"Snowfarming" in Oberstdorf Trainingsfreude auf übersommertem Schnee
Noch sind die Wiesen in Oberstdorf grün. Doch wie ein weißes Band schlängelt sich eine erste Loipe durch die Landschaft, Langläufer ziehen ihre Runden. Der Schnee hat aus der letzten Saison übersommert.
Voller Vorfreude schnallt sich Theresa Berktold die Langlaufski an: "Das ist super! Eine tolle Möglichkeit, daheim zu trainieren."
Die Jugendtrainerin vom Skiclub Oberstdorf ist zum ersten Mal mit den jungen Nachwuchssportlern auf der Loipe - in echtem Schnee. Obwohl noch keiner gefallen ist und auch die Nächte noch zu warm sind, um Kunstschnee zu produzieren. "Snowfarming" macht es möglich.
Ende März hatte das Team vom Nordic Zentrum Oberstdorf dafür knapp 5000 Kubikmeter Schnee eingelagert, rund 40.000 Euro wurden investiert.
Geschäftsführer Speigl und seine Mitarbeiter lagerten im März Tausende Kubikmeter Schnee ein.
Leistungssportler brauchen frühes Training auf Schnee
Deutschlands südlichste Gemeinde ist bekannt für seine Nordischen Kombinierer. Spitzensportler wie Vizenz Geiger oder Johannes Rydzek trainieren hier, viel Engagement fließt in die Nachwuchsförderung.
Zwar habe man im Sommer die Möglichkeit, mit Rollski auf der Rollerbahn zu trainieren, erklärt Nordic-Zentrum-Geschäftsführer Florian Speigl. Doch das Gefühl sei nicht vergleichbar. Um bei Wettbewerben vorn mitzulaufen, müssten die Athleten wieder ein Gespür fürs Gleiten entwickeln - und genau dafür brauche es ein möglichst frühes Training auf Schnee.
Die Wintersportler müssen nach der Sommerpause wieder ein Gespür für Schnee bekommen - deswegen ist die Loipe für sie so wichtig.
Hackschnitzel gegen die Hitze
Der Kunstschnee stammt aus der vergangenen Saison, wurde in den kalten Nächten Ende Januar produziert. Damals wurde er mit Schneekanonen hergestellt. Abgedeckt unter einer rund 50 cm dicken Schutzschicht aus Hackschnitzeln und Sägemehl lagerte der Schneehaufen den Sommer über im Langlaufzentrum.
Für Oberstdorf war es der erste Versuch, Schnee über den Sommer zu retten.
"Snowfarming" hat sich vielerorts bewährt
Andernorts gehört "Snowfarming" längst zur gängigen Praxis. Von Skandinavien über die Schweiz und Italien bis hin zu Slowenien - viele bekannte Wintersportorte setzen seit Jahren auf das Übersommern von Schnee.
Auch in Bayern ist die Technik längst im Einsatz. Seit 2005 werden in Ruhpolding jedes Jahr durchschnittlich 14.000 Kubikmeter Schnee über den Sommer deponiert. Man habe über die Jahre dazugelernt, erklärt Alois Reiter vom dortigen Wintersportzentrum Chiemgau Arena, schaffe es mittlerweile beständig, dass über den Sommer nur rund 25 bis 30 Prozent des Schnees schmelzen. Damit, sagt Reiter, gebe es jedes Jahr genug Schnee, um die Trainingsloipe frühzeitig zu präparieren.
Der Snowfarming-Berg wurde über den Sommer mit einem halben Meter Sägemehl und Hackschnitzel isoliert.
Hochsommerhitze setzte dem Schneedepot zu
Das ist auch die Hoffnung in Oberstdorf. Doch schon im Sommer zeigten sich erste Sorgen: Der fürs Schneedepot gewählte Standort lag täglich viele Stunden in der Sonne, die benachbarte asphaltierte Rollerbahn strahlte zusätzlich Wärme ab. Immer wieder mussten Risse in der isolierenden Schutzschicht verschlossen werden.
Erst Ende November sanken die Temperaturen Richtung Gefrierpunkt - und damit weit genug, um den Schnee freizulegen. Ein Bagger räumte Hackschnitzel und Sägemehl zur Seite, mit Hilfe einer Schneefräse und Traktoren wurde der übriggebliebene Schnee auf der Strecke verteilt und anschließend als Loipe präpariert.
Die große Frage war: Wie viel Schnee ist übrig?
Nun steht fest: Der Schnee reichte aus, um eine 900 Meter lange Loipe zu präparieren. Knapp 3000 Kubikmeter sind übrig, konkret 59 Prozent der eingelagerten Menge.
Das ist weniger als erhofft, doch für den ersten Versuch im Übersommern sind die Verantwortlichen zufrieden. Nordic-Zentrum-Geschäftsführer Speigl sagt: "Die Konsistenz des Schnees ist gut, also optimale Trainingsbedingungen hier für den Stützpunkt in Oberstdorf."
Und genau darum geht es. Durch den eingelagerten Schnee sollen die heimischen Athleten und Nachwuchssportler möglichst früh im Jahr wieder auf Schnee trainieren können.
"Wie Champagner in den Gulli zu kippen"
Kritik kommt vom BUND. Michael Finger aus Oberstdorf kritisiert, dass für eine kleine Zielgruppe ein "absolutes Luxusprodukt" eingelagert werde. Anstatt darauf zu warten, dass es in wenigen Wochen schneit, müsse beim Übersommern von Schnee ein Vielfaches der benötigten Menge produziert werden, um nach den heißen Sommertagen eine Loipe präparieren zu können.
Denke man an Energie und Kosten, die durch Produktion, Abdecken, Verteilen und Präparieren verursacht würden, sei das in Zeiten von Klimawandel und Energiekrise für viele, wie "Champagner in den Gulli zu kippen - oder eine Ohrfeige ins Gesicht".
"Snowfarming" als Strategie gegen den Klimawandel
Ralf Roth forscht mit seinem Team an der Deutschen Sporthochschule Köln schon seit Jahren zu nachhaltiger Sportentwicklung. In Oberstdorf, wo mit Hilfe des eingelagerten Schnees vor allem ein früherer Trainingsstart für die Athleten und den Nachwuchs gesichert werden soll, hält der Professor das Übersommern von Schnee aus energetischer Sicht für vertretbar.
Es sei völlig unstrittig, dass in Folge der globalen Erwärmung die natürliche Schneedecke weiter zurückgehen werde. Die Sportler könnten mithilfe des gebunkerten Schnees an ihrem Heimatort trainieren, müssten keine weiten Reisen ins Ausland oder auf Gletscher machen. Demzufolge, sagt Roth, ließe sich der CO2-Fußabdruck mit Hilfe von Snowfarming sogar verringern.
Loipe lockt viele Menschen an
Der Trainingsbetrieb auf der neuen Loipe in Oberstdorf läuft bereits. Auch viele Privatpersonen möchten die neue Strecke testen und auf der bislang einzigen Loipe im Allgäu ihre Runden ziehen. Um den Andrang etwas steuern zu können, müssen sich Hobbysportler nun vorab über die Internetseite des Nordic Zentrums Oberstdorf anmelden.
Ob das "Snowfarming" in Oberstdorf ein einmaliger Versuch bleiben oder wiederholt werden wird, steht noch nicht fest. Eine Entscheidung soll noch im Dezember fallen. Dann müsste schon bald neuer Kunstschnee produziert werden, der im kommenden Jahr in Oberstdorf übersommert.