Streit über Kindergrundsicherung "Das Schweigen von Scholz ist dröhnend laut"
Gewerkschaften und Sozialverbände haben Bundeskanzler Scholz aufgefordert, beim Streit über die Kindergrundsicherung einzugreifen. Scholz und die SPD müssten zu diesem Vorhaben klar Farbe bekennen.
Gewerkschaften und Sozialverbände vermissen von Bundeskanzler Olaf Scholz und der SPD insgesamt eine eindeutige Positionierung im Streit über die Kindergrundsicherung. "Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD müssen zu diesem wichtigsten sozialen Projekt in dieser Wahlperiode klar Farbe bekennen", forderte Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), in der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".
Jeder weitere Tag, den Finanzminister Christian Lindner (FDP) "seine Blockadehaltung" fortsetze, schade "den Jüngsten in unserer Gesellschaft", sagte Piel weiter. "Kinderarmut raubt Bildungs- und Entwicklungschancen - sie ist so bitter und folgenschwer, dass es allerhöchste Zeit für eine gut gemachte Kindergrundsicherung ist."
Den Finanzminister forderte sie auf, "ungerechte Privilegien von Wohlhabenden" aufzuheben. Dies könne dabei helfen, "die Kindergrundsicherung zu finanzieren". Dass Gering- und Normalverdiener nur 250 Euro Kindergeld bekämen, während Spitzenverdiener über den Kinderfreibetrag "monatlich ein Steuergeschenk von 354 Euro" erhielten, bezeichnete die Gewerkschafterin als "Skandal".
Schneider kritisiert SPD scharf
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, kritisierte insbesondere Lindners Argument hinsichtlich einer bereits erfolgten Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro als "klassische Nebelkerze". "Wenn der Finanzminister meint, der finanzielle Spielraum sei zu eng, dann muss er endlich für eine solidarische Umverteilung sorgen", forderte Schneider in der "Stuttgarter Zeitung".
Er hält es für einen Fehler, Steuererhöhungen "zum Tabu zu erklären". Darunter dürften "nicht ausgerechnet die Ärmsten und Schwächsten dieser Gesellschaft leiden". Scharfe Kritik übte er hierbei auch an der SPD: "Das Schweigen von Bundeskanzler Olaf Scholz und auch von Bundessozialminister Hubertus Heil zur Kindergrundsicherung ist wirklich dröhnend laut."
Wirtschaftsweiser kritisiert Lindners Haltung
Auch der Ökonom Martin Werding kritisierte die Haltung des Finanzministers zur geplanten Kindergrundsicherung. Lindner unterschätze die Bedeutung des Projekts, sagte Werding den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der Wissenschaftler gehört dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. "Arme Familien haben weder etwas vom höheren Kindergeld, weil es mit dem Bürgergeld für ihre Kinder voll verrechnet wird, noch vom höheren Kinderzuschlag, wenn sie das dafür nötige Mindesteinkommen nicht erreichen", so der Experte. Die Kindergrundsicherung bündele bisherige Leistungen und stelle sicher, dass Kinder in Armut bekämen, was sie für Bildung und Teilhabe benötigten. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Kinderschutzbundes, Hilgers, in einem Interview im Deutschlandfunk.
Familienministerin Paus: Zwölf Milliarden Euro nötig
Seit Wochen streiten Grüne und FDP darüber, wie viel Geld die Ampelregierung für die Kindergrundsicherung ab 2025 ausgeben soll. Geplant ist, dass diverse staatliche Leistungen für Kinder gebündelt werden und durch eine digitale und vereinfachte Antragsstellung mehr Berechtigte davon profitieren sollen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hat einen Bedarf von zwölf Milliarden Euro angemeldet. Finanzminister Lindner sieht hingegen kaum Spielraum im Haushalt und verweist auf die bereits erfolgte Kindergelderhöhung. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel vereinbart, mit der Kindergrundsicherung mehr Kinder aus der Armut holen zu wollen.
SPD-Chefin unterstützt Forderung von Paus
SPD-Chefin Saskia Esken befürwortete unterdessen die von Familienministerin Paus geforderte Summe von zwölf Milliarden Euro. "Ich gehe davon aus, dass wir den Betrag von zwölf Milliarden auch brauchen werden", sagte Esken im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Bislang seien die zwölf Milliarden Euro aber noch eine Schätzung, sagte Esken. Wichtigstes Ziel müsse sein, mehr Menschen aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten zu erreichen. "Es kommt vor allem darauf an, dass wir wirklich alle Kinder und Jugendlichen und ihre Familien eben erreichen, die diese Unterstützung auch brauchen", sagte sie.
FDP-Vizefraktionschef: Unseriöse Zahlen
FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer warf den Koalitionspartnern vor, mit unseriösen Zahlen zu rechnen. "Die FDP rechnet nicht mit Mondzahlen. Saskia Esken redet über unseriöse Zahlen", sagte Meyer mit Blick auf die geforderten zwölf Milliarden Euro der Nachrichtenagentur dpa. "Lisa Paus' Vorschlag ist nur ihre Meinung, keine Position der Koalition", erklärte Meyer weiter. "Familien müssen leichter an das Geld für die Kinder kommen, das ist Lisa Paus' Aufgabe." Nur auf das Transfergeld zu schauen, missachte die Lebenswirklichkeit von Familien.
Lindner: Keine höheren Sozialtransfers
Finanzminister Lindner forderte, den Fokus mehr auf die Ursachen von Kinderarmut zu lenken. "Statt über wirksame Mittel gegen die Gründe von Kinderarmut zu diskutieren, wird nur über weitere Milliardentransfers gesprochen. Soziale Politik aber bemisst sich nicht am Umfang der Etats, sondern an nachhaltig sozialen Ergebnissen im Alltagsleben", sagte der FDP-Chef der Nachrichtenagentur dpa.
"Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, werden wir Leistungen für Kinder neu ordnen und den Zugang erleichtern. Immer höhere Sozialtransfers helfen Familien nicht weiter." Denn Kinderarmut sei oft in Bildungs- oder Erwerbsarmut der Eltern begründet. "Gerade für Familien, in denen bisher kein eigenes Einkommen erzielt wird, gibt es bessere Hilfen als immer höhere Zahlungen." Lindner schlug vor, insbesondere Spracherwerb und Bildung bei den Eltern zu fördern, damit sie auf dem Arbeitsmarkt ein eigenes Einkommen erzielen können.