Merkel, Seehofer, Nahles (Archivbild)
Interview

Politologe zur Koalitionskrise "Das ist ein strategisches Versagen"

Stand: 19.09.2018 16:53 Uhr

Merkel sei schwach, Nahles habe strategisch versagt. So beurteilt Politologe von Lucke die Causa Maaßen im tagesschau.de-Interview. "Das hat die Halbwertszeit der Koalition massiv gesenkt."

tagesschau.de: In der SPD hagelt es Kritik an der Beförderung von Hans-Georg Maaßen. Hätte Andrea Nahles der Personalie besser nicht zustimmen sollen?

Albrecht von Lucke: Andrea Nahles hat einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat am Wochenende durch ihre ultimative Aussage, "Herr Maaßen muss gehen - und ich sage Euch, er wird gehen", eine sehr hohe Erwartungshaltung erzeugt. Wenn dann dieser Mann sogar noch zum Staatssekretär befördert wird, geht das zulasten der Person, die diesen Erwartungsdruck aufgebaut hat. Sie hätte dieser Beförderung daher nicht zustimmen dürfen. Das ist ein strategisches Versagen.

Publizist Albrecht von Lucke
Zur Person
Albrecht von Lucke, Jahrgang 1967, ist Jurist und Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Redakteur der Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" und als Hörfunk-Kommentator.

tagesschau.de: Warum hat sie es dennoch getan?

Von Lucke: Offenbar war ihr nicht bewusst, wie stark die Reaktionen aus den eigenen Reihen sein würden. Sonst hätte sie es sich womöglich anders überlegt. Aber sie hatte wohl nicht den Mut zu sagen: Diese Beförderung ist mit mir nicht zu machen - auch auf die Gefahr hin, die Koalition aufzukündigen. Denn jetzt wird dieser Deal in der Öffentlichkeit als Kuhhandel wahrgenommen, was er ja auch ist. Das hat zum einen verheerende Folgen für die Demokratie und das Vertrauen in die Politik. Und zum anderen geht es voll zulasten der SPD.

Ich glaube, Nahles hätte in den eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit sehr viel Anerkennung gefunden, wenn sie gesagt hätte, dass ihr hier ein völlig unzumutbarer Vorschlag unterbreitet wurde und dass das mit der SPD nicht zu machen ist. So hingegen wirkt es, als ob sie diese Koalition auf Biegen und Brechen fortsetzen will. Ich halte das auch im Hinblick auf die bayerischen Landtagswahlen und die dortige Schwäche der SPD für falsch. Und es dürfte ihr nach den Wahlen auch vorgeworfen werden.

"SPD darf nicht immer klein beigeben"

tagesschau.de: Könnte sich hinter Nahles' