Expertenrat der Bundesregierung Deutschland wird Klimaziele laut Gutachten verfehlen
Noch im März hatte Wirtschaftsminister Habeck verkündet, dass Deutschland beim Klimaschutz auf Kurs sei. Doch der Expertenrat für Klimafragen sieht das in einem Gutachten anders. Waren die Vorausberechnungen zu optimistisch?
Der Expertenrat für Klimafragen der Regierung sieht die deutschen Klimaziele für 2030 in Gefahr und widerspricht Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck. Eine Zielerreichung bei den Treibhausgas-Emissionen von 2021 bis 2030 könne man nicht bestätigen. Im Gegenteil gehe man von einer Zielverfehlung aus, erklärten die Experten nach Prüfung der erwarteten Emissionen bis 2030.
Keine Sofortprogramme für Einzelsektoren
Bis zum Jahr 2030 soll der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen laut Klimaschutzgesetz um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2040 sollen es mindestens 88 Prozent sein. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein - also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.
2023 hatte Deutschland seine Vorgabe insgesamt erfüllt, die Einzelsektoren Verkehr und Bau aber ihre gerissen. Nach dem neuen Klimaschutzgesetz müssen die Sektoren nun aber keine Sofortprogramme mehr auflegen, um wieder auf Kurs zu kommen. Entscheidend ist, dass Deutschland insgesamt seine jeweiligen Jahresziele erreicht und auch 2030 den Projektionsdaten zufolge schafft.
Fachleute: Können Zielerreichung nicht bestätigen
Noch im März hatte das Umweltbundesamt auf Basis dieser Vorausberechnungen geurteilt, das Ziel 2030 könne erreicht werden. "Deutschland ist auf Kurs - erstmals", hatte Wirtschaftsminister Habeck daraufhin gesagt. Dies wird durch das Urteil des Expertenrats nun fundamental infrage gestellt.
In einem rund 130 Seiten umfassenden Sondergutachten haben die Wissenschaftler die Vorausberechnungen des Umweltbundesamts (UBA) überprüft. "In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus", erklärte der Vorsitzende Hans-Martin Henning.
CO2-Rückgang in der Industrie
Zwar würde laut den von Habeck im März verkündeten UBA-Projektionen Deutschland knapp innerhalb des gesetzlich erlaubten Budgets an Treibhausgas-Emissionen bleiben. Der Expertenrat erwartet aber nicht, dass es so kommt.
Erstens fehlten bei den Projektionsdaten Angaben zur Wahrscheinlichkeit, dass sich der Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich so entwickelt wie angenommen. Anhand eigener Berechnungen geht der Expertenrat davon aus, dass nicht von einer Erreichung des 2030-Ziels ausgegangen werden sollte - auch wenn zu erwarten sei, dass die Emissionen erheblich sinken.
Die zu erwartenden Treibhausgas-Emissionen in mehreren Sektoren seien in den Vorausberechnungen unterschätzt worden, urteilen die Fachleute. Das gelte etwa für die Industrie, die zuletzt wegen der Wirtschaftsschwäche weniger CO2 produziert hatte. Aber auch bei allen übrigen Sektoren bis auf Land- und Abfallwirtschaft seien die vom Umweltbundesamt übermittelten Daten zu optimistisch.
Kürzungen beim Klimafonds
Das wiederum führt der Expertenrat darauf zurück, dass wichtige Entwicklungen nicht in die Berechnungen des Umweltbundesamts eingeflossen seien. Habecks Optimismus beruhte auf teils überholten Annahmen, wie Kritiker schon im März anmerkten. Denn in die Berechnungen waren nur Daten bis zum Oktober 2023 eingeflossen.
Doch erst danach wurde - unter dem Sparzwang des Karlsruher Haushaltsurteils - der wichtige Energiewendetopf Klima- und Transformationsfonds zusammengestrichen. Der Expertenrat verweist auf diese Kürzungen, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und Zertifikatspreise im europäischen Emissionshandel.
Der Expertenrat rechnet anhand der Projektionsdaten damit, dass auch für den Zeitraum 2031 bis 2045 die dann noch ehrgeizigeren Klimaziele verfehlt werden. Auch das Ziel der Treibhausgasneutralität werde weder bis zum Jahr 2045 noch bis 2050 erreicht.
Fachleute: Unklare Verantwortung
Die Wissenschaftler mahnen die Bundesregierung mit Blick auf die Ziele bis 2030 zum Handeln - auch wenn das jüngst vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete neue Klimaschutzgesetz erst dann eine politische Nachsteuerung vorsieht, wenn die Daten in zwei Jahren nacheinander eine Verfehlung der Klimaziele erwarten lassen.
"Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen", riet der Gremiumsvorsitzende Henning.
Erschwerend komme hinzu, dass die Verantwortung innerhalb der Regierung im neuen Klimagesetz nicht klar geregelt sei. Während bisher die Minister für die Bereiche, die ihre Sektorziele verfehlt hatten, handeln müssten, sei jetzt die gesamte Regierung in der Verantwortung. Es sei aber unklar, wer die Federführung habe.
Milliarden-Beträge für Deutschland?
Nicht gelöst sei zudem das aufziehende Problem mit der Europäischen Union: Während die Sektorziele für Verkehr, Bau- oder Landwirtschaft in Deutschland mit dem neuen Gesetz an Bedeutung verloren hätten, sei dies in der EU nicht der Fall. Verfehlt ein Land hier seine Vorgaben, muss es Emissionsrechte in anderen Ländern zukaufen, die ihre Ziele übererfüllen. Praktisch sind dies Strafzahlungen, die in kommenden Jahren Milliarden-Beträge für Deutschland ausmachen könnten.
In einer früheren Version hieß es, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral sein wolle. Korrekt ist allerdings 2045. Der Abschnitt wurde korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen