Interview

Interview mit Heiner Geißler "Ich bin nicht der Oberlehrer der CDU"

Stand: 28.08.2007 03:48 Uhr

Hart ins Gericht geht Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der CDU, derzeit mit seiner Partei. Seine Sorge: Die CDU privatisiere die sozialen Risiken für Millionen von Menschen. tagesschau.de sprach mit Geißler über die Unionsparteien, die Patriotismus-Debatte und seine Erwartungen an den Vermittlungsausschuss.

tagesschau.de: Herr Geißler, haben Sie sich in der letzten Zeit nicht mal überlegt, zur CSU zu wechseln?

Heiner Geißler: Nein, das ginge dann doch zu weit. 

tagesschau.de: Aber Sie gehen doch mit der christsozialen Schwesterpartei derzeit weit pfleglicher um als mit ihrer eigenen. 

Geißler: Das gilt für die Krankenversicherung. Es geht hier um die grundsätzliche Frage, ob wir auch in der Zukunft solidarisch einstehen für die Menschen, die in Not sind, oder stattdessen sagen: In der Zukunft sorgt jeder für sich selber. Dies wäre eine geistig so grundlegende veränderte Position der bisherigen christdemokratischen Politik, dass ich dem Parteitag empfehle, hier keine Entscheidung zu fällen. Es handelt sich ja nicht um die Änderung einer Friedhofsordnung. Es muss in der Partei noch weiter diskutiert werden - auch wenn man einen Kompromiss mit der CSU bekommen will.

tagesschau.de: Ist die CDU dabei, den Pfad der christlichen Soziallehre, für den gerade Sie immer eingetreten sind, zu verlassen? 

Geißler: Ich bin immer für die soziale Marktwirtschaft und das christliche Menschenbild eingetreten. Das ist die entscheidende Grundlage, an der man sich auch in der Zukunft messen lassen muss. Dazu gehört auch, dass man niemanden ausgrenzt. Wenn man die Menschen in einem wichtigen Bereich wie der Krankenversicherung auf den Kapitalmarkt verfrachtet, dann lässt man sie allein und setzt sie unabwägbaren Risiken aus. Das hat man bei der Riesenpleite von Enron in Amerika gesehen. Da haben Millionen von Amerikanern ihren Sicherungsschutz verloren.

 tagesschau.de: Hat Angela Merkel also den falschen Weg in der Sozialpolitik eingeschlagen?

 Geißler: Ich nehme keine Bewertung der Parteivorsitzenden vor. Ich bin doch nicht der Oberlehrer der CDU. Ich denke, ich habe deutlich genug ausgedrückt, was mir an dem Herzog-Konzept missfällt.

 tagesschau.de: Unter anderem haben Sie Ihre Sorge von einer "Thatcherisierung" der CDU zum Ausdruck gebracht.

 Geißler: Es ist in der Tat  tödlich für eine Volkspartei, wenn das solidarische Prinzip aufgegeben wird. Der Vorschlag einer Kopfpauschale von Herzog erinnert mich stark an die Kopfsteuer von Maggie Thatcher. Diese Kopfsteuer war der Anfang vom Ende ihrer Regierung. Bürgerversicherung oder Kopfpauschale - diesen Wahlkampf wird die CDU verlieren. 

tagesschau.de: Stichwort Volkspartei: Die Union liegt in den Umfragen derzeit bei etwa 50 Prozent. Dennoch mahnen Sie, die CDU könnte den Charakter einer Volkspartei verlieren. Wie passt das zusammen? 

Geißler: Das hängt nicht von den Umfragen ab. Die Demoskopie ist ein flüchtiges Reh, das in vier Wochen schon wieder anderswo auf die Lichtung tritt. Es kommt auf die Substanz und auf den Inhalt an. Die CDU muss den Mut haben, die soziale Gerechtigkeit richtig zu definieren. Dies bedeutet, dass die Stärkeren zur Solidarität mehr beitragen müssen als die Schwächeren. Bei der Kopfpauschale ist aber genau das Gegenteil der Fall.

tagesschau.de: Themawechsel: Was halten Sie von einer Patriotismus-Debatte innerhalb der Union? Hätte die Partei das Thema in Leipzig nicht auf die Tagesordnung setzen sollen?

Geißler: Es kommt ganz darauf an, wie eine solche Debatte geführt wird. Wenn das Ziel ist, einen modernen Begriff der Nation im Sinne des Verfassungspatriotismus zu diskutieren und sich auf einen solchen Begriff zu einigen, macht die Sache einen Sinn. Wenn aber die Patriotismus-Debatte nur dazu dient, die nationalkonservativen in der Partei zu befriedigen, dann lässt man das besser bleiben. Man muss diese Menschen über die Inhalte einbinden und nicht dadurch, dass man über irgendwas redet, nur um ihnen zu gefallen.

tagesschau.de: Wie stark sind denn die Nationalkonservativen in der Union?

Geißler: Es gibt im ganzen Volk einen nicht unerheblichen Teil, der das Nationale insgesamt überbewertet. Daraus wird dann eine gewisse Distanz zu Ausländern hergeleitet. Das muss nicht rechtsradikal sein, aber es geht bisweilen doch hart bis an die Grenze.

Es ist aber nicht nur das nationalistische Element, das hierbei zum Tragen kommt. Nationalkonservative im Übergang zu Rechtsradikalen sind auch gegen die Emanzipation der Frauen, sie treten für die Prügelstrafe ein, gegen Europa, gegen den Euro und sind oft gegen Minderheiten und Homosexuelle eingestellt. Es besteht also eine große Bandbreite von Geisteshaltungen, wobei nicht zwangsläufig immer alles zusammenkommen muss. Wenn man das so sieht, haben wir schon 20, 25 Prozent der Bevölkerung, die in diese Richtung denken. Aber die wählen deswegen nicht rechtsradikal.

tagesschau.de: Welche Strategie raten Sie der Parteispitze im Ringen um Reformen mit der Regierung ?

Geißler: Ich halte es für falsch, dass man die Steuerreform mit dem Abbau des Kündigungsschutzes und der Aufhebung des Flächentarifvertrages koppelt. Politik funktioniert nicht wie Mathematik, wo minus mal minus plus ergibt. Die CDU vertritt beim Flächentarifvertrag Positionen, die sozial und ökonomisch falsch sind. Gleichzeitig verbindet sie das mit der Ablehnung einer Steuersenkung. Ich weiß nicht, wo da der politische Sinn liegen soll. Der Flächentarifvertrag, der natürlich flexibel sein muss, hat den großen ökonomischen Vorteil, dass die Konkurrenz zwischen den Unternehmen an der Qualität der Produkte ausgerichtet wird und nicht an Lohndumping.

tagesschau.de: Ihre Einschätzung: Wird es im Vermittlungsausschuss noch vor Weihnachten zu einer Einigung kommen?

Geißler:Ja, natürlich. Die Union wäre mit Blindheit geschlagen, wenn sie eine Blockadepolitik machen würde.

 Das Gespräch führte Uli Bentele, tagesschau.de