Lehrermangel in Deutschland Warum der Lehrerberuf für viele unattraktiv ist
Bis 2035 werden mindestens 23.800 Lehrkräfte fehlen, prognostiziert die Kultusministerkonferenz. Der Lehrerberuf scheint für die junge Generation unattraktiv - mangelnde Flexibilität ist nur ein Grund.
Die Zeit rund ums Abitur ist für viele junge Menschen eine Zeit der Suche. Wie ihre berufliche Zukunft aussieht, können sich die wenigsten auf Anhieb vorstellen. Beraterinnen wie Ulrike Bentlage sind darauf spezialisiert, junge Leute bei dieser Suche zu unterstützen. Sie erarbeitet in einem längeren Prozess mit den Ratsuchenden ein Angebot an Studienfächern und Berufen. Oft kommt darin auch das Lehramt vor, aber am Ende landet der Lehrerberuf eher selten auf Platz eins.
Start-up statt Schule
Die Gründe dafür seien vielschichtig, sagt Bentlage, aber eines hört sie immer wieder: Junge Menschen wollten eher Abenteuer als Sicherheit, lieber Start-up als Schule. Sie glaubten, nach zwölf Jahren Schülerdasein wüssten sie, was die Arbeit der Lehrenden ausmacht, und das sei für sie nicht attraktiv. Ihnen fehlten Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts und bei der Einteilung der Arbeitszeit. Sie fürchteten, inhaltlich in der Gestaltung des Unterrichts zu sehr festgelegt zu werden.
Auch Aufstiegschancen oder die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, sehen sie nicht; eher Ärger mit den Kolleginnen und Kollegen und mit überambitionierten Eltern. Die klassischen Vorteile des Lehrerdaseins in Deutschland - sicherer Job, vergleichsweise gute Bezahlung, familienkompatible Arbeitszeiten - zählten für viele junge Menschen noch nicht.
Mehr Studienanfänger, aber weniger Abschlüsse
Dennoch stieg die Zahl derer, die ein Lehramtsstudium beginnen, laut Statistischem Bundesamt in den vergangenen Jahren durchaus. Andererseits ging die Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen aber deutlich zurück. Sie sank von 2018 bis 2020 laut Kultusministerkonferenz um 13 Prozent. Denn auch die, die ein Lehramtsstudium beginnen, machen dann viel zu selten einen Abschluss. Die Zahl derer, die ein Studium abbrechen oder das Fach wechseln, ist höher als in anderen Studiengängen.
Die Uni Potsdam hat intern ermittelt, dass nur 50 Prozent der Studienanfänger bis zum Ende durchhalten. Fatalerweise war gerade in den Mangelfächern Mathematik und Physik das Verhältnis besonders schlecht: Von den 42 Studierenden, die 2015 ein Lehramtsstudium der Mathematik aufnahmen, machten 2021 nur neun einen Abschluss, von den 17 Physikanfängern ganze zwei.
"Qualitätsoffensive Lehrerbildung"
Das müsste nicht sein, sagen Studierende wie Hans Reimann in Potsdam aus eigener Erfahrung. Viel wäre gewonnen, wenn die Studentinnen und Studenten intensiver betreut würden. "In der Regel ist es schon so, dass Leute, die in engem Kontakt zu Dozierenden und auch zu anderen Studierenden stehen, mit Misserfolgen besser umgehen. Und Misserfolge stellen sich gerade bei Mathematik zwangsläufig ein."
Für die Hochschulen bedeutet das, sie brauchen mehr Personal. Tatsächlich erhöhen viele Unis und Hochschulen ihren Personalschlüssel und bieten den Studierenden eine bessere Betreuung an. "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" heißt das Programm von Kultusministerkonferenz und Bundesbildungsministerium, das bereits seit 2015 läuft.
Nicht Fächer unterrichten, sondern Kinder
Die Qualitätsoffensive widmet sich auch der Studienorganisation und den Studieninhalten. Vieles wird überarbeitet. Alles soll digitaler werden und mehr Praxisbezug bekommen. Das sei dringend notwendig und offenbar noch nicht sehr erfolgreich, sagt Bentlage.
Sie betreut auch zahlreiche Studienabbrecher. Als Grund für deren Ausstieg hört sie immer wieder den "Realitätsschock". Die Studierenden entdeckten bei ihren ersten längeren Praktika, dass sie nicht ein Fach unterrichteten, sondern Kinder. Deutlich mehr Praxis am Anfang des Studiums empfiehlt Bentlage deshalb.
Besser noch: vor dem Studium verpflichtende Praktika, etwa in der Ferienbetreuung oder bei Schul-AGs, damit die potenziellen Lehrerinnen und Lehrer mal sehen, ob sie überhaupt Spaß an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben.
Einbahnstraße Lehramtsstudium
Eigentlich sind solche Forderungen auch Teil der geplanten Reformen der Lehramtsstudiengänge, aber sie führten noch nicht zu den gewünschten Erfolgen, bemängeln Kritiker. Es gebe zu viele unterschiedliche Ansätze und zu wenig Kontrolle, was den Studierenden wirklich hilft, sich ein realistisches Bild ihrer zukünftigen Arbeit zu machen.
Das beschäftigt auch Bianca Brinkmann vom "Monitor Lehrerbildung", einem Projekt verschiedener Stiftungen. Sie beobachtet, dass der Wechsel von Lehramtsstudierenden in andere Studiengänge problemlos möglich ist, der Wechsel umgekehrt ins Lehramt hinein hingegen nur in wenigen Fällen.
Dabei sei diese Mobilität ja durchaus wünschenswert. Gern auch in den so unterbesetzten MINT-Fächern. So wie es jetzt laufe, werde viel Potenzial an möglichem Lehramtsnachwuchs verschenkt und müsste geändert werden.
Quereinsteiger - mehr als eine Notlösung
Auch eine andere Form der Bildungsmobilität könnte den Nachwuchsmangel verringern. In den meisten Bundesländern gehören sogenannte Quer- oder Seiteneinsteiger inzwischen ohnehin zur Normalität. Allerdings werden sie immer als eine Notlösung betrachtet und nur akzeptiert, wenn keine ausgebildeten Pädagoginnen oder Pädagogen zur Verfügung stehen. Und sie werden bislang nur wenig weitergebildet.
Brinkmann regt an, den Quereinstieg in das Lehramt zu einem normalen Berufseinstieg zu machen. Alle diejenigen, die einen Hochschulabschluss in einem für die Schule geeigneten Fach hätten, sollten sich bewerben können. Dazu kämen dann berufsbegleitend und verpflichtend pädagogische Studiengänge an Hochschulen, damit die Neulinge auch Didaktik und Psychologie lernten.
Brinkmann sieht hier neben dem bloßen quantitativen Potenzial auch ein qualitatives, denn wer sich mit ein wenig Lebenserfahrung für den Lehrerberuf entscheide, sei meist besonders motiviert. Und das tue Schule und Unterricht in jedem Fall gut.