Verdienstorden für Merkel "16 Jahre - mit Ehrgeiz, Klugheit, Leidenschaft"
Altkanzlerin Merkel ist mit dem höchsten deutschen Orden für persönliche Leistungen gewürdigt worden. Der Bundespräsident hob vor allem ihre ruhige, bedachte und klare Art des Regierens hervor. Doch es gibt auch Kritik an der Auszeichnung.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel das Großkreuz in besonderer Ausführung verliehen - den höchsten deutschen Orden für persönliche Leistungen.
Es sei es eine Freude, diese Auszeichnung an eine "beispiellose Politikerin" zu verleihen, sagte der Bundespräsident: "Zu ehren, werte Frau Bundeskanzlerin, für Ihre außergewöhnlich lange Amtszeit und für Ihren außergewöhnlichen politischen Lebensweg, auf dem Sie die Erfahrung der Diktatur so überzeugend einsetzten für die Stärkung der Demokratie."
Merkel sei auch Vorreiterin gewesen - gerade als erste Frau im Kanzleramt, so Steinmeier. Sie habe sich ihren Weg "suchen und bahnen müssen" und sei dabei auch von vielen unterschätzt worden.
Doch mit ihrer Zeit als Regierungschefin habe Merkel dafür gesorgt, "dass eine Frau an der Spitze der Regierung, dass auch weibliche Macht für immer eine Selbstverständlichkeit in unserem Land sein wird." Merkel habe das Amt als Kanzler beziehungsweise als Kanzlerin "als Frau und als Ostdeutsche neu geprägt", betonte der Bundespräsident.
Durch Krisen und Ausnahmesituationen gesteuert
Merkel sei es gelungen, Deutschland "unter nie da gewesenen Herausforderungen neu zu wirtschaftlichem Erfolg" zu verhelfen. Während der Amtszeit der CDU-Politikerin von 2005 bis 2021 hätten sich Krisen und Ausnahmesituationen aneinander gereiht und teilweise überlagert, so Steinmeier. Und nicht viele Länder hätten diese Phase "so gut überstanden wie die Bundesrepublik". Und der Bundespräsident betonte:
16 lange Jahre haben Sie für Freiheit und Demokratie, für unser Land und das Wohlergehen seiner Menschen gearbeitet. Unermüdlich und manchmal bis an die Grenzen Ihrer körperlichen Kräfte.
Kompromisse und die Kunst des Verhandelns
Steinmeier hob die Fähigkeit der früheren Kanzlerin hervor, Kompromisse zu finden und einzugehen, ihr "Beharren auf Fakten" und die Kunst des Verhandelns, welche Merkel ausgezeichnet habe. Und das in einer ruhigen, bedachten Art und Weise, jenen zum Trotz, denen "der Schlachtschrei, der schwere Säbel" gefehlt habe.
Ebenso wie sie in der Lage gewesen sei, Fehler anzuerkennen - in Form der Abkehr von längeren AKW-Laufzeiten nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima etwa oder durch das Zurückziehen der angekündigten "Osterruhe" in der Corona-Pandemie. Gerade während der Pandemie sei deutlich geworden, dass es für Merkel "unverzichtbar" gewesen sei, "zu wissen, was Sache ist" und "die Dinge verstehen zu lernen". Ihr sei es stets wichtig gewesen, "möglichst wenig Unbekannte in ihrer Gleichung zu haben", betonte Steinmeier. Doch gerade das sei während der Pandemie kaum möglich gewesen.
Diese Anerkennen von Fehlern sei vielleicht von einigen auch als Schwäche ausgelegt worden, so Steinmeier, doch das Gegenteil sei das Fall. Die Fähigkeit zur "Selbstkorrektur" - in den Augen des Bundespräsidenten ist sie gerade für das Kanzleramt ein "hohes, ein unverzichtbares Gut". Und so unterstrich Steinmeier nochmals: "Es ist eine Stärke, dass Sie diese Kraft zur Selbstkorrektur vorgelebt haben." Auch dies mache "die Größe Ihrer Kanzlerschaft aus und war auch ein Grund für die Dauer Ihrer Amtszeit".
"Haben allen Grund, ihr dankbar zu sein"
Wie der Bundespräsident verwies auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Rande eines Besuchs auf der Hannover Messe auf die 16-jährige Amtszeit Merkels und ihre während dieser Zeit erlangten Verdienste. Die Union scheine derzeit vieles aus Merkels Regierungszeit zu bereuen, in seinen Augen habe Merkel aber gerade in Krisenzeiten viel richtig gemacht, sagte Klingbeil. Die frühere Bundeskanzlerin habe den Orden verdient.
