag. In Brandenburg aber will die Regierung auf Druck des BSW Jugendoffiziere am liebsten aus den Schulen raushalten.
Ländliche Räume, Landwirtschaft und Umwelt
Strukturschwache Regionen sollen auch unter der neuen Bundesregierung besondere Aufmerksamkeit genießen. Nach ihrem Willen soll der Moorschutz "verstetigt" werden. Was das genau heißt, ist unklar. In Brandenburg setzen Moore besonders viel CO2 frei. Die Wiedervernässung von Mooren ist wiederholt Zankapfel von Landnutzern und Naturschützern. Die Landesregierung hatte ein Projekt zur Wiedervernässung zuletzt gestoppt.
Auch ein Streitthema: Der Umgang mit dem Wolf. Brandenburg setzt sich als wolfsreiches Land für die leichtere Bejagung des geschützten Tieres ein und hatte dafür unlängst eine Bundesratsinitiative gestartet. Nun haben sich Union und SPD im Bund vorgenommen, den Wolfsbestand zu reduzieren. Man unterstütze den Herdenschutz und wolle den Wolf "umgehend" ins Jagdrecht aufnehmen.
Landwirte können sich zufrieden zeigen: Eine Kernforderung der Bauern-Proteste aus dem vergangenen Frühjahr will die neue Regierung erfüllen und den Agrardiesel doch wieder subventionieren. Die Agrardiesel-Rückvergütung soll "vollständig wieder eingeführt werden".
Auch das Thema Wasser und Wassermangel findet Erwähnung im Koalitionsvertrag. Brandenburg ist eine der trockensten Regionen der Republik und steht gleichzeitig mit dem Ausstieg aus der Kohle unter Druck, dass der Wasserhaushalt der Region nicht durcheinandergerät. Man setze auf das Verursacherprinzip, das heißt wohl auch darauf, dass der Kohle-Konzern Leag finanziell für die Folgen geradesteht. Um den drohenden Wassermangel für betroffene Flüsse zu beraten, wolle man ein Bund-Länder-Gremium einrichten.

Migration
Die Bundesregierung verschärft noch einmal die Zuwanderungs- und Abschieberegelungen. Die Zahl der Zuwanderer soll deutlich gesenkt werden. Brandenburg ist in besonderem Maße betroffen, die Grenzkontrollen werden fortgeführt "bis zu einem funktionierenden Außengrenzenschutz" der EU. Mit Staus an der deutsch-polnischen Grenze ist also auch weiterhin zu rechnen. "In Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" werde man Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen "auch bei Asylgesuchen" vornehmen.
Freiwillige Aufnahmeprogramme will man beenden und nicht neu auflegen. Brandenburg hatte die Aufnahme von Afghanen bereits einseitig aufgekündigt. Den Familiennachzug bei subsidiär Schutzbedürftigen will man aussetzen, gleichzeitig Rückführungen und Abschiebungen intensivieren. Brandenburg plant bereits die Einrichtung von mehreren sogenannten Ausreisezentren, die explizit keine Abschiebe-Gefängnisse sein sollen.
Die Ankündigungen von Union und SPD aber deuten Verschärfungen an, die darüber hinausgehen: Die Bundespolizei solle die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer "vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam" zu beantragen, um ihre Abschiebung sicherzustellen. Man wolle eine Möglichkeit für einen "dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung schaffen", bis die freiwillige Ausreise oder Abschiebung erfolgt. Man werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft "deutlich zu erhöhen". Bislang aber gibt es keine solche Einrichtung in Brandenburg. Ein sogenanntes "Behördenzentrum" am BER ist erst in Planung.
Gleichzeitig will man auch mehr in die Integration von Zuwanderern investieren und dafür etwa Integrationskurse fortsetzen, Sprach-Kitas wieder einführen, das Startchancen-Programm fortsetzen und auf Kitas ausweiten. Hürden für Flüchtlinge bei der Beschäftigungsaufnahme wolle man abbauen und Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduzieren.

Gesundheit und Pflege
Das Gesundheits- und Pflegesystem vor allem in schwächer besiedelten Regionen vor besonders großen Herausforderungen. Eine neue Bundesregierung macht es sich zum Ziel, die Versorgung von der Beratung, über die Apotheke bis zum Arzt und Krankenhaus zu vereinfachen ohne sie deswegen schlechter zu machen.
Die Brandenburger Landesregierung hatte bereits versprochen, alle Krankenhausstandorte in Brandenburg zu erhalten, nun schreiben sich auch Union und SPD eine weiterhin gute Versorgung in den Koalitionsvertrag. Sie machen dabei aber keine genaue Zusagen über Summen, nur, dass sie Geld geben wollen. Konkrete Maßnahmen bleiben unklar. Die Definition der Fachkrankenhäuser wolle man überarbeiten, mit dem Ziel, dass die "bestehenden und für die Versorgung relevanten Fachkliniken erhalten bleiben können".
Krankenkassen sollen bei der Terminvermittlung von Ärzten stärker in die Pflicht genommen werden, Telemedizin besser genutzt werden. Flächendeckend wolle man Möglichkeiten einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege schaffen. In unterversorgten Gebieten sollen Fach-Ärzte besser verdienen können, in überversorgten dagegen weniger. Damit sollen Anreize für Ärzte gesetzt werden stärker in ländlichen Regionen zu praktizieren.
Arbeit
Ziel von Union und SPD ist auch ein höherer Mindestlohn von 15 Euro bis 2026 – ein Kernanliegen der Sozialdemokraten. Dafür muss aber erst die Tarifbindung erhöht werden. In Brandenburg - wie in ganz Ostdeutschland - ist die Tarifbindung seit Jahren aber besonders niedrig, Tendenz fallend.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 10.04.2025, 19:30 Uhr