Politikwissenschaftler zur Linkspartei "Mit großer Lust an der Demontage"
Neuanfang oder Aufspaltung - die Linkspartei steht vor dem schwersten Parteitag ihrer Geschichte. Noch nie bewarben sich so viele Kandidaten um den Vorsitz. Im Interview mit tagesschau.de erklärt der Politikwissenschaftler Robert Lorenz, wer mit den größten Aussichten auf Erfolg ins Rennen geht.
tagesschau.de: Fünf Jahre nach ihrer Gründung ist die Linkspartei fast schon verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Führungsspitze. Kann die Partei aus dem Göttinger Parteitag überhaupt gestärkt herausgehen? Oder ist schon viel zu viel Porzellan zerschlagen worden?
Robert Lorenz: Angesichts der jüngsten Medienreaktionen erscheint die Lage in der Tat sehr schwierig. Die Linkspartei gilt ja schon seit zwei Jahren als heillos zerstrittener Verein. Ich glaube nicht, dass es so einfach gelingen wird, einen Umschwung herbeizuführen. Und ob das neue Führungsduo, wer immer es sein mag, ähnlich wie 2005 das Wahlkampfgespann Lafontaine-Gysi für Furore sorgen kann. Bei Gesine Lötzsch und Klaus Ernst hat es kaum funktioniert.
Dazu kommt, dass in der Linkspartei viele Strömungen existieren, was wiederum mit den in der Satzung vorgeschriebenen Proporzen kollidiert. So muss mindestens einer der beiden Parteivorsitzenden weiblich sein. Gleichzeitig muss man auch noch die berühmten ungeschriebenen Gesetze berücksichtigen, dass man auch noch den Proporz Ost-West schafft. Oder den zwischen den ursprünglichen WASG- und PDS-Mitgliedern.
Robert Lorenz vom Göttinger Institut für Demokratieforschung untersucht bereits seit 2007 die personellen und politischen Entwicklungen in der Linkspartei. Aktuelle Erkenntnisse und Porträts hat er in der Studie "Parteibildung der Kärrner und Charismatiker. Politische Führung in der LINKEN 2005-2010" zusammengefasst.
tagesschau.de: Lassen sich diese unterschiedlichen Strömungen der Linkspartei überhaupt bündeln? Oder bricht auseinander, was ohnehin nicht zusammengehört hat?
Lorenz: Die Vermutung liegt nahe. Schon im zweijährigen Gründungsprozess der Partei war dieser Streit angelegt. Auf der anderen Seite hat sich Lothar Bisky genau darüber auch als Parteivorsitzender profilieren können, über seine Rolle als Moderator. Und die Partei hat dann ja auch zwei sehr erfolgreiche Bundestagswahlen bestreiten können. Diese Erfolge setzten sich dann auf Landesebene fort und haben die Partei beflügelt.
Die große Euphorie allerdings klang 2010 ab. Dazu kam, dass Bisky und Oskar Lafontaine gleichzeitig zurücktraten. Die Nachfolger Lötzsch und Ernst haben dann zu spüren bekommen, dass auch Konflikte wie die Programmdebatte verschoben worden waren. Im Grunde aber kann man diese Auseinandersetzung der Partei aber auch als ein Stück lebhafte Demokratie betrachten.
Partei ohne Lösungen
tagesschau.de: Wie würden Sie den Ist-Zustand der Partei beschreiben? Fehlt es nicht nur an Führung, sondern auch an einem Thema?
Lorenz: Es fehlt an einer Führungsfigur, die plausible Antworten auf brisante Fragen parat hat. Die Linkspartei hat sich in den vergangenen zwei Jahren sehr stark auf sich selbst konzentriert, was sich in den Wahlergebnissen niedergeschlagen hat. Die Zeit zwischen 2005 und 2010 war eine Zeit guter Ergebnisse und weniger Konflikte.
