Räumung des besetzten Dorfes Aktivisten leisten Widerstand in Lützerath
Polizisten haben begonnen, Lützerath zu räumen. Einige Besetzer warfen Steine und Pyrotechnik, insgesamt sei die Lage aber im Griff. Wirtschaftsminister Habeck hält Lützerath für das falsche Symbol und rief alle Seiten zur Gewaltlosigkeit auf.
Die Polizei räumt seit dem Morgen den von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath. "Der Bereich wird umzäunt", schrieb die Polizei Aachen auf Twitter. Die Lage hat sich nach Angaben eines Polizeisprechers bis zum Mittag stabilisiert. Die Einsatzkräfte hätten den gesamten Bereich abgesperrt, niemand komme mehr unbefugt hinein, hieß es. Nun sei die Polizei auf dem gesamten Gelände aktiv, Personen könnten sich - wenn überhaupt - nur noch eingeschränkt in dem Areal bewegen.
Einige Aktivisten blieben hartnäckig. "Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen", sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative "Lützerath lebt". Unter anderem mit Barrikaden wird weiterhin versucht, den Einsatz zu behindern. Teils wurden Barrikaden einbetoniert. Die Polizei hat begonnen, diese mit den notwendigen Geräten zu entfernen. Vereinzelte Aktivisten begleiten die Szenen mit Gitarren- und Klaviermusik.
Einige Aktivisten waren am Morgen auf hohe Monopods und Tripods geklettert - das sind zusammengebundene Stämme mit Plattformen. Sie wurden in den vergangenen Tagen errichtet, um es der Polizei möglichst schwer zu machen, an die Aktivisten heranzukommen. Gegen Mittag begannen die Beamten, Besetzer mit Hebebühnen von den Gestellen zu holen.
Polizei räumt erste Gebäude
Gegen Mittag begann die Polizei auch damit, erste Gebäude zu räumen. Wie WDR-Reporter berichten, brachten die Beamten Aktivisten aus einer ehemaligen landwirtschaftlichen Halle. Darin soll sich die Gemeinschaftsküche der Aktivisten befunden haben.
In die besetzten Häuser selbst seien die Polizisten aber noch nicht vorgedrungen. Dort wird mit weiteren Barrikaden und Vorrichtungen gerechnet, die die Räumung erschweren und verzögern sollen. Insgesamt könnte der Einsatz nach ersten Einschätzungen der Polizei mehrere Wochen dauern.
Zu Beginn der Räumung hatte die Polizei Medienberichten zufolge den Demonstrierenden Fristen gesetzt. "Wer will jetzt noch den Ort verlassen? Wer bleibt, muss mit einer Strafanzeige rechnen", sagte ein Polizist zu Aktivisten, wie der WDR berichtet. Es gebe nun noch eine letzte Möglichkeit, den Ort freiwillig zu verlassen. Andernfalls "müssen Sie mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs rechnen", hieß es laut der Nachrichtenagentur dpa in einer Durchsage der Polizei.
Zuvor twitterte die Polizei Aachen, dass noch die Möglichkeit bestehe, "den Ort ohne weitere polizeiliche Maßnahmen zu verlassen". Einige Aktivisten folgten der Aufforderung und gingen freiwillig. Sie wurden von Polizisten vom Gelände eskortiert.
Steine und Pyrotechnik
Der Polizei Aachen zufolge kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen: Steine und Pyrotechnik sowie vereinzelt auch Molotowcocktails wurden demnach in Richtung der Einsatzkräfte geworfen. Auf Twitter appellierte die Polizei, sich friedlich zu verhalten und die Anweisungen der Einsatzkräfte zu befolgen. Bislang gebe es keine Erkenntnisse zu Verletzten.
Etwa 300 bis 400 Aktivisten sind nach Schätzung der Polizei im Ort. Zehn bis 15 Prozent seien möglicherweise gewaltbereit, wie Marion Kerstholt, WDR, vor Ort berichtet. Außerdem sollen sich nach Angaben der Polizei Kleinkinder in Lützerath befinden. "Aufgrund weitreichender Gefahren im Einsatzraum, appelliert die #Polizei #Aachen an die Erziehungsberechtigten, den Bereich umgehend mit ihren Kindern zu verlassen", schrieb sie auf Twitter.
Kritik von Innenminister Reul
Innenminister Herbert Reul kritisierte Angriffe auf Polizisten scharf: "Ich bin eigentlich nur fassungslos und verstehe es nicht, wie Menschen so was machen können", sagte er. Die friedlichen Aktivisten sollten nun woanders protestieren: "Man kann woanders demonstrieren, man muss denen jetzt nicht noch behilflich sein dadurch, dass man da steht und die Polizei bei der Arbeit stört."
Insgesamt aber ist das Einsatzkonzept der Polizei nach Einschätzung des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, bislang aufgegangen. "Die gezielte Kommunikation hat zur Deeskalation der Lage beigetragen", sagte er. Wer in Lützerath sei, um zu demonstrieren, halte sich dort illegal auf, die Polizei handele dagegen nach Recht und Gesetz.
