Deutsche Nahost-Politik Vermittlungsbemühungen im Schatten des Holocaust
Zwei Tage hat Außenminister Steinmeier versucht im Gaza-Krieg zu vermitteln. Doch unter welchen Bedingungen findet deutsche Nahost-Politik statt? Sie stehe immer in Schatten des Holocaust, sagt der Nahost-Experte Markus Kaim im Interview. Andererseits finde Deutschland mehr Gehör in Israel als andere Staaten.
Zwei Tage hat Außenminister Steinmeier versucht im Gaza-Krieg zu vermitteln. Doch welche Grenzen sind der deutschen Nahost-Politik gesetzt? Darüber haben EinsExtra-aktuell und tagesschau.de mit Markus Kaim gesprochen, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Was kann angesichts der Kämpfe im Moment im Nahost-Konflikt überhaupt erreicht werden?
Markus Kaim: Der nächste realistische Schritt ist eine Waffenruhe, was ja auch die Zielrichtung des Besuchs von Bundesaußenminister Steinmeier war. Zuerst müssen erstens der Raketenbeschusses auf Israel und zweitens der Waffenschmuggel in den Gazastreifen hinein beendet werden. Drittens muss der Gazastreifen nicht nur für humanitäre Hilfsgüter geöffnet werden, sondern mittelfristig auch für eine ökonomische Wiederbelebung und eine Einbettung des Gazastreifens in die Region Sorge getragen werden.
Bundesaußenminister Steinmeier hat Ägypten deutsche Unterstützung bei dieser Grenzsicherung in Aussicht gestellt, wie könnte dies konkret aussehen?
Kaim: Es gibt ja mittlerweile eine UN-Resolution aus der vergangenen Woche, die dies bereits avisiert hat. Ägypten könnte durch eine internationale Unterstützungstruppe dabei begleitet werden, die Tunnel zu kontrollieren und zu sprengen und damit sozusagen zu versiegeln. Offen ist allerdings, ob das ausreichen wird, um einen Beschuss Israels durch die Hamas endgültig zu beenden. Denn die Palästinenser benutzen relativ primitive Raketen, die mit geringem Aufwand hergestellt werden können. Die Kontrolle des Waffenschmuggels enthebt die internationale Gemeinschaft also nicht der Aufgabe, eine eine politische Lösung für den Konflikt zu finden.
Unter welchen besonderen Bedingungen findet denn die Nahost-Politik Deutschlands statt?
Kaim: Die deutsche Nahost-Politik steht seit 1949 immer im Schatten der Geschichte und des Holocausts. Die besondere Verantwortung für Israel haben alle Bundesregierungen seither immer wieder betont. Die deutsche Politik ist somit "strukturell parteilich". Aufgrund der Geschichte wird dem israelischen Anliegen immer mehr Platz und Verständnis eingeräumt, als der palästinensischen bzw. arabischen Seite.
Wie kann Deutschland angesichts der Geschichte überhaupt agieren?
Kaim: Der Vorteil Deutschlands im Vergleich zu anderen Staaten der europäischen Union ist gerade diese historisch besondere Parteilichkeit Deutschlands gegenüber Israel. So findet Deutschland weit mehr Gehör in Israel als andere Staaten, gerade weil es frei ist von jedem Verdacht zu Ungunsten Israels zu argumentieren. Aus diesem Grund kann Deutschland einen einzigartigen Beitrag zu den Vermittlungsbemühungen im Nahen Osten leisten. Auf der anderen Seite reagieren im Moment weder Israel noch die Palästinenser auf Vermittler, so dass auch deutsche Bemühungen wenig Chancen haben.
Könnte Deutschland über die Europäische Union Einfluss auf Israel nehmen?
Kaim: An diesem Konflikt ist das Grundproblem der europäischen Außenpolitik wieder einmal deutlich geworden: Die EU spricht nicht mit einer Stimme. So haben der tschechische Außenminister Schwarzenberg und Bundeskanzlerin Merkel zunächst den Schutz und das legitime Recht Israels auf Selbstverteidigung in den Mittelpunkt gestellt. Auf der anderen Seite haben der britische Premier Brown und der französische Präsident Sarkozy das Leid der Palästinenser betont. Auch in den letzten Tagen gab es viele unterschiedliche Positionen und Wortmeldungen aus der EU. Ihre Wirkung auf die Konfliktparteien im Nahen Osten blieb ergebnislos.
Von wem lässt sich Israel überhaupt in seiner Politik gegenüber den Palästinensern beieinflussen? Von den USA?
Kaim: Die USA sind der wichtigste Alliierte Israels, der größte externe Finanzgeber und der größte Waffenverkäufer an Israel. Über diese Verbindungen könnten die USA theoretisch Einfuss nehmen, indem sie zum Beispiel Hilfszahlungen an bestimmte Bedingungen knüpfen oder Waffenlieferungen verzögern. Aber dies ist in den letzten vierzig Jahren fast nie passiert.
Markus Kaim leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Der Konfliktforscher lehrt unter anderem an der Universität Zürich und der Hertie School of Governance in Berlin.
Die Fragen stellten Simone von Stosch und Rike Woelk