Kampf gegen Plastikmüll Gratis-Tüten sollen verschwinden
Die EU hat der Plastiktüte den Kampf angesagt. In Deutschland wollen viele Geschäfte ihren Kunden von heute an die Tüten nicht mehr kostenlos mitgeben. Die freiwillige Vereinbarung - anstelle einer gesetzlichen Pflicht - hat aber Lücken und Tücken.
Ab dem 1. Juli wollen mehr Geschäfte und Kaufhäuser als bisher Geld für Plastiktüten verlangen. Doch das Datum markiert nicht - wie ursprünglich erwartet - einen flächendeckenden Umbruch im Umgang mit Plastik im deutschen Handel. Auch im zweiten Anlauf zu einer Selbstverpflichtung des Handels - der erste war Ende März gescheitert - steckt viel Ungewissheit.
Kein Gesetz, kein Zwang, nicht einmal eine verbindliche Selbstverpflichtung. Das Bundesumweltministerium handelte zwar mit dem Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE) eine Vereinbarung aus. Aber welche Unternehmen nun was tun, bleibt deren Sache und ist in der Praxis sehr unterschiedlich. Viele Unternehmen kündigen an, erstmal zu testen.
500 Jahre bis zum Zerfall
Plastik müllt die Meere zu und macht drei Viertel des Abfalls dort aus. 30 Millionen Tonnen Plastik landen nach Angaben des Umweltbundesamts weltweit jährlich im Meer. Die Menge summiert sich kontinuierlich, weil Plastik bis zu 500 Jahre braucht, um wirklich zu zerfallen. Mikroteilchen finden sich in den Mägen fast aller Meerestiere und Seevögel. Die Weichmacher daraus haben teilweise hormonartige Wirkung. Und am Ende isst der Mensch das alles auf.
Das hat die Europäische Union auf den Plan gerufen. Sie will den Verbrauch von Plastiktüten in der gesamten Union reduzieren: von derzeit knapp 200 pro Kopf und Jahr auf 90 im Jahr 2020 und auf 40 ab dem Jahr 2026. Gemeint sind dabei dickere Plastiktüten, wie man sie etwa in Elektronik- und Bekleidungsgeschäften, in Kaufhäusern, Drogerien, Apotheken oder auch bei Metzgern bekommt. Die ganz dünnen Dinger, etwa die in der Gemüseabteilung, sind davon nicht betroffen.
Bundesregierung entschied sich gegen Gesetz
Wir Deutschen lassen uns beim Einkauf im Jahr gut 70 Tüten mitgeben. Der Handlungsdruck ist deshalb geringer als etwa in Portugal, dem EU-Spitzenreiter mit gut 400 Tüten pro Kopf und Jahr. Die Bundesregierung entschied sich deshalb, zunächst kein Gesetz zu erlassen und keine Abgabe zu erheben. Zunächst soll der Handel die Möglichkeit bekommen, die Zahl selbst zu drücken.
Im ersten Schritt sollen 60 Prozent der Tüten und in zwei Jahren dann mindestens 80 Prozent nicht mehr verschenkt werden, sondern kostenpflichtig sein. Das sieht die Vereinbarung mit dem HDE vor, die allerdings noch nicht in Kraft ist. Der Unterschied: Eine Abgabe käme in den Staatssäckel. Wenn nun Unternehmen Geld kassieren, dann können sie das natürlich behalten. Der Kompromiss: ein Fonds, in den die Unternehmen Centbeträge einzahlen und aus dem Aktionen gegen den Meeresmüll finanziert werden sollen.
Doch der HDE vertritt ohnehin nur zwei Drittel des Handels. Und auch in seinen Reihen gibt es keineswegs Einigkeit. Fast die Hälfte der Unternehmen zieht nicht mit. Die Bäcker etwa scheren aus, obwohl sie kaum betroffene Tüten verteilen. Ihr Argument: zu viel Bürokratie.
Umweltverbände unzufrieden
Umweltorganisationen sind mit dem Durcheinander unzufrieden. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) etwa verlangt eine gesetzliche Abgabe von mindestens 22 Cent auf alle Tüten. Sie warfen Umweltministerin Barbara Hendricks schon beim letzten Anlauf vor, gegenüber der Wirtschaft eingeknickt zu sein. Selbstverpflichtungen seien immer erfolglos gewesen. Nur eine ausreichend hohe Abgabe auf alle Tüten könne wirken. In Irland habe sich das gezeigt: Dort sei der Verbrauch von 328 auf nur 16 Tüten pro Kopf und Jahr zurückgegangen.
Die Müllmengen in den Meeren sind unstrittig ein großes Problem. Aber sie sind nicht das einzige: In Deutschland hat sich die Menge an Kunststoffabfall nach Angaben des BUND zwischen 1994 und 2013 nahezu verdoppelt. Ein enormer Ressourcenverbrauch - denn für die Produktion jedes Kilos Plastik werden zwei Liter Öl verbraucht. Nicht einmal die Hälfte davon wird recycelt, das meiste wird verbrannt.
Plastikmüll verschmutzt nicht nur das Meer, sondern weltweit auch viele Strände wie hier im Senegal.
Unser Abfalltrennsystem sorgt aber zumindest dafür, dass viel weniger Tüten als in anderen Ländern einfach in der Landschaft liegen bleiben, dann in Flüssen und schließlich im Meer landen. Den meisten Müll dieser Art verursachen China und elf weitere südostasiatische Länder, Brasilien und fünf afrikanische Staaten, wie eine im Magazin "Science" veröffentlichte Studie gezeigt hat. Von den Industriestaaten gehören nur die USA in die Top 20.
Ökobilanz von Einweg-Papiertüten nicht besser
Tatsächlich ist es aber besonders einfach, die Zahl der Tüten einzuschränken. Denn es gibt jede Menge Alternativen: Stoffbeutel, Kunststoff-Recycling-Taschen und Körbe - schlicht alles, was sich dauerhaft nutzen lässt. Die Ökobilanz von Einweg-Papiertüten ist dagegen nicht unbedingt besser und auch sogenanntes "Bio"-Plastik, das abbaubar sein soll, findet bei Umweltverbänden keine Befürworter. Die meisten Verbraucher in Deutschland geben auch an, dass sie meistens ihre Taschen beim Einkaufen mitbringen. 80 Prozent der Befragten sind zudem damit einverstanden, dass sie für Tüten Geld zahlen müssen. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov.