Wer wählte was warum? Was der CDU den klaren Sieg bescherte
In NRW sah es lange nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD aus. Wie hat es die CDU geschafft, nun doch so klar zu gewinnen? Und was hat SPD und FDP so viele Stimmen gekostet?
Schwarz-Gelb und Rot-Grün - dass es zwei so klar erkennbare Lager gibt, ist bei Landtagswahlen eher selten geworden. In Nordrhein-Westfalen war das bislang so - und es erklärt zumindest zu einem Teil, warum die CDU die Wahl klar gewonnen hat - mit deutlichem Vorsprung vor der SPD.
Den Partner im Lager gewechselt
Denn viele Wählende sind offenbar ihrem Lager treu geblieben, sind dort aber vom einen auf den anderen Partner umgeschwenkt. Die CDU profitiert dabei von der Schwäche der FDP, die SPD wiederum leidet unter der Stärke der Grünen - und zudem besonders unter der sehr geringen Wahlbeteiligung.
Das zeigt sich deutlich an der sogenannten Wählerwanderung, die infratest dimap im Auftrag der ARD ermittelt. Laut vorläufigen Zahlen vom Abend bekommt die CDU fast eine viertel Million Stimmen von Menschen, die 2017 noch die FDP gewählt haben. Die SPD hingegen verliert in ähnlicher Größenordnung Wähler an die Grünen. Und etwa 310.000 Menschen, die 2017 ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, sind diesmal gar nicht zur Wahl gegangen.
Seit Mitte der 1990er nur Rot-Grün oder Schwarz-Gelb
Dass es in NRW diese Zwei-Lager-Logik bislang noch gab, lässt sich nicht nur daran erkennen, dass es in dem bevölkerungsreichsten Bundesland seit Mitte der 1990er-Jahre immer nur entweder eine rot-grüne Koalition gab oder eine schwarz-gelbe. Auch verschiedene Umfragen, die infratest dimap am Wahltag und den Tagen davor durchgeführt hat, belegen das.
Während etwa bei der Wahl in der vergangenen Woche in Schleswig-Holstein die amtierende Koalition und ihr Chef auch von Anhängern von Oppositionsparteien recht gut bewertet wurden, bleiben die Lager in NRW grundsätzlich erkennbar: FDP- und vor allem CDU-Wähler geben der amtierenden schwarz-gelben Landesregierung und ihrem Chef Hendrik Wüst tendenziell gute Noten, Wähler von Grünen und SPD tendenziell schlechte. Und auch bei vielen wichtigen Themen, wie etwa der Frage, ob am Atomausstieg festgehalten werden soll oder nicht, zeigen sich diese Lager.
Große Bedeutung bundespolitischer Themen
Wie in Schleswig-Holstein gab es auch in Nordrhein-Westfalen allerdings nicht das eine, bestimmende Thema für die Wählerinnen und Wähler. Doch sehr stark zeigt sich, dass Themen, die direkt oder zumindest indirekt einen Bezug zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben, ein Rolle gespielt haben - etwa die Sicherheit der Energieversorgung, die vor allem für CDU-Wähler ein wichtiger Grund war.
Die Preissteigerungen spielten für Anhänger der FDP eine wichtige Rolle, wo ein knappes Drittel das als wichtigsten Grund nennt, vor allem aber für Wähler der AfD, wo es fast die Hälfte waren. Ähnlich wie die Klimapolitik sind das aber Themen, bei denen die wichtigen Entscheidungen eher in Berlin als in Düsseldorf fallen.
Entsprechend groß dürfte der Einfluss der Bundespolitik auf diese Wahl gewesen sein, von wo derzeit nur für die Grünen deutlicher Rückenwind kommt. Als klassisches landespolitisches Thema wird in Nordrhein-Westfalen nur der Bildungspolitik von den Wählenden eine vergleichsweise große Bedeutung zugemessen.
