Baden-Württemberg Alkohol: Wertvolles Kulturgut oder gefährliche Volksdroge?
Weinfeste, Volksfeste, Feierabendbier - Alkohol ist auch in Baden-Württemberg allgegenwärtig. Doch der Konsum birgt auch Gefahren. Muss der Staat hier für mehr Schutz sorgen?
Für die einen ist es pure Freude und der Höhepunkt des Jahres: Ein Volksfest wie das auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. Tausende Menschen in Trachten auf Bierbänken, in der Hand eine Maß. Viele andere stehen dem Trubel interessiert bis gleichgültig gegenüber - und dann gibt es Menschen wie Beate Vorberg. Sie sagt: "In so einem Zelt würde ich mich nicht aufhalten, das ist für mich etwas Abstoßendes. Das erinnert mich an diese Zeit, in der ich gut dabei war." Vorberg ist alkoholabhängig und seit 15 Jahren abstinent.
Sie hat sich mit Alkohol selbst betäubt, wie sie sagt, und wie bei vielen Abhängigen wurde es mehr und mehr, bis es nicht mehr kontrollierbar war. So berichten es auch Betroffene, die in einer Suchtklinik im oberschwäbischen Bad Saulgau (Kreis Sigmaringen) therapiert werden. Mit Übungen wie Bogenschießen oder in der Therapie mit Tieren lernen sie, langsam wieder Verantwortung zu übernehmen und neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Im Anschluss an diesen geschützten Raum brauchen viele eine Gruppe, die ihnen Halt gibt, wenn der Alltag wieder funktionieren soll.
Suchtbetroffene kritisieren leichten Zugang zu Alkohol
Was in der Selbsthilfegruppe von Beate Vorberg immer wieder ein Thema ist: Ständig werden Abhängige in der Öffentlichkeit mit Alkohol konfrontiert und das mache es unnötig schwer. Viele kritisieren beispielsweise die Platzierung kleiner Schnapsflaschen an Supermarktkassen: "Du kriegst die überall. Und das auf unserer Augenhöhe," sagt ein Teilnehmer. Ist Alkohol zu leicht verfügbar? Auch schon für Jugendliche?
In der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" zum Thema "Volksdroge Alkohol" diskutierten am Donnerstag (von links): Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), Brauereiinhaber Gottfried Härle aus Leutkirch (Kreis Ravensburg), Suchtmediziner Dr. Maurice Cabanis und die trockene Alkoholikerin und Suchtberaterin Beate Vorberg als Gäste bei Moderator Florian Weber.
Minister Hauk: "Jugendliche an maßvollen Konsum heranführen"
Der für Verbraucherschutz zuständige Landesminister Peter Hauk (CDU) plädiert für einen maßvollen Umgang mit Alkohol. Warnhinweise auf Flaschen wie etwa bei Zigarettenpackungen hält er nicht für sinnvoll. Seiner Erfahrung nach schreckten solche Warnhinweise nicht ab, sagte Hauk in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" am Donnerstag. Vielmehr müsse man Jugendliche "an einen maßvollen Konsum heranführen". Schließlich sehe das Gesetz vor, dass junge Menschen schon ab 14 Jahren unter Aufsicht ihrer Eltern Alkohol trinken dürfen, und das sei auch in Ordnung.
Dafür erntete der Minister starken Widerspruch: Junge Menschen müssten nicht an Alkohol "herangeführt", sondern ermutigt werden, auch einmal Nein zu sagen - und auch über die Gefahren von Alkohol aufgeklärt werden, so der Stuttgarter Suchtmediziner Maurice Cabanis. Schließlich würden in Deutschland jährlich knapp 70.000 Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum sterben. Das seien mehr als beim Absturz eines vollbesetzten Airbus-Flugzeugs jeden Tag, so Cabanis. Die abstinente Alkoholikerin und Suchtberaterin Beate Vorberg betont: "Alkohol ist ein Nervengift."
