Interview

Abmahn-Welle im Internet "Der Argwohn gegen Blogger wächst"

Stand: 13.04.2007 12:12 Uhr

Die Zahl der Blogs in Deutschland wächst und wächst. Mit den Blogs nimmt aber auch die Zahl von kostspieligen Abmahnungen gegen Blog-Einträge zu. tagesschau.de sprach mit dem Strafverteidiger Udo Vetter über teure Anwaltsschreiben, verbissene Unternehmen und fahrlässige Blogger.

Die Zahl der Blogs in Deutschland wächst und wächst. Mit den Blogs nimmt aber auch die Zahl von kostspieligen Abmahnungen gegen Blogeinträge zu. tagesschau.de sprach mit dem Strafverteidiger Udo Vetter, der seit vielen Jahren das Lawblog betreibt, über teure Anwaltsschreiben, verbissene Unternehmen und fahrlässige Blogger.

tagesschau.de: Die Blogszene wächst in Deutschland kräftig. Könnte dieser Boom durch die derzeitige Abmahnungswelle gedämpft werden?

Udo Vetter: Die Gefahr ist in der Tat gegeben. Denn diese Welle schwappt nicht nur über die großen Blogs, die vielen bekannt sind, sondern gerade auch über kleine, private Blogs, die kaum jemand kennt.

tagesschau.de: Wie kommt das?

Vetter: In Zeiten von Web 2.0 wird der Mensch mehr und mehr vom Rezipienten zum Meinungsproduzenten. Ein Beispiel aus meiner Praxis ist ein misslungenes Hochzeitsbankett in einem Schlosshotel, wo der verärgerte Ehegatte dann in sein Weblog geschrieben hat, was für eine schlechte Veranstaltung das doch gewesen sei. So etwas führt heutzutage ganz schnell zu Abmahnungen, weil sich die Betreffenden auf den Schlips getreten fühlen. Für das gastgebende Hotel war das schlicht üble Nachrede.

Bei Abmahnungen bis zu 20.000 Euro fällig

tagesschau.de: Was unternahm das Hotel gegen den Blogger?

Vetter: Es kam der Vorwurf der üblen Nachrede und der Geschäftsschädigung. Der Blogger sollte seinen Eintrag entfernen und eine Unterlassungserklärung abgeben. Auch die Anwaltskosten des Hotels sollte er übernehmen. Allein ein solches Anwaltsschreiben kostet zwischen 500 und 1500 Euro. Wenn man dagegen angeht und es auf den Prozess ankommen lässt, kann sich diese Summe bis zur zweiten Instanz locker auf zehn- bis zwanzigtausend Euro erhöhen.

Zur Person

Udo Vetter ist Fachanwalt für Strafrecht. Er hat seit 12 Jahren eine eigene Kanzlei in Düsseldorf. Neben seiner Arbeit betreibt er mit dem law blog eines der bekanntesten Weblogs in Deutschland.

tagesschau.de: Woher kommt diese „Abmahn-Wut?“

Vetter: Immer mehr Unternehmen merken, dass sie neben dem Image in der realen Welt auch ein Image in der Onlinewelt haben. Dieses zweite Image wird maßgeblich durch Google beeinflusst. Die betreffenden Firmen finden über Google heraus, dass ihr Image durch Blog-Einträge getrübt ist.

Unterschied zwischen Behauptung und Meinungsäußerung

tagesschau.de: Der sogenannte „Google-Faktor“.

Vetter: Genau. Die Bereitschaft von Unternehmen und Privatpersonen zu akzeptieren, dass unter den ersten 20 Google-Treffern kritische Anmerkungen zu Personen oder Firmen sind, nimmt dramatisch ab. Die Sensibilität und der Argwohn gegenüber Bloggern wird hingegen immer größer. Deshalb schicken immer mehr Unternehmen in solchen Fällen ihre Anwälte ins Rennen.

tagesschau.de: Wie kann sich der Blogger schützen?

Vetter: Jeder Blogger muss wissen, ob und was er sich zu sagen traut und was er letztlich verantworten kann. Schreiben und Publizieren ist nun mal gefährlich, wenn man dabei anderen auf die Füße tritt. Juristischen Ärger muss man dabei in Kauf nehmen. Er sollte sich aber auch seine alten Einträge anschauen. Viele Abmahnungsklagen, mit denen wir uns momentan beschäftigen, fußen auf Blog-Einträgen, die teilweise viele Jahre alt sind, über Suchmaschinen aber immer wieder neu abgerufen werden.

tagesschau.de: Aber es gilt ja wohl das Recht auf freie Meinungsäußerung!