Nach 2010 ging es um die typischen Parteienkonflikte. Es ging um Macht und Posten. Das wiederum ließ auch die Piraten erstarken. Die profilieren sich in der Öffentlichkeit über ihre Themen, auch wenn man sagt, die Piratenpartei sei monothematisch. Die Linkspartei aber tritt nicht mehr als eine Partei in Erscheinung, die Lösungen anbieten kann. Und an diesem Zustand trägt die Partei durch die Personalkonflikte zu einem großen Teil selbst Schuld.
tagesschau.de: Lafontaine galt bisher als die starke Führungsfigur der Linkspartei, konnte sich aber jetzt auch nicht mehr durchsetzen. Warum hat selbst dieser Name nicht mehr gezogen?
Lorenz: Schon zu Lafontaines Amtszeit als Parteivorsitzender zeichneten sich die ersten Bruchstellen ab. Die so genannte Gruppe der Reformer im Gefolge von Dietmar Bartsch war aber bereit, Lafontaine als Parteivorsitzenden zu tragen, so lange er die Wähler mobilisierte und Stimmen brachte. Lafontaine musste sich dann aber aufgrund seiner Krebserkrankung vorläufig zurück ziehen.
Mit seiner Rückkehr auf die politische Bühne entstand auch der Eindruck, dass er in diese Führungsposition zurück drängt. Er ist und bleibt ein politisches Alpha-Tier. Seine Weigerung, eine Kampfkandidatur zu akzeptieren, wurde aber auch als Affront gegen die Demokratie verstanden. Das hat dann doch viele Gegenstimmen provoziert.
"Überraschender Bruch"
tagesschau.de: Können Sie erklären, warum die Situation zwischen diesen beiden Männern derart eskaliert ist?
Lorenz: Die Zusammenarbeit zwischen Lafontaine als Vorsitzenden und Bartsch als Bundesgeschäftsführer hat über Jahre eigentlich gut funktioniert. Insoweit kam der Bruch in der Tat überraschend. Vielleicht haben sich beide am Anfang mehr Mühe gegeben, ihre persönlichen Animositäten zurückzustellen - im Dienste der Partei! Dazu haben die damaligen Erfolge sicher beigetragen: Man konnte sich als eine Partei darstellen, die sich auf Kosten der SPD durchsetzt.
Allerdings hat sich Lafontaine in den Jahren seines Vorsitzes verändert. Er wurde immer selbstbewusster. Am Ende war er dann wieder der Lafontaine, der auch in der Lage war, sich mit einem Gerhard Schröder zu überwerfen. Und womöglich hat er die zunehmende Konkurrenz wahrgenommen. Auch Bartsch zog und zieht es auf den Parteivorsitz. Dazu kommen ganz unterschiedliche Standpunkte. Eine Linkspartei unter Bartsch würde viel eher mit der SPD koalieren als eine Linkspartei unter Lafontaine.
Bartsch, Wagenknecht, Kipping?
tagesschau.de: Halten Sie es für möglich, dass sich die Linkspartei in Göttingen aufspaltet?
Lorenz: Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Auch die Programmdebatte kam medial aufgeladen daher und verlief dann am Ende glimpflich. Allerdings kann die neue Personalkonstellation bereits existierende Klüfte vertiefen, was vor allem eine Erosion der westlichen Filialen hervorrufen könnte, die schon organisatorisch schwächer aufgestellt sind als die im Osten. Der Delegiertenschlüssel aber, mit mehr West- als Ostvertretern, spricht eine andere Sprache. Das wiederum könnte vor allem für Bartsch nachteilig sein.
tagesschau.de: Wer könnte den Weg hin zum Konsens ebnen?
Lorenz: Wenn wir von Bartsch ausgehen, dann hätte man zumindest einen nicht unbeträchtlichen Teil der Partei zufrieden gestellt, nämlich einen Großteil der Führungspersonen aus dem Osten. Würde Bartsch gewählt werden, müsste der zweite Posten an eine Frau gehen. Da könnte ich mir Sahra Wagenknecht vorstellen, von der man aber bis jetzt nicht weiß, ob sie kandidiert. Das schließt aber nicht aus, dass sie das à la Lafontaine noch auf dem Parteitag mit einer fulminanten Rede tut. Tut sie das nicht, könnte es sein, dass Katja Kipping zum Zuge kommt. Aber: Die Linkspartei hat eine große Lust an der Demontage. Von daher ist es vorstellbar, dass man Bartsch durchfallen lässt.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de