AfD-Ergebnis in Niedersachsen Eine Art Sieg für Chrupalla
Für AfD-Co-Parteichef Chrupalla ist das Abschneiden bei der Wahl in Niedersachsen ein Erfolg. Wie groß sein Anteil daran ist, bleibt aber fraglich - viele wählten aus Protest. Und der innere Unfrieden der Partei ist real.
Es ist sein erstes Mal, und seine Freude darüber ist sichtbar groß - am Wahlabend und auch am Tag danach noch. Tino Chrupalla ist seit drei Jahren Co-Parteivorsitzender der AfD, jetzt kann er erstmals an einem Wahlabend eine Art Sieg feiern. Seine gesamte Amtszeit lang hat er es bisher nicht erlebt, dass seine Partei Prozentpunkte bei einer Bundestags- oder Landtagswahl zugelegt hat. Einige Parteifreunde hatten schon versucht, ihm das anzulasten, seine Wiederwahl durch diesen Fakt zu verhindern. Wiedergewählt wurde er trotzdem. Dass er mit dem kleinen Wahlsieg gestern seine Kritiker auf die Plätze verwiesen hat, ist für Chrupalla eine große Genugtuung.
"Wir haben Ruhe im Bundesvorstand, sonst hätten wir dieses Ergebnis ja nicht erzielt", erklärte er in der ARD-Wahlsendung. Endlich hat er ein Argument für seine immer wieder vorgebrachte These, dass es nicht seine eigene Unbekanntheit oder Profillosigkeit war, die der AfD geschadet hat, sondern der ehemalige Co-Chef Jörg Meuthen. Der war zuletzt gegen den rechtsextremen Flügel der AfD vorgegangen und hatte damit so große Unruhe ausgelöst, dass selbst eine Parteispaltung nicht mehr ausgeschlossen schien.
Chrupalla konnte dabei nur zusehen, die Mehrheit des Bundesvorstandes folgte Meuthen. Nun leitet Chrupalla diesen in neuer Zusammensetzung mit Co-Chefin Alice Weidel. Keiner dort sieht mehr ein Problem in den Rechtsganzaußen innerhalb der AfD. Es ist seitdem vorbei mit der "Distanzeritis", wie einige Parteimitglieder über Meuthens Vorgehen schimpften.
Ein konzentrierter, leiser, vertrauensvoll zusammenarbeitender Bundesvorstand, so beschreibt es Chrupalla auch am Tag danach noch, habe den Grundstein zum Erfolg gelegt. Doch ob der Wahlerfolg zu so großen Teilen auf sein Co-Chef-Konto geht, daran lassen die Wählerbefragungen zweifeln. Mehr als die Hälfte der AfD-Wähler gaben dabei an, ihr Kreuz aus Enttäuschung über die anderen Parteien gesetzt zu haben. 90 Prozent sahen in der AfD die einzige Partei, mit der sie ihren Protest gegenüber der vorherrschenden Politik ausdrücken konnten. Von einer langfristigen Parteibindung sprechen nur zehn Prozent.
Kompetenzwerte der AfD sind im Keller
Besonders ernüchternd: Die Kompetenzwerte der Partei sind allesamt im Keller. Bundesvorstandsmitglied Martin Reichardt offenbarte noch auf der Wahlparty in Hannover seine eigene Analyse, in dem er das Niedersachsenlied umringt von seinen Parteifreunden am Mikrofon umdichtete: "Wo versank die gelbe Brut? An Niedersachsens Wut!" Der politische Gegner müsse aus den Parlamenten gejagt werden - mit "Geist und Intellekt", schrie er geradezu im Applaus.
Wut abzurufen, die mitunter durch die AfD selbst herbeibeschworen wird, scheint in diesem Fall gelungen. Es steckt schon im Parteinamen - die AfD will eine Alternative sein. Und man muss ihnen zugestehen, das haben sie in den vergangenen Jahren sehr konsequent durchgezogen. Egal, welches Thema ganz oben auf der politischen Agenda stand: Die AfD hat fast immer die Position gewählt, die am weitesten von den anderen entfernt war. Raus aus dem Euro, damit ging es los. Mit der radikalen Ablehnung der Flüchtlinge 2015 hatten sie ihren größten Erfolg. Doch ihre Anti-Haltung funktionierte in letzter Zeit nicht mehr, vor allem, weil die Partei oft gegen die Wissenschaft argumentieren musste. Den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, die Gefahren des Coronavirus abzutun - das verfängt selbst bei Protestwählern nicht.
AfD weiß Angst vor sozialem Abstieg zu nutzen
Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine besetzen sie wieder eine Position, die weit jenseits ihrer Konkurrenz liegt. Nord Stream 2 öffnen, alle Sanktionen gegen Russland fallen lassen, dazu die Angst vor einem Dritten Weltkrieg hervorheben - es mag für viele schwer erträglich sein, aber in der Gefühlswelt der Bevölkerung finden sie damit Gleichgesinnte. Die Hoffnung, alles könnte mit einem russlandfreundlicheren Kurs doch schnell wieder so werden wie vor dem Angriff, wir Deutsche könnten uns einfach neutral heraushalten, ist verbreitet. Die Sehnsucht nach Frieden, die Angst vor dem sozialen und finanziellen Abstieg: Die AfD weiß sie zu nutzen.
Dass Chrupalla auch am Tag nach der Niedersachsenwahl wieder in einer Pressekonferenz über den "Wirtschaftskrieg" spricht, den die Bundesrepublik mit den Sanktionen gegen Russland aufgerufen habe, können andere wohl nur noch kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Ebenso auch seine Reaktion angesichts der großflächigen Bombardierungen ukrainischer Städte: "Wissen Sie, im Krieg sterben auf beiden Seiten viele Menschen. Ich fange nicht an, moralisierend das eine gegen das andere auszuspielen." Wer der Aggressor ist, wer der Angegriffene - für die AfD scheint das keine Rolle zu spielen - solange Wähler ihren Parolen folgen.
Bleibt der Konflikt ungelöst, die Sorge um die Energieversorgung groß, könnte das der AfD auch in Westdeutschland Zuspruch bringen. Innere Widersprüche scheinen daran nichts zu ändern. Zum Beispiel, dass auf AfD-Demonstrationen mittlerweile neben Deutschlandfahnen auch eine steigende Anzahl an Russlandfahnen geschwenkt werden - bei einer Partei, die mit dem Slogan "Deutschland zuerst" wirbt.
Rechtsextreme könnten noch Ärger machen
Die AfD punktet mit Ressentiments, Angst und Protest. Über den innerparteilichen Unfrieden kann das aber nur schwer hinwegtäuschen. Die von Chrupalla so oft betonte Geschlossenheit wird schon am Wahlabend auf die Probe gestellt. In einer internen Chatgruppe kommentiert der ehemalige Landesvorsitzende Hampel das Wahlergebnis: "AfD siegt glanzvoll unverdient". Er steht dem rechtsextremen Flügel der AfD nahe, der der aktuellen Parteiführung auch trotz seiner offiziellen Auflösung noch Ärger machen könnte.
Denn auch wenn Chrupalla die Meuthen-Machtkämpfe gewonnen haben sollte, er steckt längst in einem neuen mit Björn Höcke. Der rechtsextreme Landeschef aus Thüringen macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen auf den Chefposten. Chrupalla und Weidel mögen politischen Beobachtern schon extrem vorkommen - doch in der AfD könnten sie noch von rechts überholt werden.