Forscher zu Kabinettsbeschluss "Symbolpolitik statt echter Prävention"
Mit härteren Strafen und schärferen Regeln für soziale Medien will die Bundesregierung Rechtsextremismus bekämpfen. Im Interview erklärt der Politologe Borstel, warum die Maßnahmen nur bedingt helfen.
tagesschau.de: Reichen die Maßnahmen der Bundesregierung aus, um Rechtsextremismus wirkungsvoll zu bekämpfen?
Dierk Borstel: Nein, das reicht natürlich nicht. Es sind einzelne Mosaiksteinchen, die mir sinnvoll erscheinen. Aber es ist auch viel dabei, was ich als symbolhaft bezeichnen würde. Und vor allem fehlen mir auch ganz zentrale Elemente. Es ist der Versuch, mit reiner Repression auf die zunehmende Radikalisierung zu reagieren. Dabei wissen wir seit sehr langer Zeit, dass das in der Form nicht funktionieren wird.
Der Politologe hat an der FH Dortmund den Lehrstuhl für praxisorientierte Politikwissenschaften inne. Er forscht seit Jahren zum Thema Rechtsextremismus und war unter anderem Gutachter im zweiten NPD-Verbotsverfahren.
tagesschau.de: Aber ist es nicht sinnvoll, gegen Hass im Netz vorzugehen und dazu auch Netzwerke wie beispielsweise Facebook stärker zur Verantwortung zu ziehen?
Borstel: Ich finde es richtig, über die Kommunikation im Netz zu diskutieren und auch die großen Betreiber sozialer Medien mit in die Pflicht zu nehmen. Das Problem ist, dass sie die wirklich gefährlichen Rechtsextremisten damit nicht aufspüren können. Neonazis diskutieren ja nicht in offenen Facebook-Gruppen, sondern sie gehen in die Tiefen des Internets rein, beispielsweise ins Darknet. Da müssen die Sicherheitsbehörden das Internet besser verstehen lernen, um Radikalisierung tatsächlich zu begreifen.
Rechtzeitig deradikalisieren
tagesschau.de: Dennoch ist das Internet ein Ort, an dem sich gerade Rechtsextreme radikalisieren. Wie kann man das verhindern?
Borstel: Alle diese Menschen hinterlassen Spuren im Netz - man muss sie nur finden. Im Bereich Islamismus gelingt das in einigen Internationalen Projekten auch relativ gut. Deshalb wäre es sinnvoll, dass wir Projekte entwickeln, wie sie auch zur Bekämpfung von Islamismus bestehen, die solche Spuren entdecken und sie auch zu lesen wissen.
Dabei muss man versuchen, in der Phase, wo solche Menschen sich gerade erst radikalisieren, kommunikativ an sie anzudocken - und sie zu deradikalisieren. Das ist eine wichtige Vorarbeit für spätere mögliche Ausstiegsprozesse. Das ist technisch und inhaltlich nicht einfach. Ich glaube auch nicht, dass Behörden das können - deshalb sollten sie sich auch externe Unterstützung dazuholen.
Ich bin aber überzeugt, dass es funktionieren kann. Denn wenn so ein Mensch erst einmal ein geschlossenes Weltbild entwickelt und sich möglicherweise bewaffnet hat, ist es zu spät.
Schärfere Strafen
tagesschau.de: Ein großes Problem im Internet sind zunehmende Hetze, Beleidigungen und Bedrohungen. Deshalb sollen die Strafen dafür verschärft und auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker besser geschützt werden.
Borstel: Das ist ein wichtiger Punkt in dem Papier. Mordaufrufe oder ähnliche Dinge gehören natürlich auch strafrechtlich belangt. Es ist wichtig, die Opfer zu schützen und zu diskutieren, welche Umgangsregeln wir im Netz haben wollen. Ob sich die Verschärfung bewährt, wird sich aber erst in der Praxis zeigen, denn bei Beleidigung geht es häufig um konkrete Formulierungen.
Wirkungslose Waffenrechtsverschärfung?
tagesschau.de: Ein wichtiger Bestandteil des Pakets ist die Verschärfung des Waffenrechts. Lassen sich so mögliche Mordanschläge verhindern?
Borstel: Das halte ich ebenfalls für Symbolpolitik. Wer Rechtsextremist ist und Waffen will, braucht Geld, aber keinen Schützenverein. Rechtsextremisten haben überhaupt keine Probleme, auf dem Schwarzmarkt Waffen zu bekommen - oder sie sich selber zu basteln.
Wir bewegen uns da im Bereich der Organisierten Kriminalität, zu denen organisierte Rechtsextremisten auch Zugang haben. Und von da brauchen wir Kontrolle und Strafen. Das ist schon richtig. Aber wir brauchen keine Massenabfrage beim Verfassungsschutz, wenn Schützenvereine neue Mitglieder aufnehmen.
tagesschau.de: Die Regierung will mehr Geld für Präventionsprogramme ausgeben und etwa dem Projekt "Demokratie leben" nun doch nicht nicht die Mittel kürzen - wie es geplant war. Ist das Aktionismus?
Borstel: Ich plädiere sehr dafür, nicht nur über Geld zu reden, sondern auch über die Qualität der jeweiligen Maßnahmen. Und da vermisse ich auch ein Stück Selbstkritik bei einigen Trägern, die über diese Programme finanziert werden.
Erfolg haben vor allem solche Maßnahmen gezeigt, die langfristig angelegt sind. Ähnlich wie in der politischen Bildung brauchen wir auch in der Extremismusprävention Strukturen, die auf zehn, 15 oder 20 Jahre ausgelegt sind und entsprechende Expertise aufbauen können. Inhaltlich reden wir da etwa zum Beispiel über Opferberatung oder die Beratung von Kommunen und Familien, die Probleme mit Rechtsextremismus haben - gerade auch online.
Vier Punkte gegen Rechtsextremismus
tagesschau.de: Wie müsste denn aus ihrer Sicht ein Paket gegen Rechtsextremismus aussehen?
Borstel: Mit Blick auf die Sicherheitsbehörden verweise ich auf den Untersuchungsausschuss zum NSU und dessen Forderungen. Da sind viele sinnvolle Vorschläge dabei, die aber bis heute auf eine Umsetzung warten. Etwa die Forderung, Lagebilder des Verfassungsschutzes zur Gefahr des Rechtsextremismus anzupassen.
Generell sollte ein Anti-Rechtsextremismus-Programm für mich vier Bausteine enthalten: Erstens qualitativ hochwertige Präventionsarbeit. Zweitens natürlich auch Repression, an der man im Detail auch noch nachjustieren kann. Diese beiden Punkte sind im Paket des Bundeskabinetts auch enthalten.
Was mir aber fehlt ist, drittens, eine konsequente Deradikalisierungs- und Ausstiegsarbeit. Damit meine ich eine professionelle Arbeit im rechtsextremen Feld und auch an den Tätern: Wir müssen ran an die Personen, die sich radikalisieren, und zwar in den Phasen, wo sie eben noch nicht zuschlagen oder morden.
Und viertens wir müssen uns weiter um die Integration der Gesellschaft kümmern. Überall da, wo Demokratie sich als stark erweist, als integrativ, als zugehörig, haben Rechtsextremisten es deutlich schwerer.
Das Interview führte Alexander Steininger.