
Baden-Württemberg Ausbildungsvorbereitung: Berufsschulen klagen über häufiges Schwänzen
Die beruflichen Schulen klagen über Fehlzeiten von Schülern in der Ausbildungsvorbereitung und in Klassen für Geflüchtete. BW könne es sich nicht leisten, diese jungen Menschen für den Arbeitsmarkt zu verlieren.
Nur an knapp jeder fünften Berufsschule in Baden-Württemberg nehmen die Schülerinnen und Schüler der Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual) und in speziellen Klassen für Geflüchtete ohne Deutschkenntnisse (VABO) regelmäßig am Unterricht teil. Das hat eine Umfrage ergeben, an der Anfang des Jahres 230 von 280 Leitungen von beruflichen Schulen im Land teilgenommen haben. Eine übergroße Mehrheit der Schulleitungen beschreibt die Unterrichtssituation in diesen Bildungsgängen laut Umfrage als angespannt oder sogar alarmierend. In den befragten Bildungsgängen lernen laut Berufsschullehrerverband Baden-Württemberg (BLV) rund 15.000 Schülerinnen und Schüler. Insgesamt gibt es an den beruflichen Schulen im Land nach Angaben des Statistischen Landesamts rund 388.000 Schülerinnen und Schüler.
An 90 Schulen komme die Hälfte der Schülerinnen und Schüler nicht regelmäßig zum Unterricht. An weiteren 96 Schulen fehle ein Drittel der Schülerinnen und Schüler häufig, so das Ergebnis der Umfrage im Auftrag des Berufsschullehrerverbands (BLV), der Arbeitsgemeinschaft der Direktorenvereinigungen und des Landesschülerbeirats Baden-Württemberg. Ein solcher Schüler aus dem Großraum Stuttgart, heute ist er 17 und soll in diesem Text Adem heißen, hat dem SWR berichtet, warum er damals jahrelang regelmäßig die Schule schwänzte.
Ehemaliger Schulschwänzer berichtet, warum er dem Unterricht fernblieb
Es begann bereits in der siebten Klasse, berichtet Adem. "Wir dachten halt, wir machen, was wir wollen. Die Lehrer hatten uns sowieso keine Motivation gegeben zum Lernen." Häufig seien er und seine Freunde erst zur dritten oder vierten Stunde in die Schule gekommen. Manchmal gar nicht. "Und es hat die Lehrer nicht gejuckt." Passiert sei selten etwas. Wenn er Strafarbeiten bekam, dann habe die niemand eingesammelt.

Heute schwänzt Adem nicht mehr, sagt er. Um seine berufliche Zukunft nicht zu gefährden, trägt er in diesem Text nicht seinen echten Namen.
Er sei wütend, dass dieses Problem nicht angepackt werde, sagt der Vorsitzende des BW-Berufschullehrerverbands Thomas Speck. Die Zahl junger Menschen ohne Berufsausbildung werde noch weiter steigen, wenn nicht durch mehr Personal und durch einen größeren Handlungsspielraum bei der Wiedereingliederung in den Schulalltag nachgebessert werde. Es fehle schlicht an einem wirkungsvollen Instrument, um Schülerinnen und Schüler mit erheblichen Fehlzeiten wieder zurück in den Schulalltag zu bekommen.
Häufiges Schwänzen: Wiedereingliederungsklassen gefordert
24 Prozent der befragten Schulleitungen wünschen sich Wiedereingliederungsklassen für Schülerinnen und Schüler mit eklatanten Fehlzeiten. Insbesondere in den VABO-Klassen mit Geflüchteten, die häufig besonders psychisch belastet sind, bleibe für die wichtige Beziehungsarbeit aufgrund Personalmangels zu wenig Zeit. Hier sei dringend eine Stärkung der Sozialarbeit und Sonderpädagogik notwendig. Die Verwaltung von Fehlzeiten und die Kommunikation mit Behörden und Familien sei ein weiteres großes Problem für Lehrkräfte und Schulleitungen. Dringend müssten deshalb die Schularten AVdual und VABO ins Start-Chancen-Programm des Landes integriert werden, so Speck.