Bei den Grünen war das Programm entscheidend
Bei den Kompetenzen - also der Frage, wem die Bürger zutrauen, ein bestimmtes Problem am ehesten zu lösen - gibt es einen ganz eindeutigen Gewinner: die Grünen, die auch insgesamt der große Gewinner der Wahl sind. In praktisch allen Kompetenzbereichen legen sie im Vergleich zur Wahl 2017 deutlich zu - zum Teil haben sich die Werte hier mehr als verdoppelt.
In drei der abgefragten Themenbereichen liegen sie sogar vor allen anderen Parteien: bei ihrem Kernthema Klima/Umwelt, aber auch bei der Energieversorgung und der Verkehrsproblematik. Und für 78 Prozent der Grünen-Wähler war das Programm der Partei der ausschlaggebende Faktor. Hier liegt also ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Grünen.
CDU mit hohen Kompetenzen in Kernbereichen
Bei Wählern von CDU und SPD spielten hingegen die langfristige Parteibindung und der Kandidat eine größere Rolle. Auch hier war das Programm aber der wichtigste Faktor. Bei beiden Parteien ist es so, dass sie in allen Kompetenzbereichen im Vergleich zu 2017 mehr oder weniger große Verluste hinnehmen müssen - das allerdings auf relativ hohem Niveau. In Kernbereichen wie Wirtschaft, Arbeitsplätze oder Bildungspolitik bleiben CDU und SPD trotz der Verluste klar vor allen anderen Parteien.
Und auch bei der "Meta-Frage", wer die wichtigsten Aufgaben in NRW am ehesten lösen kann, liegen CDU mit 30 Prozent und die SPD mit 27 Prozent weiterhin klar vor den Grünen mit zehn Prozent und FDP und AfD mit je fünf Prozent.
Anders sieht das Bild aus, wenn man danach fragt, welche Partei die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft hat. Hier liegen die Grünen mit klarem Abstand vor der CDU. Doch egal auf welche dieser Fragen man schaut: Die CDU schneidet nirgendwo schlecht ab - ein weiteres Argument für ihren Wahlsieg.
Miserable Bewertung für Schulpolitik der FDP
Bei der FDP gibt es ein Thema, das sie vermutlich sehr viele Stimmen gekostet haben dürfte: Die Schulpolitik, die sie in den vergangenen fünf Jahren unter ihrer Ministerin Yvonne Gebauer zu verantworten hatte. Zwei Drittel der Wahlberechtigten in NRW und selbst knapp die Hälfte der FDP-Wähler sagen, hier hat die FDP in Zeiten der Corona-Pandemie versagt.
Bei der CDU wird vor allem die Corona-Politik generell kritisch gesehen. 60 Prozent der Wahlberechtigten sagen, hier habe die CDU Vertrauen verspielt. Dafür dürfte aber vor allem der frühere Ministerpräsident Armin Laschet verantwortlich sein, dem in der Vergangenheit ein Zickzackkurs vorgeworfen wurde, und nicht der amtierende Hendrik Wüst.
Kein "Amtsbonus" für Wüst, aber...
Personen spielten bei dieser Wahl nicht eine solch herausragende Rolle wie vor einer Woche in Schleswig-Holstein, wo der überragende Sieg der CDU zum großen Teil auf die Beliebtheit von Ministerpräsident Daniel Günther zurückzuführen war.
In Nordrhein-Westfalen hingegen sind nur 48 Prozent mit der Arbeit des amtierenden Ministerpräsidenten Wüst zufrieden - ein Wert weit entfernt von Günthers 75 Prozent. Und auch wenn man alle anderen Landtagswahlen der vergangenen fünf Jahre als Vergleich heranzieht, liegt Wüst auf einem der letzten Plätze - mit ähnlich niedriger Bewertung wie Tobias Hans bei der Saar-Wahl im Frühjahr und Markus Söder bei der Wahl in Bayern 2018.
Wüst "gut ins Amt hineingefunden"
Einen Amtsbonus bringt Wüst also nicht mit. Trotzdem spielt er eine wichtige Rolle dabei, dass die CDU quasi auf den letzten Metern den Abstand zur SPD noch derart vergrößern konnte. Denn man muss berücksichtigen, dass Wüst als Nachfolger von CDU-Kanzlerkandidat Laschet nur ein gutes halbes Jahr im Amt war. Und immerhin 61 Prozent der Wahlberechtigten in NRW bescheinigen ihm, sich in dieser kurzen Zeit gut ins Amt hineingefunden zu haben - darunter auch viele, die keine CDU-Anhänger sind.