Wir brauchen keinen Massenkonsum, sondern Genusskonsum. Peter Hauk (CDU), BW-Landwirtschaftsminister
Auf der anderen Seite gilt Alkohol auch als Kulturgut: Peter Hauk, der als BW-Landwirtschaftsminister auch für den Ländlichen Raum zuständig ist, verwies in dem Zusammenhang auf die einzigartigen Kulturlandschaften Baden-Württembergs mit Anbauflächen wie Steillagen, auf Traditionen und regionale Produkte von hoher Qualität: "Wir brauchen keinen Massenkonsum, sondern Genusskonsum," sagte Hauk.
Diesen Genusskonsum gebe es mehrheitlich auch auf Volksfesten wie dem auf dem Cannstatter Wasen, sagte Brauereibetreiber Gottfried Härle aus Leutkirch (Kreis Ravensburg) in der Sendung. Von den zwei Millionen Litern Bier, die beim Cannstatter Volksfest ausgeschenkt worden seien, hätte jeder Besucher im Schnitt ja nur einen halben Liter getrunken.
Bierkonsum in Baden-Württemberg zurückgegangen
Tatsächlich trinken die Menschen in Baden-Württemberg mittlerweile weniger Alkohol als noch vor ein paar Jahren, und immer mehr von ihnen greifen zu alkoholfreien Alternativen. So ging der Bierkonsum im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent zurück, der Weinkonsum um 3,5 Prozent. Laut Statistischem Landesamt wurde im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg Bier im Wert von mehr als einer halben Milliarde Euro produziert.
Zum Vergleich: Der Produktionswert von alkoholfreiem Bier lag bei rund 25 Millionen Euro. "Alkoholfreies Bier macht etwa zehn bis zwölf Prozent des Bierabsatzes in Baden-Württemberg aus. Dabei ist der Anteil seit 2017 konstant leicht ansteigend. Davon profitieren allerdings nur einige wenige Marktakteure", sagt der Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Brauerbunds, Hans-Walter Janitz. Das bedeutet: Der Absatz alkoholfreier Biergetränke kann den Rückgang bei alkoholhaltigen Produkten nicht kompensieren. Bei Wein dürfte es ähnlich aussehen, wie von Winzern zu hören ist.
Laut Brauerbund haben die Menschen durch die allgemeinen Preissteigerungen weniger Geld übrig, die Gastronomie hat zu kämpfen, und den Brauereien machen hohe Strompreise und Lohnkosten zu schaffen. Das macht sich auch bei den Steuereinnahmen bemerkbar: Das Aufkommen aus der Biersteuer geht zurück, laut Landesfinanzministerium auf rund 34 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Alle anderen Steuern auf Alkohol sind Bundessteuern. Mit ihnen wurden im vergangenen Jahr insgesamt 2,2 Milliarden Euro eingenommen.
Suchtmediziner bringt Werbeverbot für Alkohol ins Spiel
Die baden-württembergische Landesregierung steckt jedes Jahr mehr als zehn Millionen Euro in die Suchtprävention - dabei ist Alkohol allerdings nur ein Suchtmittel unter vielen. Speziell für Alkoholprävention gibt es das Bundesprogramm "HaLT", das in Baden-Württemberg vom Sozialministerium koordiniert und an 23 Standorten in den Regionen des Landes umgesetzt wird. Suchtmedizinern wie Maurice Cabanis vom Klinikum Stuttgart reicht das nicht. Er schlägt ein Werbeverbot für Alkohol vor und mahnt an, dass Süchtigen früher geholfen werden müsste. Neben mehr Aufklärung wünschen sich Betroffene wie Beate Vorberg auch, dass es in Zukunft nicht mehr so akzeptiert und einfach ist, überall an Alkohol zu kommen.
Informationen zur Wirkung von Alkohol, Tipps zu einem gesundheitsbewussten Umgang damit, Beratung und auch Hilfsangebote gibt es im Netz unter: www.kenn-dein-limit.de Das unabhängige Informationsportal ist ein Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Kooperation mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung.
Sendung am Do., 17.10.2024 20:15 Uhr, Zur Sache Baden-Württemberg, SWR BW