Proteste in Lützerath Aktivisten verschanzen sich in Tunneln
Oberirdisch ist Lützerath fast geräumt - doch nun wurden Tunnel entdeckt, in denen sich Menschen verschanzt haben. Der Unmut vieler Aktivisten richtet sich gegen die Grünen: Parteibüros wurden besetzt oder attackiert.
Einige Aktivistinnen und Aktivisten im Braunkohle-Dorf Lützerath haben sich in Tunneln unter dem Dorf verschanzt. In der Nacht beendete das Technische Hilfswerk einen Einsatz, ohne sie aus dem Tunnel zu holen. Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach sagte, die Situation sei für die Personen nicht ungefährlich: Man wisse nicht, wie stabil die Struktur und wie gut die Luftzufuhr seien.
Die Aktivistinnen und Aktivisten hatten die Polizei selbst auf die Tunnel aufmerksam gemacht: In sozialen Netzwerken berichteten sie von den Gängen und warnten die Polizei, mit schwerem Gerät in den Bereich zu fahren. Wie lange die Räumung aus den Tunneln dauern wird, sei nicht klar, sagte Weinspach: "Da wird es auch darauf ankommen, ganz vorsichtig vorzugehen und keine Risiken einzugehen." Bis auf die Tunnel sei die Räumung des Dorfes aber fast abgeschlossen. Heute will die Polizei ein letztes besetztes Haus räumen.
In der Nacht harrten die Klimaaktivisten bei starkem Regen, kräftigem Wind und Temperaturen unter zehn Grad aus. Weiter geräumt wurde von der Polizei aber nicht.
Räumung fast abgeschlossen
Eines der für die Klimaaktivisten wichtigsten Gebäude - der Hof des Bauern Heukamp - war am frühen Donnerstagmorgen geräumt worden. Die Beamten sägten ein Loch in das Tor des besetzten Gehöfts und verschafften sich dadurch Zutritt zu dem jahrhundertealten Hof, an dem ein großes gelbes Banner mit der Aufschrift "1,5°C heißt: Lützerath bleibt!" hängt.
Dort wo bereits geräumt wurde, reagiert der Energiekonzern RWE schnell: Hütten, Baumhäuser und eine Halle wurden abgerissen, Bäume gefällt.
Zu schaffen machte Aktivisten wie Einsatzkräften das schlechte Wetter: Bei Dauerregen und stürmischen Böen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 63 km/h gerieten die provisorischen Baumhäuser ins Wanken.
Neubauer von Polizei weggetragen
An einer Demo vom Ortsteil Keyenberg in Richtung Lützerath beteiligten sich laut Schätzung der Polizei am Donnerstagnachmittag etwa 800 Menschen. Einige von ihnen versuchten dabei demnach auch, näher an den Tagebau heranzukommen und verließen die angemeldete Demostrecke. Ein Polizeisprecher sagte, dies sei gefährlich und habe verhindert werden müssen.
An einer Sitzblockade beteiligte sich auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer mit etwa 100 anderen Personen. Sie wurde von Polizisten weggetragen. Nach Neubauers Angaben hatte die Polizei zuvor vereinzelt Pfefferspray gegen Aktivisten eingesetzt. Ein Polizeisprecher sagte, er könne das weder bestätigen noch ausschließen.
Neubauer erklärte in sozialen Netzwerken, wenn die Regierung das Pariser Klimaabkommen verletzte, sei friedlicher Protest nötig. Auf einer Pressekonferenz sagte sie, es gehe nicht um ein Symbol, sondern "um 280 Millionen Tonnen CO2 unter dem Dorf".
Neubauer bestätigte zudem, dass bei einer Demonstration am Samstag auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg in Lützerath erwartet werde. Die Polizei geht von bis zu 6000 Teilnehmenden aus.
Angriffe auf Grünen-Büros
Viele der Demonstranten kritisieren den Wirtschaftsminister Robert Habeck und die Grünen in NRW für ihre Zustimmung zur Räumung der Siedlung. Etwa 30 Personen besetzten am Donnerstagnachmittag die NRW-Parteizentrale. In der Nacht beendete die Polizei die Aktion.
"Wir fordern ein Moratorium, um die unsinnige und gefährliche Räumung im Rheinischen Braunkohlerevier zu stoppen", erklärte das "Bündnis Lützerath Unräumbar" in einer Mitteilung. Die Besetzer forderten, mit NRW-Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) persönlich zu verhandeln. Die Aktivisten kritisieren, dass Neubaur dem Kohleabbau unter Lützerath zustimmte, um im Gegenzug den Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorziehen zu können.
In Leipzig wurden aus einer Spontandemonstration heraus Steine in die Fenster eines Grünen-Büros geworfen, die Scheiben wurden zerstört. Auch in Aachen wurden die Scheiben eines Parteibüros eingeworfen. In Flensburg besetzten Aktivisten die Kreisgeschäftstelle - es ist der Wahlkreis von Habeck.
Fraktionschefin verteidigt Kohlekompromiss
In den tagesthemen verteidigte Katharina Dröge, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, erneut den Kohlekompromiss in NRW. "Natürlich ist das nicht leicht für uns." Sie verwies aber darauf, dass der Kohleausstieg nun acht Jahre früher als ursprünglich geplant erfolge und 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde blieben. "Hätten wir diese Vereinbarung nicht getroffen, dann wäre alles beim Alten geblieben" - Lützerath also abgebaggert worden, aber auch noch fünf weitere Dörfer, die so gerettet worden seien.
Was der Klimaschutz nun brauche, sei ein schneller Ausbau der Erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz. "Das wird in Zukunft darüber entscheiden, wie schnell wir auf den 1,5-Grad-Pfad kommen", sagte Dröge.