Terrorismusexperte im Interview Senden Islamisten aus Österreich?
Die im Internet aufgetauchte Terrordrohung gegen Deutschland ist nach Ansicht des Terrorismusexperten Steinberg inhaltlich nicht neu. Gleichwohl müsse sie ernst genommen werden, sagte er im tagesschau.de-Interview. Die Urheber vermutet Steinberg in Österreich.
Die im Internet aufgetauchte Terrordrohung gegen Deutschland ist nach Ansicht des Terrorismusexperten Steinberg inhaltlich nicht neu. Gleichwohl müsse sie ernst genommen werden, sagte er im tagesschau.de-Interview. Die Urheber vermutet Steinberg in Österreich.
tagesschau.de: Eine Gruppierung namens "Stimme des Kalifats" hat mit terroristischen Anschlägen in Deutschland und Österreich gedroht, falls das militärische Engagement in Afghanistan nicht eingestellt wird. Ist dies im Internet aufgetauchte Video inhaltlich neu? Ist Deutschland stärker bedroht als zuvor?
Guido Steinberg: Nein. Es ist inhaltlich nichts Neues. Es hat vergleichbare und sehr viel ernst zu nehmendere Drohungen auch in der Vergangenheit gegeben, Osama bin Laden selbst hat beispielsweise in einer Verlautbarung Deutschland einmal als Anschlagsziel genannt. Wir sind bereits seit Jahren gefährdet, Opfer von Terroranschlägen zu werden. Das wird durch die Ereignisse der vergangenen Tage nur verdeutlicht.
Versuch eines dschihadistischen Nachrichtensenders
tagesschau.de: Ist diese Gruppierung in Fachkreisen bekannt?
Steinberg: Es hat ähnliche Videos gegeben, in denen die "Stimme des Kalifats" versucht hat, so eine Art dschihadistischen Nachrichtensender aufzumachen. Das waren immer nur Aufarbeitungen von Materialien, die im Internet freizugänglich und all jenen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, bekannt waren. Insofern ist die Gruppe nicht neu. Sie ist eher dem Sympathisantenumfeld zuzurechnen und ist kein integraler Bestandteil von Al Kaida.
Guido Steinberg (*1968) arbeitete von 2002 bis 2005 im Bundeskanzleramt als Refernt für internationalen Terrorismus. Inzwischen arbeitet er bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in der Forschergruppe Naher Osten und Afrika weiter am Themenfeld Terroismus. Steinberg studierte in Köln, Bonn und Damaskus Islamwissenschaften, Mittlere und Neuere Geschichte und promovierte 2000 an der FU Berlin.
tagesschau.de: Das Video erscheint professionell und erweckt den Eindruck einer Nachrichtensendung. Auch gibt es deutschsprachige Untertitel. Wie bewerten Sie das?
Steinberg: Das Produktionsteam dürfte aus mindestens drei bis fünf Personen, die sich um den Eindruck bemühen, dass wir es mit einem globalen Kampf gegen den Westen zu tun haben. Selbst wenn sie nichts mit Al Kaida zu tun haben, verstärken sie die Wirkung terroristischer Aktivitäten. Damit sind sie ein wichtiger Bestandteil der Terrorszene.
"Man muss jede Drohung ernst nehmen"
tagesschau.de: Und trotzdem ist die Drohung nicht inhaltlich neu und nicht so ernst zu nehmen?
Steinberg: Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob Osama bin Laden eine Drohung ausspricht oder eine obskure Gruppe, die in der breiten Öffentlichkeit niemand kennt. Dennoch muss man jede Drohung ernst nehmen, gerade wenn man nicht genau weiß, wer dahinter steht. Es ist oft vorgekommen, dass aus Sympathisanten Unterstützer wurden und aus denen wiederum aktive Terroristen. Insofern muss man das schon ernst nehmen. Gleichzeitig muss man mit einer gewissen Gelassenheit herangehen, ansonsten reagiert man genau in der Weise, wie es die Terroristen und ihre Unterstützer gerne haben möchten.
"Auf jede terroristische Aktion abgewogen reagieren"
tagesschau.de: Was meinen sie damit, wenn sie sagen, dass es eine Gefahr gibt, den Terroristen in die Hände zu spielen?
Steinberg: Es ist ein integraler Bestandteil des terroristischen Kalküls, dass der Gegner auf Terroranschläge und deren Androhung unverhältnismäßig reagiert. Man muss aber auf jede terroristische Aktion sehr abgewogen reagieren. Das gilt sowohl für Innen- wie auch Außenpolitik. Das klassische Beispiel für eine Überreaktion sind die USA nach dem 11. September 2001. Sie haben mit ihrer Invasion des Iraks beispielsweise den Zulauf terroristischer Gruppierungen weltweit eher verstärkt als vermindert. Aber es betrifft auch die Innenpolitik. Da muss man gerade nach einem erfolgten oder gescheiterten Terroranschlag, wenn man versucht ist, repressive Maßnahmen einzuführen, genau abwägen, ob die angedachten Maßnahmen das Problem nicht noch verschärfen.
Gruppe ist wahrscheinlich in Österreich beheimatet
tagesschau.de: Am vergangenen Donnerstag ist ein deutscher Entwicklungshelfer in Afghanistan ermordet worden. Kurz danach tauchen im Internet Videos auf, in denen deutsche Geiseln oder gleich das ganze Land bedroht werden. Auf der anderen Seite steht der jüngst gefällte Beschluss, deutsche Tornado-Kampfjets nach Afghanistan zu schicken und Truppen aufzustocken. Ist die zeitliche Nähe Zufall?
Steinberg: Nein, das ist kein Zufall. Wobei ich der Meinung bin, dass das zweite Video, in dem Deutschland und Österreich bedroht werden, nicht mit dem Geisel-Video zu tun hat, sondern eine Reaktion auf den Tornado-Beschluss des Bundestages ist. Das zeigt, dass diese Gruppierung sehr genau beobachtet, welche innenpolitischen Themen gerade relevant sind. Deshalb glaube ich auch, dass wir es mit einer Gruppierung zu tun haben, die sich irgendwo im deutschsprachigen Raum in Europa aufhält, wahrscheinlich in Österreich. Nur das erklärt, warum Österreich in dem Video eine Rolle spielt. Denn Österreichs Bedeutung in der Afghanistanfrage ist verschwindend gering. Insofern ist es unverständlich, warum Österreich bedroht wird, wenn die Autoren nicht eine besonders enge Beziehung zu dem Land hätten.
Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de