Auch Parteikolleginnen und Parteikollege sowie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zog mit Blick auf Merkels Zeit an der Spitze der Bundesregierung die Bilanz: "Wir haben allen Grund, ihr dafür dankbar zu sein", so der SPD-Politiker.
Kritik - auch aus den Reihen der CDU
Kritik an der Auszeichnung für Merkel kam hingegen von der Linkspartei. Deren Chefin Janine Wissler stellte vor der Verleihung die Frage, "ob es sinnvoll ist, Menschen mit Orden zu behängen wie Weihnachtsbäume mit Lametta". Merkels Verdienste wolle sie "gar nicht wegreden", jedoch müsse ihr Handeln als Kanzlerin ebenso kritisch hinterfragt werden. Unter anderem habe Merkel die Energiewende verschleppt, Kinderarmut und soziale Ungleichheit hätten zugenommen. Aus Wisslers Sicht wäre es eher angebracht, mehr Bürger zu ehren, die sich tagtäglich für das Gemeinwohl engagierten.
Auch der ehemalige Bundesfraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, hält den höchsten Bundesverdienstorden für Merkel für "überzogen", wie er dem MDR sagte. Vielmehr ärgere es ihn, dass der frühere SPD-Kanzler Willy Brandt den Orden nicht bekommen habe, der wie einst Konrad Adenauer und Helmut Kohl wirklich politische Ziele verfolgt habe. Alle anderen Kanzlerinnen und Kanzler hätten die Bundesrepublik im Wesentlichen nur verwaltet.
Und auch aus den Reihen von Merkels CDU war im Vorfeld der feierlichen Verleihung Kritik laut geworden. Man müsse durchaus einräumen, dass Merkel als Kanzlerin auch "eklatante Fehler" gemacht habe, äußerte sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende Carsten Linnemann gegenüber den Sendern RTL und ntv. Ein Beispiel sei der mangelnde Schutz der Grenzen während der Flüchtlingskrise 2015. Das gehöre genauso offen angesprochen wie das Positive, betonte Linnemann.
Scholz, von der Leyen und Klinsmann als geladene Gäste
Vor Merkel waren nur die früheren Kanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl ebenfalls mit dem höchsten deutschen Verdienstorden gewürdigt worden. Über dem Großkreuz des Verdienstordens gibt es nur noch die Sonderstufe des Großkreuzes, die jeder Bundespräsident automatisch mit dem Amtsantritt erhält. Ansonsten gibt es nur noch eine Auszeichnung für ausländische Staatsoberhäupter.
Die 20 Gäste, die an der Verleihung im Schloss Bellevue in Berlin teilnahmen, hatte Merkel selbst ausgewählt. Mit dabei waren unter anderem ihr Nachfolger, Bundeskanzler Olaf Scholz, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und ehemalige Wegbegleiter wie der frühere Bundesinnenminister Thomas de Mazière. Aber auch der frühere Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, befand sich unter den Gästen. Jedoch niemand aus den Reihen der aktuellen CDU-Führung, auch Horst Seehofer - während Merkels Amtszeit oft politisch inhaltlicher Konkurrent Merkels - zählte nicht zu dem gewählten Gästekreis.
Merkel dankt Gästen - stellvertretend "für ganz viele Menschen"
Merkel selbst nutzte die Gelegenheit der Verleihung für einen Dank - an viele ihrer geladenen Gäste richtete sie ein paar persönliche Worte. Etwa an ihren früheren Kanzleramtschef Helge Braun, der einen "Knüppeljob" geleistet habe. Oder an Klinsmann, der in ihrer Gästeschar etwas aus der Reihe falle, "denn besonders sportlich bin ich nicht", so Merkel. Doch der frühere Bundestrainer habe gezeigt, "was man alles erreichen kann", sagte die Ex-Kanzlerin, auch in Anspielung an die Fußball-Weltmeisterschaft von 2006, das "Sommermärchen".
Doch ihre Gäste stünden vor allem dafür, "dass ganz viele Menschen dazugehören, wenn man 16 Jahre Kanzlerin ist". Dieser Job sei oft geprägt von einem "Tunnelblick auf die täglichen politischen Ereignisse", so Merkel. Doch sie habe in ihrer Zeit als Kanzlerin "viele gute Erfahrungen gemacht". Und auch, wenn Politik oft als "Schlangengrube" bezeichnet werde, gebe es immer auch die andere Seite der Politik. Und darum habe es ihr "immer Freude gemacht".