Räumung von Lützerath Demonstrierende dringen in Tagebau ein
Tausende Menschen demonstrieren gegen die Räumung von Lützerath, auch Greta Thunberg ist vor Ort. Einige Aktivisten drangen in den Tagebau Garzweiler II ein - laut Polizei ein extrem gefährliches Verhalten.
Trotz Dauerregens demonstrieren seit 12 Uhr Tausende Menschen am Braunkohletagebau Garzweiler II gegen die Räumung des Ortes Lützerath und den Abbau der darunterliegenden Kohle. Einige Demonstrierende sind laut Polizei am Nachmittag in den Tagebau eingedrungen, Hunderte standen unmittelbar an der Abbruchkante.
"Größtenteils vermummte Personen versuchen aktuell durch Polizeiabsperrungen in Gefahrenbereiche zu gelangen", schrieb die Polizei bei Twitter. "Um dies zu verhindern, wenden wir unmittelbaren Zwang an", hieß es. Die Polizei forderte die Menschen auf, keine Polizeikräfte anzugehen und sich kooperativ zu verhalten.
Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach sagte der Nachrichtenagentur dpa, er sei "absolut entsetzt, wie normale Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sich dazu hinreißen lassen, hier den absoluten Gefahrenbereich zu betreten." Ein Aufenthalt unmittelbar am Steilhang der Tagebaukante sei sowieso schon gefährlich, jetzt aber ganz besonders, weil der Boden durch Dauerregen aufgeweicht sei.
Einige Personen hätten zudem versucht, vom Kundgebungsort Keyenberg in das von der Polizei abgesperrte Lützerath vorzudringen. "Wir versuchen, sie daran zu hindern", sagte ein Polizeisprecher. Es sei Pyrotechnik in Richtung der Einsatzkräfte geflogen. Die vor Lützerath stehende Polizei hielt laut Nachrichtenagentur dpa Hunde und Wasserwerfer bereit.
Ein Sprecher auf der Kundgebungsbühne hatte zuvor dazu aufgerufen, nach Lützerath vorzudringen und sich dabei von der Polizei nicht aufhalten zu lassen.
Mehr Teilnehmer als erwartet
Die Polizei hatte vorab mit 8000 Demonstrationsteilnehmern gerechnet, geht inzwischen aber von weit mehr aus. Vereinzelt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden.
Unter dem Motto "Räumung verhindern! Für Klimagerechtigkeit" demonstrieren neben Klimaaktivisten, Anwohnern und Kirchenvertretern auch Grünen-Mitglieder. Die Grüne Jugend kritisierte das Vorgehen der Polizei. "Die Berichte, die wir aus dem Dorf bekommen, sind nicht zu rechtfertigen", teilte die Landessprecherin der Grünen Jugend NRW, Nicola Dichant, mit:
Bilder von Polizeieinsätzen, die Aktivist*innen massiv gefährden, Sanitäter*innen, die von der Polizei aus dem Dorf geschmissen werden, und Presse, die nicht beobachten darf. Das ist das Gegenteil von einem deeskalativen Einsatz.
Thunberg: Müssen Kohleabbau stoppen
Auch die schwedische Klimaaktivistin und Gründerin von "Fridays for Future", Greta Thunberg, ist vor Ort. "Solange die Kohle noch im Boden ist, ist der Kampf noch nicht vorbei," sagte sie bei ihrer Rede auf der Demonstration. "Die Kohle ist immer noch im Boden. Und wir sind immer noch hier."
Räumung "so gut wie durch"
Nach einer laut Polizei "ruhigen" Nacht ohne Zwischenfälle geht die Räumung des von Klimaaktivisten besetzten Ortes Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler II weiter. "Oberirdisch sind wir so gut wie durch", sagte ein Polizeisprecher am Morgen.
Es gebe noch etwa 15 "Strukturen" der Aktivistinnen und Aktivisten, darunter Baumhäuser und Verschläge, erklärte die Polizei. Zudem werde weiter versucht, in einen Tunnel vorzudringen, in dem zwei Menschen ausharren sollen.
Polizei spricht von "Rettung" aus dem Tunnel
Nach Informationen des WDR-Reporters Marc Eschweiler hat das Technische Hilfswerk die Räumung des Tunnels übernommen. "Ein Polizeisprecher sagte mir gerade: 'Das THW rettet'. Mehr konnte er noch nicht sagen". Zwei Aktivisten halten sich nach eigenen Informationen seit Tagen in dem Tunnel auf, um die Räumung zu erschweren und Zeit zu gewinnen.