Journalisten sollen behindert worden sein
Die Journalisten-Gewerkschaft dju kritisierte, dass die freie Berichterstattung von Reportern durch Polizei und RWE-Sicherheitskräfte eingeschränkt worden sei. Nach den ersten vier Stunden der Räumung ziehe die Gewerkschaft "eine erste negative Zwischenbilanz der Pressefreiheit", twitterte Jörg Reichel, Geschäftsführer der dju Berlin-Brandenburg. Er unterstütze vor Ort die Arbeit der Medienvertreterinnen und beobachte die Situation.
Journalisten sei der Zugang in den Einsatzbereich verweigert worden, außerdem sollen Polizisten von einem Fotografen verlangt haben, Bilder zu löschen. "Wir fordern alle Beteiligten auf, sich an die geltenden Gesetze und Richtlinien zu halten und die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten nicht zu behindern", sagte Reichel.
Habeck verteidigt Lützerath-Räumung
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat die Räumung des Dorfes verteidigt. "Die leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol", sagte der Grünen-Politiker. Andere Ortschaften, die noch bewohnt sind, würden dafür nicht mehr abgebaggert. Bislang habe es nur Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten gegeben, ergänzte Habeck. "Lasst es dabei - von beiden Seiten."
Regierungssprecher Steffen Hebestreit kritisierte für die Bundesregierung, dass es bei der Räumung zu Gewalt gekommen ist: "Es gab heute Widerstand und auch Ausschreitungen bei der noch laufenden Räumung des Dorfes. Diese Gewalt verurteilt die Bundesregierung ausdrücklich", sagte er. Es gebe zu Lützerath eine "eindeutige Rechtslage. Und die gilt es zu akzeptieren."
BUND und Prominente fordern Räumungsstopp
Die Naturschutzorganisation BUND forderte, die Räumung und den Polizeieinsatz abzubrechen. "Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und ihre grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur müssen endlich einsehen, dass sie sich politisch verrannt haben", sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Proteste zeigten, dass ein "weiter so beim Braunkohletagebau vor allem von jungen Menschen nicht mehr akzeptiert wird". Der Geschäftsführer des BUND in NRW, Dirk Jansen, erklärte, die "Kohle unter Lützerath wird zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise nicht benötigt." Es sei daher eine politische Entscheidung, ob die Räumung noch gestoppt werde.
In einem offenen Brief forderten zudem mehr als 200 Prominente, die Räumung zu stoppen. Zu den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern gehören demnach die Schauspielerinnen Katja Riemann, Thelma Buabeng, Pheline Roggan, die Schauspieler Peter Lohmeyer und Robert Stadlober sowie die Bands Sportfreunde Stiller, Deichkind und Revolverheld, der Pianist Igor Levit und die Influencerin Louisa Dellert. In dem Brief heißt es, das Abbaggern der Kohle in Lützerath sei "nicht nur eine Frage der Existenz eines Dorfs, sondern eine Causa, die von globaler und klimapolitisch richtungsweisender Bedeutung ist", berichtete der "Spiegel".
Gericht bestätigt erneut Aufenthaltsverbot
Unterdessen hat das Verwaltungsgericht Aachen in zwei Eilverfahren die Rechtmäßigkeit der Verfügung bestätigt, die der Räumung des Weilers für den Braunkohleabbau dienen soll. Damit sind die Klimaschützer erneut mit Eilanträgen gegen das Aufenthalts- und Betretensverbots vor Gericht gescheitert. (AZ.: 6 L 16/23 und 6 L 17/23).
Der Energiekonzern RWE begann damit, als Vorbereitung für den Abriss das Dorf zu umzäunen. "Als eine der ersten Maßnahmen wird aus Sicherheitsgründen ein gut anderthalb Kilometer langer Bauzaun aufgestellt", teilte der Konzern mit. "Er markiert das betriebseigene Baustellengelände, wo in den nächsten Wochen die restlichen Gebäude, Nebenanlagen, Straßen und Kanäle der ehemaligen Siedlung zurückgebaut werden. Zudem werden Bäume und Sträucher entfernt."
Polizei: Einer der herausforderndsten Einsätze
Die Räumung des Protestdorfs ist nach Einschätzung des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach einer der herausforderndsten Einsätze der vergangenen Jahre. Der Einsatz solle so deeskalierend wie möglich durchgeführt werden, hatte Weinspach bei einer Informationsveranstaltung am Dienstagabend gesagt. Die Aachener Polizei erhält dafür Unterstützung aus dem ganzen Bundesgebiet.
In Lützerath leben seit Monaten Klimaaktivisten in leerstehenden Häusern. Lützerath ist ein Ortsteil der 43.000-Einwohner-Stadt Erkelenz im Westen von Nordrhein-Westfalen. Der inmitten von Feldern gelegene Weiler befindet sich inzwischen unmittelbar an der Kante des Braunkohletagebaus Garzweiler. Die darunter liegende Kohle soll zur Stromgewinnung gefördert werden.