Kritik am Leipziger Urteil Warnung vor "staatlicher Suizidhilfe"
Das Bundesverwaltungsgerichts hat ein Urteil zum Recht Schwerstkranker auf tödliche Medikamente getroffen und damit eine Welle der Kritik ausgelöst. Von "Behörden als Handlanger bei der Selbsttötung" und "todbringenden Medikamente per Verwaltungsakt" ist die Rede.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgericht zum Recht Schwerstkranker auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung hat heftige Kritik ausgelöst. Patientenschützer und Medizingesellschaften bezeichneten es als "Schritt in die falsche Richtung". Zudem lasse es viele Fragen offen. Auch Politiker äußerten sich kritisch.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe warnte davor, staatliche Behörden "zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung" zu machen. Dies untergrabe "unser Bemühen, Selbsttötung durch Hilfe und Beratung zu verhindern". Gröhe kündigte an, die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung genau zu prüfen und Möglichkeiten zu nutzen, "den Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe zu verhindern". Würde und Selbstbestimmungsschutz seien ohne Lebensschutz nicht denkbar.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe kritisierte das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.
Auch die Bundesärztekammer kritisierte das Urteil scharf. "Eine solche Bürokratieethik ist unverantwortlich", erklärte Präsident Frank Ulrich Montgomery. Er frage sich, welcher Beamte entscheiden solle, wann eine "extreme Ausnahmesituation" vorliege.
Urteil des BverwG
Das Bundesverwaltungsgericht hatte am Donnerstag entschieden, dass Schwerkranke im Extremfall Anspruch auf tödliche Medikamente haben können. "In extremen Ausnahmesituationen" darf ihnen dies dem Urteil zufolge nicht verwehrt werden. Ausgangsfall war eine gelähmte Frau, der entsprechende Arzneimittel verwehrt worden waren. Sie nahm sich 2005 in der Schweiz mit Hilfe des Vereins Dignitas das Leben. Ihr Witwer klagte jedoch in Deutschland und erstritt nun das Urteil. Die Richter begründeten die Entscheidung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Artikel 2 des Grundgesetzes.
Palliativmediziner wehren sich
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) erklärte, sie lehne eine solche Freigabe auch in Einzelfällen klar ab. Palliativmediziner versuchen unter anderem, schwerstkranken Menschen Leiden zu ersparen. Sie werden laut DGP immer wieder mit Sterbewünschen ihrer Patienten konfrontiert. Es zeige sich aber auch immer wieder, dass "dies oft der Wunsch nach einem Gespräch ist, nach alternativen Angeboten und nach einem gemeinsamen Aushalten der bedrückenden Situation", teilte die DGP mit.
Ähnlich sieht dies auch der Deutsche Hospiz- und Palliativ-Verband (DHPV). Schmerz- und Symptomkontrolle sowie das Eingehen auf Ängste der Betroffenen lasse den Wunsch nach einem Suizid häufig in den Hintergrund treten. Statt einen Zugang zu Mitteln für eine Selbsttötung zu gewähren, müsse vielmehr die palliativmedizinische Versorgung ausgebaut werden.
"Bruch mit Werteordnung"
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte das Urteil praxisfern. "Ich frage mich, wie das organisiert werden soll", sagte Brysch. Solle künftig ein Verwaltungsbeamter im Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) entscheiden, ob ein sterbewilliger Patient so ein extremer Einzelfall sei, den das Gericht angenommen hatte, fragte Brysch. Unerträgliches Leid sei weder juristisch noch ethisch genau zu definieren.
Michael Brand, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: "Die Anforderungen des Urteils sind nicht umsetzbar." Der Staat könne nicht verpflichtet werden, sich an der Durchführung eines Suizids zu beteiligen. "Das wäre ein Bruch mit unserer Werteordnung und widerspräche allen Anstrengungen zum Lebensschutz und der Suizidprävention. Todbringende Medikamente per Verwaltungsakt darf es nicht geben, denn der Staat hat eine besondere Schutzpflicht."
Kein Widerspruch zu geltendem Recht
Die SPD-Politikerin Kerstin Griese wies darauf hin, dass mit dem Urteil der Verkauf tödlicher Betäubungsmittel weiterhin grundsätzlich verboten bleibe. Somit "widerspricht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dem Beschluss des Bundestages", sagte Griese. Auch nach Ansicht des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, widerspricht das Urteil nicht geltendem Recht. Da das Urteil von "einem extremen Einzelfall" spreche, sei ausgeschlossen, dass es nun angeführt werde, "um eine generell geschäftsmäßige Suizidassistenz zu legitimieren", sagte der evangelische Theologe.