Dass es der CDU gelungen ist, im Vergleich zur den Vorwahlumfragen deutlich zuzulegen, dürfte viel damit zu tun haben, dass es Wüst gerade in den zurückliegenden Wochen gelungen ist, sich zu profilieren.
Wähler kennen viele Kandidaten nicht mal
Zudem schneidet Wüst von allen Landespolitikern in der Bewertung der Menschen in NRW immer noch am besten ab und hat auch den mit Abstand höchsten Bekanntheitsgrad. Für immerhin gut ein Drittel derjenigen, die tatsächlich die CDU gewählt haben, war er der entscheidende Grund für die Wahlentscheidung - kein überragender Wert wie bei Günther in Schleswig-Holstein, aber auch kein schlechter.
Die Spitzenkandidaten aller anderen Parteien leiden hingegen darunter, dass sie vielen Menschen im Land nicht mal bekannt sind. Das gilt eingeschränkt auch für SPD-Mann Thomas Kutschaty, mit dessen politischer Arbeit immerhin noch 38 Prozent zufrieden sind.
AfD keine reine Protestpartei mehr
Neben CDU, SPD, Grünen und FDP wird als fünfte Partei auch die AfD wieder im Landtag vertreten sein. Wie überall bindet sie auch in NRW stark die Gruppe der generell Unzufriedenen. Davon gibt es in NRW deutlich mehr als in Schleswig-Holstein, wo die AfD an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. In NRW schafft sie den Sprung über diese Hürde dennoch nur ganz knapp.
Außerhalb ihres - zum Teil sehr weit rechts stehenden - Kernklientels kann sie diesmal aber kaum punkten. Allenfalls gelingt ihr das mit ihrer restriktiven Haltung beim Thema Flüchtlinge und ihrem Einsatz gegen Corona-Beschränkungen - zwei Themen, die bei der Wahl allerdings keine große Rolle spielten. Eine reine Protestpartei ist die AfD aber auch in NRW nicht mehr. Bei einigen Themen gewinnt sie in der Wahrnehmung der Wähler an Sachkompetenz. Beim Thema Innere Sicherheit etwa trauen ihr inzwischen immerhin acht Prozent die besten Lösungen zu. Das ist zwar weit entfernt von den 42 Prozent der CDU, aber immerhin doppelt so viel wie bei der FDP - und mehr als das Wahlergebnis der AfD.
Nur die Grünen leiden nicht unter der Wahlbeteiligung
Neben der SPD sind es übrigens auch FDP und AfD, die besonders unter der geringen Wahlbeteiligung leiden. Sie haben - laut den vorläufigen Zahlen - 130.000 beziehungsweise 160.000 ehemalige Wähler ins Lager der Nichtwähler verloren. Gemessen an den Prozentwerten, die beide bei der Wahl erreichen, ist das sehr viel.
Die einzige Partei, die nicht unter der niedrigen Wahlbeteiligung zu leiden hatte, sind die Grünen. Ihnen gelingt es sogar, etwa 30.000 Menschen zum Gang zur Urne zu bewegen, die 2017 nicht zur Wahl gegangen waren. Und den Grünen gelingt es auch in größerem Umfang, Wähler aus dem anderen politischen Lager herüberzuziehen - was bei einer Verdreifachung des Wahlergebnisses statistisch nicht überraschend ist: Rund 100.000 kommen von der FDP, 140.000 von der CDU.
Die Zeit der rot-grünen/schwarz-gelben Lager-Logik ist mit dem heutigen Tag also auch in NRW zu Ende - das zeigt sich auch mit Blick auf die möglichen Koalitionen. Denn nach dem Ergebnis der Wahl sind rechnerisch Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder eine Ampel möglich. Für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb reicht es hingegen nicht mehr.