Aus Sicht des baden-württembergischen Kultusministeriums tut man in den vom BLV befragten Bildungsgängen schon viel. Diesen stelle man umfangreiche Ressourcen zur Verfügung, die die Schulen auch für Maßnahmen gegen eklatante Fehlzeiten nutzten, teilte ein Sprecher mit. "Der pädagogische Ansatz in diesen Bildungsgängen ist sehr flexibel und umfasst Möglichkeiten zum Teamteaching, zu Absprachen im Klassenteam sowie der flexiblen Umsetzung der Stundentafeln." Genau das brauche es, um präventiv und frühzeitig bei Anzeichen von Schulabsentismus - also dem regelmäßigen unbegründeten Fehlen im Unterricht - reagieren zu können. Wie die Lage schulformübergreifend ist, ist nicht genau bekannt. Das Kultusministerium führt keine Statistik zu Schulschwänzern. Man wolle die Schulen vor zu viel Bürokratie schützen, teilte ein Ministeriumssprecher mit.
Corona als Verstärker: Viele Gründe für Fehlzeiten von Schülern
Die Gründe für die Fehlzeiten sind aus Sicht der befragten Schulleitungen vielschichtig. Am häufigsten werden familiäre Probleme und Schulmüdigkeit oder schlechte Erfahrungen mit Schule angegeben. Hinzu kommen Nebenjobs und Probleme mit Lehrkräften und Mitschülern. Auch die Corona-Pandemie habe das Problem des Schulabsentismus verstärkt, so die Auftraggeber der Umfrage.
Auch das baden-württembergische Kultusministerium gibt an, individuelle Gründe, wie etwa schlechte Schulleistungen, Überforderung oder häufiges Sitzenbleiben steckten hinter eklatanten Fehlzeiten. Auch familiäre Ursachen wie eine geringe Erwartung der Eltern oder einschneidende Erlebnisse in der Familie seien Risikofaktoren. Schlechte Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülern sowie innerhalb der Schülerschaft kämen ebenfalls in Betracht, schreibt das Kultusministerium in der Antwort auf eine Anfrage der SPD in der Landtagsopposition. Deren bildungspolitischer Sprecher, Stefan Fulst-Blei, teilt in einem Schreiben zur Umfrage mit: "Wenn es die Kultusministerin wirklich ernst meint mit dem Satz, dass kein junger Mensch verloren gehen darf, dann muss sie endlich handeln und darf nicht einfach die Augen verschließen."
Was helfen könnte: Landesschülerbeirat fordert einen Sozialarbeiter auf 200 Schüler
Helfen könnten zum Beispiel eine gestärkte Schulsozialarbeit. Und auch aus Landesmitteln finanziertes Personal zum Beispiel, das bei der Berufsorientierung hilft, dürfe nicht abgebaut werden. Vielmehr brauche es eine Ausweitung dieses Modells über den Bildungszug AVdual hinaus auch auf VABO-Klassen mit Geflüchteten. Joshua Meisel, Vorsitzender des Landesschülerbeirats, bezeichnet es als nicht akzeptabel, dass es noch immer zu wenige oder teils sogar gar keine Sozialarbeiterinnen und -arbeiter an Schulen gebe. Er fordert einen neuen Verteilungsschlüssel: Eine Vollzeitstelle für die Schulsozialarbeit pro 200 Schülerinnen und Schüler.
Letztlich, sagt der BLV-Vorsitzende Thomas Speck, könne es sich Baden-Württemberg schlicht nicht leisten, diese jungen Menschen nicht zu unterstützen. Man brauche schließlich dringend Arbeitskräfte. "Aus wirtschaftlicher Sicht ist es dramatisch. Es ist aber auch für die Schülerinnen und Schüler dramatisch, weil sie nicht die gleichen Chancen haben, im Leben voranzukommen wie andere Jugendliche."
Dass es möglich ist, Schulschwänzer wieder zu motivieren, zeigt Adems Beispiel. In seiner alten Schule seien die Schülerinnen und Schüler den Lehrkräften egal gewesen, sagt er. Den Schulabschluss schaffte er nicht, bekam aber an einer neuen Schule eine zweite Chance. Dort war alles anders für ihn: "Die Lehrer kümmern sich um uns." Das habe ihm die nötige Motivation gegeben, erklärt er. Heute schwänze er nicht mehr, sei pünktlich, hole sich ein Attest, wenn er krank sei. Dieses Jahr will er seinen Schulabschluss machen.
Sendung am Fr., 28.3.2025 18:00 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW