Interview zur Lage in Afghanistan Die Politik "kann sich nicht mehr durchlügen"
Das Wort Krieg gilt unter Politikern als heikel, wenn es um den Afghanistan-Einsatz geht. Es schrecke die Wähler ab, erklärt der Friedensforscher Wolfgang Zellner im Gespräch mit tagesschau.de. Doch angesichts der angespannten Lage im Land könnten sich die Politiker nicht weiter durchlügen.
tagesschau.de: Warum drücken sich deutsche Politiker im Zusammenhang mit Afghanistan vor der Verwendung des Wortes Krieg?
Wolfgang Zellner: Weil man ursprünglich von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist. Als das Mandat erstmals im deutschen Bundestag verabschiedet worden ist, war von einem Stabilisierungseinsatz die Rede. Damit verbindet man die Vorstellung, dass man sich in einem unruhigen Land mit Streitkräften hinstellt und friedliche Aufbauarbeit betreibt. Jetzt haben wir in Afghanistan die Situation, dass dort ein Krieg geführt wird – mit Gefallenen, Toten, mit Särgen, die nach Hause kommen. Das heißt, man kann die Illusion nicht länger aufrecht erhalten, dass man es mit einem Stabilisierungseinsatz zu tun hat. Und das Mandat ist unter diesen Voraussetzungen gegeben worden.
Wolfgang Zellner ist der stellvertretende wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Zu seinen fachlichen Schwerpunkten gehört unter anderem europäische Sicherheitspolitik und konventionelle Rüstungskontrolle in Europa.
tagesschau.de: Wie schätzen Sie den Vorstoß vom SPD-Vorsitzenden Gabriel ein, über ein neues Mandat abzustimmen?
Zellner: Dass die Mandate auf der bisherigen Begrifflichkeit nicht mehr durch die Realität abgedeckt werden, ist nicht zu leugnen. Das haben auch die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister eingeräumt. Nun versucht Gabriel das politisch zu nutzen.
tagesschau.de: Ist sein Vorstoß berechtigt?
Zellner: Er ist berechtigt, denn die bisherigen Mandate sind unter anderen politischen Voraussetzungen erteilt worden. Jetzt ist man so weit anzuerkennen, dass man in einen Krieg gezogen ist. Da muss man sich natürlich auch die Frage gefallen lassen: Wollen wir das? Man kann sich sozusagen nicht mit der Begriffswahl Stabilisierungseinsatz durchlügen, wie man das jahrelang gemacht hat. Das hat Gabriel bemerkt.
Militärische Einsätze werden gern als Friedenseinsatz verkauft
tagesschau.de: Aber warum vermieden Politiker es bislang, das Wort Krieg zu benutzen, wenn es doch zutrifft?
Zellner: Es geht letztendlich um die Zustimmung der Bevölkerung und die Legitimierung dieser Einsätze. Im Bundestag wird zwar über die Mandate abgestimmt, aber die dort vertretenen Parteien müssen sich Gedanken machen, wie das bei der Bevölkerung ankommt. Die Deutschen sind bei allen Dingen, die man als Krieg bezeichnen muss, sehr skeptisch. Von daher gab es schon immer die Tendenz, militärische Einsätze der Bevölkerung als Stabilisierungs- oder Friedenseinsätze zu verkaufen. In Afghanistan ging das anfangs, ist mittlerweile aber unrealistisch. Und mit jedem Gefallenen und jedem großen Gefecht wird klar, dass dort kriegerische Auseinandersetzungen ausgetragen werden - da kommt es in der Bevölkerung zu entsprechenden Fragen.
Krieg bezeichnet einen organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates (Bürger-K.).
tagesschau.de: Und bei den Politikern...
Zellner:...zu einer gewissen Nervosität, weil sie auf der einen Seite unter einem enormen internationalen Druck stehen, diese Einsätze bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Auf der anderen Seite wird natürlich die Skepsis in der Bevölkerung größer. Das heißt, es geht letztendlich um Wählerstimmen.
tagesschau.de: Wie wurde das bei früheren Bundeswehr-Einsätzen gehandhabt?
Zellner: Nehmen wir mal den Einsatz im Kosovo nach dem Ende des Luftkriegs: Das waren tatsächlich Stabilisierungseinsätze. Da ist dieser Begriff richtig. Wenn man das mit Afghanistan vergleicht, dann ist das dort ein Kampfeinsatz. In Afghanistan herrscht Krieg.
Skepsis der Bevölkerung könnte wachsen
tagesschau.de: Wie ist ihre persönliche Einschätzung: Wie geht es weiter mit dem Afghanistan-Mandat?
Zellner: Ich denke, die Bundeswehr wird da noch eine Zeit lang tätig sein. Die Mehrheiten sind klar. Selbst wenn SPD und Grüne, die bislang immer den Afghanistan-Mandaten zugestimmt haben, ihre Meinung ändern sollten. Aber ich nehme an, dass die Skepsis aus der Bevölkerung größer wird - und damit die Gefahr für die Handlungsträger, Wählerstimmen zu verlieren.
Das Interview führte Sonja Stamm für tagesschau.de.