Interview mit Gerhard Schöder "Im Kabinett hat jeder die Chance, am Neuanfang diszipliniert teilzunehmen"
Nach der Ankündigung von Gerhard Schröder, das Amt des SPD-Parteichefs zugunsten von Franz Müntefering aufzugeben, sprach Thomas Roth, Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios, mit dem Bundeskanzler.
Thomas Roth: Herr Bundeskanzler, ist Ihr Angebot, vom Parteivorsitz zurückzutreten, auch der Anfang vom Ende der Regierung Schröder.
Gerhard Schröder: Wer das glaubt, würde die Lage falsch einschätzen – und den Willen den ich habe, den Reformprozess zu Ende zu bringen. Nein, dieser Reformprozess, auf den ich mich jetzt völlig als Regierungschef konzentrieren kann, ist notwendig für Deutschland, wenn man Deutschland als Wohlstandsland erhalten will. Es geht um die beiden Bereiche: Umbau der sozialen Sicherungssysteme und voran mit Innovationen in diesem Land. Da müssen wir die Menschen überzeugen – voran die Mitglieder meiner Partei. Deswegen haben Franz Müntefering und ich gesagt, wir konzentrieren uns jeder auf eine Aufgabe: Er auf Partei und Fraktion und ich auf Regierung. Das wird dazu führen, dass dieser Prozess gelingt, weil er im Interesse Deutschlands gelingen muss.
Roth: Ist dieser Schritt nicht auch Ergebnis dessen, dass Sie ihre Reformpolitik in der Partei gar nicht mehr vermitteln können und deshalb auch gar nicht mehr als Vorsitzender vertreten können – in die Partei hinein?
Schröder: Es gibt ja nicht „die“ Partei. Es gibt natürlich Kritiker. Das ist in einer großen Partei gelegentlich so. Gelegentlich auch mehr als vernünftig. Aber es ist ja gerade Aufgabe der Ämtertrennung, dass man sich auf das jeweilige Amt konzentrieren kann und dass damit die Chancen, zu vermitteln, besser geworden sind.
Roth: Wann fiel die Entscheidung?
Schröder: Die Entscheidung ist erst in dieser Woche gefallen. Das war ja für keinen von uns beiden leicht. Für mich nicht, denn ich habe das Amt gerne ausgeübt, auch wenn man darin häufig kritisiert wird. Für ihn nicht, weil das eine zusätzliche Belastung ist. Aber ich glaube, das dem, was Deutschland nutzt, diese Entscheidung gerecht wird und wir dadurch frei sind, jeder in seinem Amt, gemeinsam für diesen Reformprozess einzutreten und zu werben und ihn auch durchzusetzen.
Roth: Wenn man auf ihre Regierung blickt, hat man den Eindruck, dass da nicht allzu große Geschlossenheit bzw. Disziplin da ist. Da gibt es Referenten-Entwürfe, die plötzlich an die Öffentlichkeit dringen, die dann diskutiert werden. Kein Mensch weiß mehr ganz genau: weiß das der Kanzler, weiß das der Kanzler nicht. Glauben Sie, dass Sie mit ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz so etwas besser lösen können, obwohl Sie eigentlich schwächer werden?
Schröder: Ich will nicht von Schwächung reden. Wenn man sich auf die eine Aufgabe - die ja nun wahrlich auch zeitlich und inhaltlich umfangreich genug ist - konzentrieren kann, wird daraus eher Stärke erwachsen. Das ist das eine. Das andere ist: Sie haben Recht. Da wird gelegentlich zu lax mit der notwendigen Disziplin umgegangen. Im Kabinett hat jeder jetzt die Chance, an dem Neuanfang diszipliniert – was Inhalt und Kommunikation angeht – teilzunehmen. Wenn das bei dem einen oder anderen nicht gelingt, wird man auch handeln müssen. Aber das ist jetzt keine Ankündigung, sondern ich glaube, dass das gelingt und dass jetzt auch jeder und jede weiß, worum es geht und dass es von jedem einzelnen Teamfähigkeit erfordert. Ich bin ganz sicher, dass wir das besser hinkriegen als es in der Vergangenheit - das räume ich doch durchaus ein – gelegentlich war.
Roth: Aber eine Regierungsumbildung – wenn das nicht klappt – schließen Sie nicht aus?
Schröder: Es ist nie etwas auszuschließen, aber es ist erst recht jetzt nicht Zeit, über personelle Konsequenzen zu reden. Wir müssen den Vermittlungsprozess in Ordnung bringen. Jeder an seiner Stelle muss die notwendige inhaltliche und kommunikative Disziplin wahren. Und ich habe darauf zu achten, dass das stimmt und wenn es nicht stimmt, habe ich zu handeln. Aber ich habe überhaupt nicht den Eindruck, als wenn nicht jede und jeder speziell in der Führung im Kabinett wüsste, dass wir uns jetzt wirklich auf den Weg machen müssen, diese Fehler, die es auch gegeben hat, auszumerzen. Darüber hinaus wird es immer schwierig bleiben, in unserem Land den Reformprozess voranzubringen, weil es die allgemeine Erkenntnis schon gibt, es muss sich viel verändern. Aber es ist etwas schwieriger und manchmal ganz schwierig, wenn diese allgemeine Kenntnis in Konkretes umgesetzt wird, das den Einzelnen oder auch Gruppen von Einzelnen belastet. Das müssen wir immer wieder geduldig erklären, dass der Veränderungsprozess notwendig ist und das werden wir tun.