Vetter: Das schon. Aber man muss auf die Nuancen achten. Der Satz „Diese Limonade schmeckt mir nicht“ hat rechtlich einen ganz anderen Stellenwert als die Behauptung „Diese Limonade ist giftig“. Das erste ist eine Meinungsäußerung und völlig unproblematisch. Das zweite ist aber eine Tatsachenbehauptung. Und selbst wenn ein solcher Spruch satirisch gemeint ist – die Firmen verstehen da keinen Spaß und mahnen ab.

Behauptungen müssen belegbar sein

tagesschau.de: Vorsicht beim Bloggen ist also geboten?

Vetter: Absolut. Der Blogger muss immer überlegen, ob er das, was er schreibt, auch belegen kann. Dann kann er sich wehren. Aber auch dann wird das Unternehmen versuchen, vor Gericht eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Da braucht der Blogger nicht nur einen langen Atem, sondern auch die finanzielle Ausdauer, einen solchen Rechtsstreit durchzustehen.

tagesschau.de: Die guten Blogger und die bösen Unternehmen?

Vetter: Nein, es gibt selbstverständlich auch Abmahnungen, die gerechtfertigt sind. Ich kann nicht einfach ins Blaue hinein behaupten, dass der Autounternehmer X die große Inspektion zwar berechnet, sie aber nicht durchführt. Wenn ich so etwas behaupte, muss ich auch den Wahrheitsbeweis bringen.

Anzahl der Blog-Leser spielt keine Rolle

tagesschau.de: Warum muss ein privater Klein-Blogger genauso Abmahnungen fürchten wie ein kommerzieller Blogger?

Vetter: Private Blogger werden genauso behandelt wie andere. Diejenigen, die die Abmahnungen betreiben, machen da keinen Unterschied. Die Gerichte interessiert es herzlich wenig, ob ein Blog täglich nun hundert, tausend oder fast überhaupt keine Leser hat. Die Rechtsverletzung als solche bleibt gleich mit dem Argument, dass theoretisch die ganze Internetwelt draufklicken könnte. Das kann dann sehr teuer werden.

tagesschau.de: Ein großes Problem.

Vetter: In der Tat. Oft sind die Betroffenen Schüler und Teenager, denen überhaupt nicht klar war, dass sie etwas Unrechtes gemacht haben, als sie einen vermeintlich lustig-bissigen Text über ein Unternehmen gebloggt haben. Rechtlich gilt das aber schnell als üble Nachrede. Die wird verfolgt, und die ist teuer.

Wirtschaftliche Übermacht unterdrückt Blogfreiheit

tagesschau.de: Ein Schüler, der für eine relative Lappalie tausend Euro bezahlen muss. Hängt da die Gesetzgebung nicht hinterher? Stimmt das Verhältnis zwischen Vergehen und Strafzahlung?

Vetter: Das Verhältnis stimmt überhaupt nicht mehr. Es kann nicht sein, dass man für eine fahrlässige Urheberrechtsverletzung, die auch keinen wirtschaftlich relevanten Schaden angerichtet hat, plötzlich bis zu tausend Euro von einem Teenager verlangt. Das, was jetzt für Urheberrechtverletzungen eingeführt wird – also diese 50-Euro-Grenze für die erste Abmahnung – muss auch für Blogeinträge gelten.

tagesschau.de: Und auch die publizistische Freiheit der Blogger gerät in Gefahr.

Vetter: Meinungs-, Satire- und Blogfreiheit wird durch wirtschaftliche Übermacht unterdrückt. Sehr viele Abmahnungen werden mit der Finanzkraft des Abmahnenden durchgesetzt. In der Regel kommt es auch nicht zum Prozess, da der Abgemahnte im Hinblick auf die möglichen Kosten sofort klein beigibt. Das ist ein Verlust für das Recht, weil der wirtschaftliche Stärkere gewinnt. Und das kann es nicht sein. Meinungsäußerungen, Tatsachenbehauptung und sachliche Kritik müssen möglich sein, ohne dass dem Blogger gleich eine kostspielige Abmahnung ins Haus flattert.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de