Kunst aus ehemaligen Kolonien Zurückgeben oder behalten?
Soll Kunst aus der Kolonialzeit an die Ursprungsländer zurückgegeben werden? Baden-Württemberg entschied sich kürzlich für diesen Weg. Heute kommen die deutschen Kulturminister zusammen, um darüber zu beraten.
Es war wie ein großer Staatsempfang Ende Februar in Gibeon in Namibia, als die Peitsche und Bibel des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi von einer Delegation aus Baden-Württemberg an Staatspräsident Hage Geingob übergeben wurden. Seit 1902 lagerte die Witbooi-Peitsche und die Bibel im Linden-Museum in Stuttgart. Die persönlichen Gegenstände des afrikanischen Helden, der sich gegen die Kolonialmacht stellte, hatten die Deutschen vor mehr als 100 Jahren bei der Schlacht von Hornkranz erbeutet.
Der Überfall ist auch als Massaker von Hornkranz bekannt, da die deutschen Kolonialherren dabei 70 Frauen und Kinder töteten. Die Rückgabe vor wenige Tagen war aber ein wichtiger Schritt bei der Versöhnung zwischen einstiger Kolonialmacht und Unterdrückten.
Die Bibel des namibischen Nationalhelden Hendrik Witbooi lagerte seit 1902 im Stuttgarter Linden-Museum.
Frankreich als Vorreiter
Beispiele von dieser Tragweite sind eher die Seltenheit. Frankreich will es jetzt vormachen und hat die Grundlage geschaffen, um Zehntausende Kunstgüter an die ehemaligen Kolonialstaaten zurückzugeben. Im November 2017 hielt Staatspräsident Emmanuel Macron eine programmatische Rede in Burkina Faso, in der er den Kolonialismus als "Verbrechen" bezeichnete und ankündigte, die Grundlagen für eine "Restitution" zu schaffen.
Ein Jahr später legte eine Kommission konkrete Vorschläge vor. Rund 90.000 Objekte aus französischen Sammlungen, die aus den Kolonialstaaten stammen, könnten demnach an die Ursprungsländer zurückgegeben werden, wenn diese das verlangen. Die Beweislast dafür solle umgekehrt werden - im Streitfall müsste das Museum und nicht das Ursprungsland beweisen, dass das Kulturgut legitim erworben und nicht geraubt wurde.
Auch die Niederlande haben jüngst einheitliche Grundsätze für die Rückgabe von Kulturgütern geschaffen. All das setzt Deutschland unter Druck.
Zwei Lager in Deutschland
Bisher sind die Kulturminister von Bund und Länder in ihren Positionen noch weit auseinander. Für die einen wurden alle Kunstschätze aus der Kolonialzeit zu Unrecht oder gar gewaltsam angeeignet und müssten daher zurückgegeben werden. Für die anderen muss in jedem Fall einzeln die Herkunft und das Unrecht, mit dem sie erbeutet wurden, bewiesen werden.
Genau mit dieser Haltung hatten es bisher die Sammlungen leicht, Ansprüche abzuwehren. Zumal es so gut wie keine Rechtsgrundlagen gibt, wie Hannes Hartung, regelmäßig Lehrbeauftragter für Kulturgutschutzrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, kritisiert.
Im Völkerrecht verjähren zwar Rückgabeansprüche nicht ohne weiteres, aber was nützt es, wenn die Grundlage für eine Klage fehlt? "Bisher hängt eine Rückgabe immer vom Wohlwollen der Inhaber-Staaten ab", meint Hartung. Was fehle, sei ein klares Bekenntnis zur historischen Verantwortung. Hartung fordert einen gemeinsamen rechtsverbindlichen und verlässlichen Rechtsrahmen aller ehemaligen europäischen Kolonialmächte zum fairen Umgang mit Restitutionsforderungen aus den ehemaligen Kolonien.
Bei seinem Besuch in Burkina Faso stieß Präsident Macron eine breite Debatte über die Kunst aus Kolonialstaaten an.
Sammlungen öffnen
Doch fürchten die Museumsleiter künftig leere Ausstellungshallen? Nanette Snoep, seit Anfang Januar neue Leiterin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums, weiß sehr genau, dass sie davor keine Angst zu haben braucht: "Nur circa fünf Prozent der Sammlungen werden in den Museen tatsächlich ausgestellt." Der Rest schlummere in Depots. Die Ethnologin aus den Niederlanden hat selbst eine Rückgabe nach Afrika begleitet, da sie zuvor die Staatliche Ethnografische Sammlung Sachsens leitete und für das Musée du Quai Branly in Paris tätig war, in dem sich der Großteil der afrikanischen Kunstobjekte Frankreichs befindet.
Sie weiß, dass vielen Museen dort die Mittel fehlen, Rückgaben zu fordern oder sie gar später auszustellen. Was den afrikanischen Museen und Sammlungen fehle, sagt Snoep, sei vor allem freier Zugang zu Informationen. Die Wissenslücken über den Verbleib ihrer Kulturgüter sind riesig. Wenn auch Deutschland seine Sammlungen digital zugänglich machen würde, hätten diese Länder eine Chance, ihre eigene Geschichte neu zu schreiben. Genau dafür müssten die Kulturminister Gelder bereitstellen, fordert die Museumsleiterin: "Wir müssen unsere Türen weit öffnen." Und dann könnten auch die Museen hier vom Kulturaustausch profitieren.