Zudem hätten Höhenretter der Polizei damit begonnen, weitere Baumhäuser zu räumen. Einige Aktivisten kletterten demnach immer höher in die Bäume und befänden sich teils schon in mindestens 15 Metern Höhe.
Ein Bagger reißt ein Gebäude in Lützerath ab. Die Räumung des Ortes im rheinischen Braunkohlegebiet läuft seit vier Tagen.
Abriss der verbliebenen Gebäude
Die Einsatzkräfte setzen auch den Abriss der verbliebenen Gebäude fort - darunter laut Nachrichtenagentur dpa auch das frühere Wohnhaus des Landwirts Eckardt Heukamp. Er hatte sich lange geweigert, seinen denkmalgeschützten Bauernhof aufzugeben und hatte nach einem jahrelangen Rechtsstreit im April vergangenen Jahres als letzter Bewohner Lützerath verlassen.
Viele Aktivisten haben den Ort freiwillig verlassen
Mit der Besetzung des Ortes wollen die etwa 470 Klimaaktivisten den Energiekonzern RWE daran hindern, die Braunkohle in dem Gebiet abzubaggern. Laut Polizei haben etwa 320 Aktivisten das Gelände seit der Räumung am Mittwoch freiwillig verlassen.
Vier Personen seien "im Rahmen von Widerstandshandlungen" verletzt worden, etwa durch Ankleben sowie einen Sturz, sagte der Polizeisprecher am Morgen. Zudem seien fünf Polizisten durch Pyrotechnik verletzt worden. Gegen 124 Personen seien Strafanzeigen erstattet worden, vor allem wegen Landfriedensbruchs sowie Widerstands gegen Polizisten.
In den vergangenen Tagen hatte es zudem immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und Polizei gegeben. Laut Aktivisten ging die Polizei gewaltsam gegen die Besetzer vor und setzte Tränengas ein. Die Aktivisten sollen Molotowcocktails und Pyrotechnik in Richtung der Einsatzkräfte geworfen haben.
Tausende protestieren gegen die Räumung von Lützerath und den Abbau der Braunkohle.
Immer mehr Unterstützer für Moratorium
Das Moratorium, das von Prominenten und Wissenschaftlern gefordert wird, bekommt immer mehr Unterstützung. Der Anblick der Kohlegrube in Lützerath sei schwer zu ertragen, erklärte die Vorstandssprecherin der sozial-ökologischen GLS-Bank, Aysel Osmanoglu. Deswegen appelliere sie an die Verantwortung und die Verantwortlichen des Energieunternehmens RWE. "Es ist noch nicht zu spät, für eine zukunftsträchtige Wirtschaftsweise zu sorgen. Stoppen Sie diese Räumung.“
Auch der Klimaforscher Mojib Latif sprach sich in der "Rheinischen Post“ für ein Moratorium im Konflikt um das Braunkohlegebiet aus. "Am besten wäre es, die Beteiligten würden sich noch einmal an einen Tisch setzen und über die veränderte Lage diskutieren“, sagte er. "Wenn es dann beim Aus für Lützerath bleibt, wäre das in Ordnung.“ Aber die Lage würde sich erstmal entspannen. Zudem brauche der Energiekonzern RWE die Braunkohle derzeit gar nicht, sagte der Wissenschaftler, der am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung arbeitet.
NRW-Ministerpräsident Wüst: Alle Debatten geführt
Die schwarz-grüne Landesregierung bleibt aber bei ihrer Position, Lützerath abzubaggern. "Wir haben ja die Debatten alle geführt", sagte Nordrein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst im Deutschlandfunk. "In einem Rechtsstaat ist an einem bestimmten Punkt eine Sache auch entschieden, und dieser Punkt ist mit den Beschlüssen und mit den Urteilen eben erreicht", erklärte der CDU-Politiker.
Lützerath war Teil eines Kompromisses
Bundeswirtschafsminister Robert Habeck und die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, hatten sich im Oktober 2022 mit dem Unternehmen RWE darauf geeinigt, den Braunkohleausstieg auf 2030 vorzuziehen und die zu fördernde Braunkohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf rund 280 Millionen zu halbieren. Fünf Dörfer im rheinischen Revier - Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich, Berverath – sollen nicht wie ursprünglich geplant dem Tagebau weichen. Der Kompromiss sieht aber vor, die Kohle unter Lützerath noch abzubaggern.