Zwischen Migration und Tourismus Herausforderung Lokaljournalismus auf Usedom
Was bewegt die Menschen auf Usedom? Darüber berichtet Lokaljournalistin Ploch. Gerade bei Themen wie Migration ist es für sie oft schwer, Menschen zu finden, die offen darüber sprechen möchten. Und das Klima wird rauer.
Ihre Kamera klickt - auf Usedom, rund drei Kilometer entfernt von der deutsch-polnischen Grenze. Stefanie Ploch kniet am Wolgastsee in Korswandt, um ein Foto einer Insulanerin zu schießen. Die 28-Jährige ist Lokalchefin der Ostsee-Zeitung auf Usedom, recherchiert gerade über Geflüchtete. "Wie hast du dich gefühlt bei der Begegnung?", fragt Ploch die Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. "Hier oben auf Usedom hätte ich nie damit gerechnet", antwortet die 33-Jährige. "Ich war so schockiert." Die Insulanerin schildert, wie plötzlich acht geflüchtete Somalier vor ihr an der Grenze zu Polen standen: "Hier im Wald, hier würde ich nicht mehr langlaufen alleine."
Recherche über Geflüchtete an deutsch-polnischer Grenze
Geschichten, die Menschen auf Usedom bewegen - darüber berichtet Stefanie Ploch mit ihrem Team. Die Journalistin sitzt schon wieder im Auto mit der Aufschrift "Ostsee-Zeitung", fährt zum nächsten Termin. Ihr Kollege Henrik Nitsche ist per Freisprechanlage am Telefon. "Und war sie gut drauf?" will der Redakteur der Ostsee-Zeitung über das Treffen mit der Usedomerin zu Geflüchteten wissen. "Ja, sehr offen", antwortet Ploch. "Sie hat mir viel von ihren Ängsten erzählt und es war sehr spannend."
Ploch auf Recherche am Wolgastsee. Es ist nicht immer leicht, Gesprächspartner zu finden.
Top-Themen Migration, Verkehr, Handel und Tourismus
Migration, Verkehr, Handel und Tourismus - das sind einige der Top-Themen, über die Stefanie Ploch von Zinnowitz aus auch mit Leserinnen und Lesern der Ostsee-Zeitung diskutiert, vor allem über Social Media. Nach einer Geschichte über eine Syrerin, die ein Lebensmittelgeschäft in Wolgast eröffnet hat, kamen mehr als 2.000 Kommentare innerhalb von drei Tagen. "Bald gibt es keine deutschen Läden mehr, nur noch arabische", liest die Lokalchefin der Ostsee-Zeitung einen Eintrag vor.
Strafrechtlich relevante Kommentare muss sie verbergen oder löschen. "Ich bin dem gar nicht mehr wirklich Herr geworden, weil das so auf mich eingeprasselt ist", erzählt Ploch. Im Sekundentakt seien neue Einträge gekommen, erzählt sie. Darin zeige sich nicht nur Hass gegen Geflüchtete, sondern auch "Hass gegen uns Journalisten".
Wie die Menschen erreicht werden können
Auf den Straßen in Zinnowitz kommt ihr Hass selten entgegen. Aber einige Menschen haben sich von Tageszeitungen abgewandt - weil sie zu teuer, weil online viele Informationen schneller verfügbar seien oder der Informationsfluss ohnehin schon viel zu hoch sei.
In der Redaktionskonferenz der Ostsee-Zeitung in Rostock analysiert Chefredakteur Andreas Ebel mit seinem Team, welche Beiträge viele Menschen erreichen. Er nennt eine Geschichte über ein Flüchtlingsheim in Ziesendorf sowie eine Rassismus-Debatte über ein Restaurant mit 25.000 Seitenaufrufen. Stefanie Ploch ist per Videokonferenz dazugeschaltet.
Beschimpfungen und Beleidigungen
Ihr Chef merkt, dass sie und ihre Kollegen häufiger angegriffen werden. "Bei Corona-Demos, da gab es auch mal Beschimpfungen, auch vor dem Redaktionsgebäude. Da hat ein Demonstrationszug mal Lügenpresse gebrüllt und hat auch Kollegen beleidigt - auch mich", erinnert sich der Chefredakteur. "Wir reden sehr viel in der Redaktion darüber." Journalisten dürften seiner Meinung nach nicht nachgeben: "Es darf ja nicht die Folge sein, dass wir dann Angst haben, über Dinge zu berichten, nur weil das Klima rauer wird."
Ostsee-Zeitung startet polnische Online-Ausgabe
In Polen hatte die PiS-Regierung bis zur vergangenen Parlamentswahl die freie Presse unter Druck gesetzt. Da die deutsch-polnische Grenze durch Usedom läuft, haben Stefanie Ploch und ihr Team vor dreieinhalb Monaten eine polnische Online-Ausgabe der Ostsee-Zeitung gestartet. So wollen die Journalisten ein Informationsvakuum füllen. Die Lokalchefin schreibt aber weiterhin auf Deutsch.
Für ihre Recherche über Geflüchtete an der Grenze hat sie sich mit der Usedomerin in ein Restaurant am Wolgastsee gesetzt, weil es der Insulanerin und ihr draußen zu kalt ist. Die Interviewte erzählt ihr, warum die meisten in ihrem Umfeld öffentlich schweigen. "Viele Leute haben mich angeschrieben: 'Oh! Ich habe so Angst!' Ich sage: 'Mach doch den Mund auf! Kann passieren in der heutigen Zeit.' Macht aber niemand, und das ist das Problem", sagt die 33-Jährige. "Deswegen bin ich auch froh, dass du auf uns zugekommen bist und gesagt hast, du möchtest gerne darüber sprechen", entgegnet ihr Ploch.
"Bei uns kommen die Pressemitteilungen rein, dass wieder Geflüchtete aufgegriffen wurden", sagt die Journalistin. "Man merkt es in der Bevölkerung hier, dass die Stimmung so langsam kippt. Aber wenn wir niemanden haben, der uns das so widerspiegelt, über den wir schreiben können oder der uns das beschreibt, wie er sich wirklich fühlt, dann können wir es auch nicht aufgreifen." Auch zu dieser Geschichte erwartet Stefanie Ploch wieder viele Kommentare.