Interview

Kampf gegen Rechtsextremismus "Die Kommunen müssen selbst tätig werden!"

Stand: 22.08.2007 12:39 Uhr

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund meint, die Kommunen engagierten sich ausreichend gegen Rechtsextremismus. Allerdings sei eine Aufbesserung der Finanzausstattung für die bestehenden Netzwerke dringend erforderlich. Die Politik dürfe die Kommunen im Kampf gegen Rechts nicht alleine lassen, hieß es.

tagesschau.de sprach mit dem Experten Bernd Wagner vom Zentrum für Demokratische Kultur über die Aufgaben der Kommunen, die Bundesprogramme gegen Rechts und die Rolle der Medien.

tagesschau.de: Die Kommunen beklagen, der Bund würde sie im Regen stehen lassen. Liegt da tatsächlich das Problem?

Bernd Wagner: Das Problem liegt darin, dass die Kommunen selbst tätig werden müssen. Sie können nicht warten, bis der Bund oder die Bundesländer irgendwelches Geld ausgibt. Sie müssen selbst überlegen, ob sie die Frage der Sicherung der Demokratie und die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in die eigene Hand nehmen – im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung.

Gleichwohl ist das Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt und Demokratie“ zu knapp bemessen. Der Bund sollte nicht sparen bei einem der wichtigsten Themen unserer demokratischen Gesellschaft. Hier sind die eingesetzten 19 Millionen Euro in der Tat zu wenig.

tagesschau.de: Einige Kommunen gelten auch als Teil des Problems, weil sie das Thema Rechtsextremismus gerne verdrängen. Nun sind sie neuerdings aber für die Verteilung des Geldes aus dem Bundesprogramm zuständig. Ist das sinnvoll?

Wagner: Jede Kommune konnte sich bei den Bundesprogrammen auf einen Betrag von 100.000 Euro bewerben, um dann ein eigens Rahmenprogramm umzusetzen – gemeinsam mit Trägern der Zivilgesellschaft. Was die Kommunen daraus machen, ist dann ihre eigene Angelegenheit. Aber nur einige Kommunen haben überhaupt diese Fördermittel erhalten, andere Anträge wurden abgelehnt, viele haben sich gar nicht erst beworden.

tagesschau.de: Was sollten die Kommunen denn konkret machen?

Wagner: Zunächst sollten sie eine lokale Bestandsaufnahme durchführen: Was gibt es für Probleme, die die Sicherung der Demokratie und dem Status der Bekämpfung des Rechtsextremismus betrifft? Dabei geht es nicht nur um politische Organisationen wie die NPD oder nazistische „Kameradschaften“, sondern auch um den Bewusstseinszustand von Teilen der Bevölkerung – und besonders der Jugend. Das ist ein analytisches Programm, das nicht viel kosten muss - aber es muss einmal durchlaufen werden. Dann muss festgestellt werden, welche Schwerpunkte es gibt im Dorf oder in der Gemeinde. Kurz gesagt: Man muss sich erst einmal der Probleme und sich der eigenen demokratischen Identität bewusst werden.

"Wir haben ja gar kein Problem..."

tagesschau.de: Ist es denn noch immer typisch, dass lokale Akteure das Problem Rechtsextremismus verdrängen, oder sind das eher Einzelfälle?

Wagner: Es gibt eine ganze Anzahl von Kommunen, die das sehr stark verdrängen. Die ziehen sich auf den Standpunkt zurück: „Wir haben ja gar kein Problem, weil wir möglicherweise keine NPD und keine ausgewiesenen bösen Neonazis haben.“ Dennoch kann es ja ein ausgeprägtes rechtsextremes Ideologiesyndrom geben, das sich quer durch die Bevölkerung streut und natürlich bestimmte Milieus besonders befallen hat.

Bernd Wagner

Diplom-Kriminalist und Kriminaloberrat a.D., war Leiter der Abteilung Staatsschutz des Gemeinsamen Landeskriminalamtes der Neuen Bundesländer (GLKA). 1997 gründete er das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK), seit 2003 ist er Geschäftsführer, außerdem wissenschaftlicher Leiter und Koordinator der Projekte, Initiativen und wissenschaftlichen Arbeiten der Gesellschaft. Bernd Wagner ist zusammen mit Ingo Hasselbach Gründer des Aussteigerprogramms Exit-Deutschland. Er arbeitet seit über 20 Jahren systematisch in den Themenfeldern Rechtsextremismus und Gewalt. Wagner publizierte vielfach zu Fragen des Rechtsextremismus und beschäftigt sich auch mit Fragen des Linksextremismus, Verschwörungstheorien und verschiedener Kulte.

"Ich halte nichts von dieser Berichterstattung"

tagesschau.de: Rechte Gewalt ist Alltag in Deutschland, dies wird aber zumeist ausgeblendet. Jetzt stürzt sich die Öffentlichkeit auf Mügeln. Welche Auswirkungen hat diese zyklische Berichterstattung der Medien?

Wagner: Ich halte von dieser Art der Berichterstattung überhaupt nichts. Die Leute in Mügeln bekommen einen Status des Stellvertreters für das Böse dieser Welt, auch für das Böse in dieser Bundesrepublik. Es wird ein großer Graben aufgetan zwischen Ost und West. Ich glaube, es muss dringend tiefer geschürft werden. Das hat natürlich mit den Eigengesetzen der Medien zu tun. Der Einzelfall Mügeln ist eher symptomatisch für ein ganzes Bündel von gesellschaftlichen Zuständen, die zu beachten und zu bearbeiten sind. Und diesen muss sich die Politik – von der Kommune bis zum Bund – deutlicher annehmen. Betroffenheitsrhetorik bringt gar nichts.

tagesschau.de: Eine Zeitung titelte zu Mügeln in Anspielung auf einen CDU-Werbeslogan „Kinder hetzen Inder“. Welche Rolle spielen denn die Parteien bei der Verbreitung des Rechtsextremismus? Der ist ja mitnichten auf die NPD begrenzt, wie viele Untersuchungen zeigen.

Wagner: Das große Problem in der demokratischen Politik ist, dass man mit Ethnisierungen – wie es im Soziologen-Deutsch heißt – arbeitet. Politische Fragen werden über den Begriff des Völkischen gezogen. Völker und "Rassen" und Kulturen werden in den Mittelpunkt gestellt. Das geht so nicht. Man muss sich besonders den sozialen Fragen rhetorisch anders nähren, denn sonst stößt das beim rechtsextremen Massenpublikum durchaus auf Freude. Denn es gibt einen erklecklichen Anteil dieser Leute in Deutschland.

"Demokratie als System - nicht als Sparte"

tagesschau.de: Nach den Angriffen in Mügeln wird die Forderung laut, das Innenministerium sollte sich wieder um die Programme für Demokratie und gegen Rechtsextremismus kümmern – und nicht mehr das Familienministerium. Was halten Sie davon?

Wagner: Dieser Streit ist eher nebensächlich. Es geht nicht allein um die Jugend, nicht allein um die Sicherheit. Das Innenministerium kann es nicht besser oder schlechter als das Ministerium für Familie und Jugend. Da könnten sie auch das Ressort für Verkehr oder für Arbeit und Soziales nehmen. Ich denke, das Problem Rechtsextremismus muss ressortübergreifend behandelt werden. Daher sollten diese Aufgaben beim Kanzleramt oder den Staatskanzleien der Länder aufgehängt sein. Da wäre es besser aufgehoben als in einem Fachministerium. Denn es geht um die Demokratie als System – und nicht als einzelne Sparte.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de