Welttag des Ehrenamts "Steinbrücks Geld ist kein Geschenk"
Mit 400 Millionen Euro will Finanzminister Steinbrück die ehrenamtliche Arbeit unterstützen. Der Sozialwissenschaftler Olk stellt im Interview mit tagesschau.de klar, wie wichtig die Ehrenamtlichen inzwischen sind und wie viel wichtiger sie noch werden könnten: Sie seien ein "schlafender Riese."
Zum Welttag des Ehrenamts haben Politiker die Bedeutung freiwilliger Helfer für das Funktionieren der Gesellschaft betont. Am Wochenende hatte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück angekündigt, ehrenamtlich Tätige und gemeinnützige Stiftungen künftig mit einem Zehn-Punkte-Programm im Umfang von 400 Millionen Euro zu unterstützen.
tagesschau.de sprach darüber mit dem Sozialwissenschaftler Thomas Olk.
tagesschau.de: Herr Olk, haben Sie sich über die angekündigten 400 Millionen Euro für die Ehrenamtlichen gefreut?
Thomas Olk: Zunächst, es handelt sich keineswegs um "Geschenke", wie es in der Presse hieß. Es geht auch nicht um Steuersubventionen. Es geht vielmehr darum, Menschen zu unterstützen, die wichtige Leistungen für die Allgemeinheit erbringen. Sie tun in gemeinnützigen Organisationen etwas, wofür die Gesellschaft sonst viel Geld ausgeben müsste.
tagesschau.de: Wie viele Ehrenamtliche gibt es eigentlich im Moment in Deutschland?
Olk: Wir gehen davon aus, dass 36 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung ab 14 Jahren in irgendeinem Bereich und in irgendeiner Form freiwillig engagiert sind. Das sind mehr als 23,4 Millionen Menschen.
tagesschau.de: Dem Vernehmen nach werden es immer mehr. Wie stark ist aus Ihrer Sicht der Trend zum Ehrenamt?
Olk: Zwischen 1999 und 2004 ist die Quote von 34 auf 36 gestiegen. Das wissen wir aus einer Erhebung des Familienministeriums. Und die Gruppe, bei der dieser Trend am stärksten ist, sind die 60-69-Jährigen: Bei ihnen ist die Quote von 31 auf 37 Prozent gestiegen. Wir haben also bei den älteren Menschen die deutlichste Steigerung des freiwilligen Engagements.
tagesschau.de: Was sind die Motive für ehrenamtliche Arbeit?
Olk: Wenn man die Leute fragt, nennen sie häufig die Mitgestaltung der Gesellschaft. Es ist auch die Suche nach Gemeinschaft. Gerade in der heutigen sehr individualisierten Gesellschaft sind die Leute interessiert an Kontakten, an Beziehungen zu anderen Menschen. Und im Engagement trifft man andere Menschen in anderen Lebenssituationen.
In einigen Fällen kann Engagement auch eine Brücke in die Erwerbsarbeit sein. Insofern ist auch nicht überraschend, dass gerade bei den Erwerbslosen die Quote derjenigen, die sich engagieren auch in diesen fünf Jahren gestiegen ist, nämlich von 23 Prozent auf 27 Prozent.
tagesschau.de: Ein immer wieder gehörter Vorwurf lautet aber, dass die Ehrenamtlichen reguläre Jobs machen - nehmen sie damit andern die Arbeit weg?
Olk: Das ist immer der gesellschaftspolitisch stärkste Verdacht. Wenn man aber genau hinschaut, dann gilt für die meisten Tätigkeiten, die ehrenamtlich erledigt werden: Es wäre sonst kein Geld dafür da.
tagesschau.de: Nennen Sie doch ein paar Beispiele für solche ehrenamtlichen Dienste ...
Olk: Nehmen wir die "Grünen Damen", die Besuchsdienste im Krankenhaus machen. Sie stellen für viele alleinstehende Menschen, die länger dort liegen, einen wichtigen Kontakt zur Außenwelt her. Entsprechend gehen jüngere Menschen in Projekten wie "Jung hilft alt" in Altenheime und verbringen Zeit mit alten Menschen. Diese Aktivitäten könnte das reguläre Pflegepersonal nicht leisten, und das wäre auch nicht bezahlbar. Außerdem sind viele dieser Tätigkeiten nicht als "Berufsarbeit" vorstellbar.
Es gibt natürlich auch immer Überschneidungsbereiche in bestimmten eingegrenzten Fällen. In manchen Krankenwagen sitzen ein Ehrenamtlicher und ein Bezahlter.
Das ist ein "schlafender Riese"
tagesschau.de: Zum Welttag des Ehrenamts kam - wie in den Jahren zuvor - wieder viel Lob aus der Politik. Mal abgesehen davon, werden die Ehrenamtlichen von der Politik genug wahrgenommen und gewürdigt?
Olk: Insgesamt stellen wir - auch beim Bundesnetzwerk - immer wieder fest, dass die Politik zögert, das Potential, das hier schlummert wirklich abzurufen. Das ist ein "schlafender Riese". Man traut dieser Ressource bürgerschaftliches Engagement noch nicht all zu viel zu, und deswegen wird es eher unter-, als überfordert. Die Leute würden doch viel mehr tun, wenn entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen würden, die sie auch mehr anerkennen und ermuntern. Man muss erkennen, dass viele gesellschaftliche Herausforderungen ohne Menschen, die freiwillig Netzwerke bilden und Aufgaben übernehmen, nicht bewältigt werden können. Ich denke an den demografischen Wandel, an die Arbeit in den Stadtvierteln oder die Netze gegen Rechtsextremismus und Gewalt.
Die Fragen stellte Christian Radler.