Interview mit Heinrich Oberreuter "Die CSU sucht Arme, in die sie sich werfen kann"
Der Rückzug Stoibers ist eingeleitet, wer die CSU künftig führen wird, aber noch völlig offen. Im tagesschau.de-Interview erklärt Politologe Oberreuter, warum Huber derzeit bessere Karten hat als Seehofer. Klären müsse die CSU die Krise bald, denn die Partei "sucht Arme, in die sie sich werfen kann".
Der Rückzug Stoibers ist eingeleitet, wer künftig die CSU führen wird, ist aber noch völlig offen. Im tagesschau.de-Interview erklärt Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, warum Erwin Huber derzeit bessere Karten hat, als Horst Seehofer. Klären muss die CSU nach seiner Ansicht die Führungsdebatte bald, denn die Partei "sucht Arme, in die sie sich werfen kann."
tagesschau.de: Die Nachfolge-Kandidaten von Stoiber bringen sich in Stellung. Die CSU-Landesgruppe im Bundestag pocht dabei auf Mitbestimmung. Welche Rolle spielt die Landesgruppe?
Heinrich Oberreuter: Sie steht mitten in der Partei, hat allerdings ihr Aktionszentrum nicht in Bayern, sondern im Bund. Insofern taucht gelegentlich der eine oder andere Interessensgegensatz auf. Der Schulterschluss zwischen München und Berlin ist für die Partei aber absolut notwendig.
tagesschau.de: Die Forderung der Landesgruppe hat Sie also nicht überrascht?
Oberreuter: Überhaupt nicht. In Kreuth ging alles holterdiepolter. Landesgruppenchef Ramsauer war über die personelle Konstellation informiert, wurde aber vom Verfahren überrascht und hat zu Recht gesagt: Der Parteivorsitzende ist auch der Parteivorsitzende der Bundestagsabgeordneten, das könnt ihr nicht alleine machen. Das wird in München nicht als Kampfansage interpretiert.
tagesschau.de: Kann die Landesgruppe ein Veto einlegen?
Oberreuter: Das kann niemand. Entscheiden wird der Parteitag. Die Frage ist, in welcher Konstellation man in den Parteitag geht. Die Landesgruppe hat auf ihrer Sondersitzung die Kandidatur von Seehofer nicht unterstützt – zumindest hat es keine Mehrheit gegeben. Sie hat aber keine Veto-Möglichkeit.
tagesschau.de: Seehofer oder Huber heißt wohl der neue CSU-Parteivorsitzende. Huber agierte bislang weitgehend auf Landesebene. Braucht der neue CSU-Chef nicht auch bundespolitische Erfahrung?
Oberreuter: Huber wäre nicht von Angela Merkel 2005 als Kanzleramtsminister ausersehen worden, wenn er ein bundespolitischer Neuling wäre. Er kennt sich auf der Bühne ganz gut aus. Wie man hört, wird er wegen seiner Kompetenz sehr geschätzt. Für Seehofer spricht, dass er in Berlin alle Fallen und Strippen kennt. Er bräuchte keinerlei Eingewöhnung. Was innerhalb der Partei und auch gegenüber der Öffentlichkeit zudem für ihn spricht, ist, dass er der letzte Charismatiker ist, der der CSU verblieben ist.
tagesschau.de: Sie haben Stärken der beiden aufgezählt. Wo sehen Sie Schwächen?
Oberreuter: Beide haben nicht nur Freunde, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Seehofer werden innerhalb der Führungsriege und auch in der Landesgruppe seine Alleingänge verübelt; auch die Tatsache, dass er in letzter Zeit eigentlich Karriere auf eigene Rechnung gemacht hat. Er war ja ein Profiteur der Stoiber’schen Rochade nach München. Das ist nicht auf große Zustimmung gestoßen. Gegen ihn würde auch der Wirtschaftsflügel der CSU sprechen. Der Arbeitnehmerflügel ist für ihn, hat aber nicht mehr eine so große Bedeutung – wie auch in der CDU.
Bei Huber könnte und wird man vielleicht einwenden, dass er ein starker Vertreter Stoibers war. Viele Entscheidungen, die der Fraktion nicht gefallen haben, hat er durchgesetzt. Huber war an vielen Stellen an Stoibers Politik beteiligt. Aber niemand zweifelt an seiner Kompetenz.
tagesschau.de: Wer hat die besseren Chancen?
Oberreuter: Gegenwärtig könnte Huber – anders also noch vor wenigen Tagen – die besseren Chancen haben. Der Grund ist die Absprache über die Aufteilung der Ämter mit Günther Beckstein. Diese befriedigt die Sehnsucht der Partei nach Frieden, Geschlossenheit und Ausbruch aus dem Chaos. Die Partei sucht Arme, in die sie sich werfen kann.
Die Lösung Huber/Beckstein trägt zudem den Charme in sich, den früheren Konflikt der beiden um das Ministerpräsidentenamt zu beruhigen. Man muss nicht wieder fürchten, dass die beiden aufeinanderprallen. Der dritte Punkt ist: Die aktuelle Situation ist für Seehofer in jeder Hinsicht ungünstig, weil seine mutmaßliche persönliche Affäre schwer vermittelt werden kann. Man muss auch sehen, was die Basis verträgt. Das zeitliche Zusammentreffen von Affäre und Personalauswahl für dieses Führungsamt ist für ihn nicht nützlich.
tagesschau.de: Könnte es ein Nachteil sein, wenn das Amt des CSU-Chefs und des bayerischen Ministerpräsidenten nicht mehr in einer Hand sind?
Oberreuter: Ich halte diese Doppelspitze grundsätzlich für misslich. Sie hat aus meiner Sicht noch nie vernünftig funktioniert und in allen Fällen letztendlich zu Rivalitäten geführt. In dieser Situation ist die Lösung elegant. Diese Konstellation wird aber nicht ewig halten. Ich gehe davon aus, dass Beckstein 2013 nicht mehr kandidiert. Damit hat die jetzige Konstellation ein paar Fallstricke nicht, die frühere hatten.
tagesschau.de: Kann es sich die CSU leisten, die Personalfragen erst auf dem Parteitag im September zu entscheiden?
Oberreuter: Entscheiden ja, lösen nicht. Die Dinge müssen vorher festgezurrt werden – gerade wegen des chaotischen Zustands gegenwärtig. Wenn es zu einer Kampfkandidatur zwischen Huber und Seehofer kommt, muss man das auch rechtzeitig wissen. Wenn man das ohne Verletzungen hinkriegt, fände ich das ganz gut, wenn man auch in der CSU Parteivorsitzende mit Ergebnissen wählt, die nicht Ostblock-Charakter haben.
Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de