Reaktion auf steigende Kosten Kabinett bringt Pflegereform auf den Weg
Höhere Beiträge und Entlastungen für Pflegebedürftige: Mit einer Reform will die Regierung auf steigende Kosten in der Pflege reagieren. Das Kabinett brachte den Entwurf nun auf den Weg. Kritik kam von Verbänden und Krankenkassen.
Das Bundeskabinett hat die angekündigte Pflegereform auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht eine Erhöhung der Pflegebeiträge und Leistungsverbesserungen vor.
Demnach soll der allgemeine Beitrag zur Pflegeversicherung zum 1. Juli um 0,35 bis 0,6 Prozentpunkte erhöht werden - derzeit liegt er bei 3,05 Prozent, für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Für Familien mit zwei oder mehr Kindern soll es Entlastungen geben. Pflegebedürftige zu Hause und im Heim sollen Anfang 2024 finanzielle Verbesserungen erhalten.
Lauterbach sagte, die Pflegebedürftigen hätten volle Solidarität verdient. "Da die Kosten von guter Pflege ständig steigen, darf die Solidargemeinschaft nicht wegschauen und diese höheren Kosten den zu Pflegenden und ihren Angehörigen überlassen." Gleichzeitig gelte es, die Finanzierung der Pflege zu stabilisieren, so der SPD-Politiker.
Ab 2024 mehr Pflegegeld
Das Pflegegeld wurde zuletzt 2017 erhöht. Nun soll es dem Entwurf zufolge zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie die Beträge für Sachleistungen. Pflegegeld wird als Unterstützung gezahlt, wenn Pflegebedürftige nicht in Einrichtungen, sondern zu Hause leben. Es kann frei verwendet werden und liegt je nach Pflegegrad zwischen 316 und 901 Euro im Monat.
Für Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sollen 2022 eingeführte Entlastungszuschläge ebenfalls zum 1. Januar 2024 angehoben werden. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll dies im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher fünf Prozent drücken, im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent. Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen dann auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.
Entlastungen für Familien
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll beim Beitrag künftig auch stärker danach unterschieden werden, ob man Kinder hat oder nicht. Größere Familien mit zwei und mehr Kindern sollen davon profitieren. Dies soll mit der Anhebung des allgemeinen Beitrags zum 1. Juli kombiniert werden. Dadurch steigt der Beitrag für Kinderlose insgesamt auf vier Prozent und für Mitglieder mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Dabei soll der Arbeitgeberanteil von aktuell 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent steigen.
Für größere Familien soll es so geregelt werden, dass sie während der Erziehungsphase bis zum 25. Lebensjahr des jeweiligen Kindes weniger Beitrag zahlen als den jetzigen Arbeitnehmeranteil von 1,525 Prozent. Ab zwei Kindern soll dieser demnach künftig bei 1,45 Prozent liegen und mit steigender Kinderzahl weiter reduziert werden - bis auf 0,7 Prozent bei Pflegeversicherungsmitgliedern mit fünf und mehr Kindern.
Kritik von Verbänden und Krankenkassen
Verbände und Krankenkassen äußerten heftige Kritik an dem Entwurf. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, Lauterbach lasse insbesondere die Menschen in häuslicher Pflege und ihre Angehörigen im Stich. "Klammheimlich wurde nun die eigentlich geplante Zusammenlegung des Entlastungsbudgets für Kurzzeit- und Verhinderungspflege doch wieder gestrichen", sagte Vorstand Eugen Brysch. Auch stünden die Erhöhungen von Pflegegeld und ambulanten Sachleistungsbeträgen in keinem Verhältnis zur Kostenexplosion von 40 Prozent in den vergangenen fünf Jahren in der Altenpflege. Brysch appellierte an die Bundestagsabgeordneten, eine Reform zu verabschieden, die die Lebenswirklichkeit pflegebedürftiger Menschen widerspiegele.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen kritisierte, der Gesetzentwurf springe deutlich zu kurz. Wenn die Pflegeversicherung nicht funktioniere, werde das Vertrauen in den Staat und Gesellschaft gestört, erklärte Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. Er verwies darauf, dass die Pflegeversicherung kostspielige versicherungsfremde Ausgaben übernommen habe.
"Tropfen auf den heißen Stein"
Der Deutsche Caritasverband warf dem Bundesgesundheitsminister vor, die Versprechen des Koalitionsvertrages zu brechen. Es gebe keine spürbare Entlastung bei häuslicher Pflege. Unverständlich sei vor allem, dass das Entlastungsbudget für pflegende Angehörige aus dem Gesetzentwurf herausgenommen worden sei, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Auch die Pflegegelderhöhung bleibt aus Sicht der Caritas hinter dem Koalitionsvertrag zurück. Die Erhöhung um fünf Prozent reiche nicht aus, um die Kostensteigerungen auszugleichen.
Die Diakonie sprach von einem "Tropfen auf den heißen Stein". Zur Finanzierung der Pflege seien keine zusätzlichen Steuermittel vorgesehen, erklärte Präsident Ulrich Lilie. Offenkundig schaffe es Lauterbach nicht, eine Pflegereform auf den Weg zu bringen, die ihren Namen verdiene.
Anstieg der Ausgaben während Pandemie
Etwa 4,9 Millionen Menschen beziehen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Etwa vier Millionen werden von ihren Angehörigen zu Hause versorgt.
In den Corona-Jahren stiegen die Ausgaben der Pflegeversicherung stark an. Sie lagen 2021 bei rund 53,8 Milliarden Euro und damit 1,35 Milliarden Euro über den Einnahmen. Dem GKV-Spitzenverband zufolge stieg das Defizit zum Jahresende 2022 auf rund 2,2 Milliarden Euro.