Interview

Interview zum FDP-Parteitag "Die Union muss sich an eine neue FDP gewöhnen"

Stand: 15.05.2011 03:47 Uhr

Mit einer Debatte zur Energiepolitik ist der FDP-Bundesparteitag zu Ende gegangen. In Rostock habe der neue Vorsitzende Rösler gezeigt, dass er der Partei ein neues Gesicht geben könne, sagt der Alt-Liberale Hirsch im Interview mit tagesschau.de. Rösler werde FDP-Positionen knallhart durchsetzen. Daran werde sich die Union gewöhnen müssen.

tagesschau.de: Der Bundesparteitag geht zu Ende. War Rostock das erhoffte Aufbruchsignal für die FDP?

Burkhard Hirsch: Von einigen Details abgesehen: Ja. Und das liegt maßgeblich am neuen Bundesvorsitzenden Philipp Rösler. Seine Rede hat der Partei eine neue Sprache gegeben. Eine Sprache, die wir bei seinem Vorgänger so nie gehört haben. Er hat über die Sorgen der Menschen gesprochen und sich dabei nicht zu gewaltigen Thesen verstiegen, die nichts mit der sozialen Wirklichkeit der Menschen zu tun haben. Das ist ein neuer Ton, der einen hoffen lässt  - und von dem ich glaube, dass er der FDP ein neues Gesicht geben wird.

tagesschau.de: Unterscheidet sich die Rösler-FDP von der Westerwelle-FDP nur im Tonfall oder geht es auch um neue Inhalte?

Hirsch:  Der Ton spielt natürlich eine wichtige Rolle. Ich glaube, dass Herr Westerwelle in den letzten Jahren nur sehr schwer neuen oder anderen Gedanken zugänglich war. Und dass er in seiner sehr bestimmenden Art das Bild der Partei viel zu einseitig geprägt hat - eben ausschließlich in der Wirtschafts- und Steuerpolitik. Und im Gegensatz zu Westerwelle ist der neue Bundesvorsitzende ein ausgesprochener Team-Player.

Burkhard Hirsch
Zur Person "Burkhard Hirsch"
Burkhard Hirsch gehört seit 1949 der FDP an. Er war im Bundesvorstand und führte die nordrhein-westfälische FDP. Von 1972 bis 1975 und von 1980 bis 1998 gehörte er dem Bundestag an, zuletzt als dessen Vizepräsident. Über lange Jahre haben der 1930 in Magdeburg geborene Jurist und seine Mitstreiter Hildegard Hamm-Brücher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum das innenpolitische Profil der FDP geprägt. Der Rechtsexperte tritt immer wieder energisch für die Wahrung der Bürgerrechte ein.

tagesschau.de: Kann ihm gerade das gefährlich werden?

Hirsch: Im Zweifel schon. Röslers Erfolg oder Misserfolg wird maßgeblich davon abhängen, ob sich die anderen Beteiligten auch wirklich in ein Team einordnen werden, unabhängig davon was sie bisher gemacht haben. Das wird dem ein oder anderen bestimmt nicht leicht fallen.

Zeit des politischen Fingerhakelns vorbei

tagesschau.de: Und was ändert sich für den Koalitionspartner in Berlin?  

Hirsch: Ich denke unser Koalitionspartner in Berlin muss sich schon an eine neue FDP gewöhnen. Die Zeiten, in der man uns in der Art eines bayerischen Fingerhakelns über den Tisch ziehen konnte  - die sind jetzt definitiv zu Ende.

tagesschau.de: Ist Philipp Rösler dafür durchsetzungsstark genug?

Hirsch: Ich glaube, da sollte man sich nicht täuschen. Er hat vielleicht einen völlig anderen Politikstil als viele das in vergleichbaren Positionen haben - aber er wird die Positionen der FDP knallhart durchsetzen.

tagesschau.de: Besinnt sich die FDP mit diesem Parteitag wieder mehr auf ihre alten, bürgerrechtlichen Werte?

Hirsch: Die alten Werte sind immer die selben Werte. Nämlich die Frage zu beantworten, was in unserer Gesellschaft Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bedeutet und wie sich das in unsere heutige Zeit übersetzten lässt. Und das hat Rösler in seiner Rede ja auch tatsächlich gemacht. Denken Sie etwa an seine Überlegungen zur Altenpflege, zur Bildungspolitik oder auch den neuen digitalen Medien. Er hat liberale Werte modern interpretiert - und eben nicht nur über einen verminderten Mehrwertsteuersatz für Hoteliers und den Mittelstandsbauch bei der Einkommenssteuer fabuliert. Dass das jetzt nicht mehr die vorherrschende Denkweise in der FDP ist, ist wirklich ein Glücksfall.

"Eine Schonfrist gibt es in der Politik nicht"

tagesschau.de: Werden die Wählerinnen und Wähler die Neuausrichtung der FDP goutieren?

Hirsch: Ich glaube schon, dass ein Liberalismus dieser Art ein hohes Wählerpotenzial hat. Auch wenn unsere Gesellschaft sehr vom Besitzstandsdenken und Verlustängsten geprägt ist.

tagesschau.de: Angenommen, die FDP schneidet bei den kommenden Landtagswahlen wieder nicht gut ab. Brechen dann die Diskussionen um das Personal nicht gleich wieder auf?

Hirsch: Eine Schonfrist gibt es in der Politik nicht. Auch nicht für den neuen FDP-Vorsitzenden. Aber trotzdem ist klar: Eine neue Basis, neues Vertrauen lässt sich nicht von heute auf morgen entwickeln. Das benötigt eben Zeit.

tagesschau.de: Aber nochmal gefragt: Wird Rösler diese Zeit haben?

Hirsch: Davon gehe ich aus. Das ist doch auch eines der Ergebnisse dieses Parteitages. Die Partei hat keine Lust mehr auf Personalquerelen - egal was der ein oder andere in der Vergangenheit für einen Bockmist verzapft hat. Jetzt wird nach vorne geschaut. Die Liberalen wollen endlich wieder ernst genommen werden. In letzter Zeit mussten Kabarettisten ja nur das Wort FDP erwähnen und die Leute haben laut losgelacht. Doch das wird jetzt aufhören. 

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de, zzt. Rostock