Versorgungsengpässe "Die Lage an Kinderkliniken ist dramatisch"
Ärzteverbände prangern dramatische Versorgungsengpässe in Kinderkliniken an. Grund sei vor allem Personalmangel - viele Betten könnten nicht belegt werden. Mit den im Herbst üblichen Infektionswellen drohe eine komplette Überlastung.
Mediziner haben vor Engpässen bei der klinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen gewarnt. "Die Lage der Kinderkliniken ist dramatisch und wird sich eher noch verschärfen", sagte der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hoffmann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
"In vielen deutschen Kinderkliniken können auf den Kinderintensivstationen im Schnitt ein Drittel der Betten wegen Personalmangels nicht genutzt werden. In manchen Kliniken ist sogar die Hälfte nicht mehr belegbar."
"Keine Chance, alle Kinder zu versorgen"
Der Münchner Kinder-Intensivmediziner sieht vor allem den kommenden Herbst kritisch: "Wenn es Infektionswellen gibt, wie sie im Herbst in der Regel vorkommen, haben wir keine Chance, alle Kinder zu versorgen." In solchen Fällen sei es nötig, stundenlang zu telefonieren, um irgendwo in Deutschland freie Betten zu finden.
Das bedeute, dass die Kinder nicht mehr in einer Klinik mit medizinischer Maximalversorgung behandelt würden, sondern unter Umständen in einem Krankenhaus, dass weniger Erfahrung habe.
Dass Kinder zum Teil bis zu 100 Kilometer von zu Hause entfernt behandelt werden müssten, bestätigte auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch. Auch zu normalen Zeiten sei es üblich, sechs oder sieben Kliniken durchzutelefonieren, um ein passendes Bett zu finden, sagte er den Funke-Zeitungen.
Dötsch sagte, die Versorgung von Kindern im Krankenhaus sei schwerer zu kalkulieren als die von Erwachsenen. Rein wirtschaftlich rechneten sich Kinderkliniken daher oft nicht. Dazu kämen verbindliche Personaluntergrenzen: So dürfe sich eine Pflegekraft zum Beispiel nachts maximal um zehn Kinder kümmern. Bei jedem weiteren Kind müsse eine zusätzliche Kraft eingeplant werden - die oft fehle. Das führe dazu, dass viele Betten mangels Personals nicht zu betreiben seien.
Bettenzahl seit Anfang der 1990er-Jahre stark reduziert
Nach Angaben der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist zwischen 1991 und 2017 die Bettenzahl in der Kinderheilkunde um ein Drittel gesunken. Im gleichen Zeitraum stiegen die jährlichen Fallzahlen aber: von durchschnittlich 900.000 behandelten Kindern und Jugendlichen auf inzwischen mehr als eine Million.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vor kurzem eine Reform der Finanzierung der Kinderheilkunde in Aussicht gestellt. Hoffmann dagegen äußerte sich skeptisch mit Blick auf schnelle Effekte politischer Maßnahmen: "Ein System, das man über Jahre nach unten gefahren hat, kann man nicht einfach wieder hochfahren. Selbst wenn die Politik jetzt gegensteuert, werden Veränderungen frühestens in einigen Jahren greifen. Der Trend wird erstmal noch weiter bergab gehen."