ÖPNV auf dem Land Busfahrt auf Bestellung
Nahverkehr im ländlichen Raum ist meist wenig attraktiv. Kommunen wie Höxter testen nun Rufbus-Systeme - mit Erfolg. Ein Zukunftsmodell für den ÖPNV?
Früher hätten sie mehrere hundert Meter weit zur nächsten Haltestelle laufen müssen und dann im Zweifel eine Stunde auf den nächsten Bus gewartet, erzählt Rentnerin Silvia Knappe.
Der "Holibri" hat ihr Leben und das ihres Mannes, der im Rollstuhl sitzt, zum Positiven verändert. "Das passt einfach optimal, wir sind dankbar, dass es das gibt", sagt sie.
Fahrgastzahlen fast verdreifacht
Noch vor zwei Jahren gab es in der 30.000-Einwohner-Stadt Höxter fünf Stadtbuslinien. Mit Ausnahme der Schulzeiten fuhren die Busse fast leer durch das weitläufige, ländlich geprägte Stadtgebiet, so beschreibt es Marcus Klugmann, Geschäftsführer des Nahverkehrsverbunds Paderborn/Höxter.
Also wagten sie in Höxter ein Experiment. Mithilfe von Zuschüssen vom Land Nordrhein-Westfalen - 1,5 Millionen Euro verteilt auf drei Jahre - haben sie ein On-Demand-Bus-System entwickelt, den "Holibri". Fünf voll elektrische Kleinbusse ersetzen seit Dezember 2021 vier der ehemals fünf Stadtbus-Linien.
Für Silvia Knappe und ihren Mann ist der Bus eine echte Verbesserung.
Einen Fahrplan gibt es nicht mehr, die Kunden buchen ihre Fahrten per App oder telefonisch. Sie zahlen dafür den normalen Westfalen-Tarif oder nutzen ihr Deutschlandticket. 1.300 Haltepunkte fährt der "Holibri" an, gibt es mehrere Buchungen gleichzeitig, werden Fahrten zusammengelegt, per Algorithmus.
Seit es das On-Demand-Angebot gibt, haben sich die Fahrgastzahlen in Höxter fast verdreifacht, sagt Marcus Klugmann. "Wir sind jetzt bei etwa 6.500 Fahrgästen im Monat. Das ist eine Zahl, mit der konnten wir so nicht rechnen. Und wir sind sehr, sehr erfreut, dass sich das so etabliert hat."
Mehr als 80 On-Demand-Projekte deutschlandweit
Und sie sind in Höxter nicht allein mit ihrer Idee. Gab es in Deutschland 2019 erst eine Handvoll solcher On-Demand-Projekte, sind es laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) inzwischen schon mehr als 80. Sie sollen öffentliche Mobilität dorthin bringen, wo es zuvor oft keine gab, also in den ländlichen Raum. Allerdings seien die meisten der per App buchbaren Kleinbusse als zusätzliche Pilotprojekte gestartet. "Es fehlt - verstärkt durch die Kostensituation bei Personal, Energie, Kraftstoffen und Material - die nachhaltige Finanzierungsgrundlage für den Regelbetrieb“, so VDV-Vizepräsident Werner Overkamp.
Auch der "Holibri" in Höxter ist ein Pilotprojekt, begrenzt auf drei Jahre. Ende 2024 laufen die Zuschüsse vom Land Nordrhein-Westfalen aus, dann wird die Kommune das Nahverkehrsangebot selbst tragen müssen.
Im Stadtrat von Höxter sind sie dafür, dass es mit dem "Holibri" weitergeht und hoffen auf weitere Gelder vom Land. Denn vor allem aufgrund der höheren Personalkosten und der großen Flexibilität des Angebots kostet der "Holibri" im Betrieb mehr, als die vier Stadtbuslinien, die Höxter eingestellt hat. Es sind Mehrkosten, die die Kommune sonst selbst stemmen müsste - und die sich auch durch die höheren Fahrgastzahlen nicht auffangen lassen.
Zukunftsmodell oder zu teuer?
Handelt es sich bei On-Demand-Lösungen um eine Form der Mobilität, die zu kostspielig und zu individuell ist, um dauerhaft zu funktionieren? Es ist ein Argument, das die Mobilitätsberaterin und Verkehrsaktivistin Katja Diehl nicht gelten lässt. "Statt zu fragen: was kostet das, sollten wir uns fragen, was uns guter Nahverkehr wert ist. Wir könnten zum Beispiel über eine Art Mobilitätsbeitrag nachdenken für Deutschland, mithilfe dessen solche Angebote finanziert werden", sagt Katja Diehl. Länder wie die Schweiz machten vor, dass es geht.
"Wir haben in Deutschland unfassbar viel Geld in die Autoinfrastruktur gesteckt, das stellt niemand in Frage, weil wir uns daran gewöhnt haben, dass es so ist", gibt Diehl zu bedenken. Sie hält die On-Demand-Bus-Projekte für den richtigen Weg, um Nahverkehr im ländlichen Raum langfristig attraktiv zu machen. Auch bei einem von ihr betreuten Projekt, dem "sprinti" in der Region Hannover, habe sich gezeigt, dass Menschen sehr wohl dazu bereit seien, das Auto stehen zu lassen, wenn die Bus- und Bahn-Verbindung passt.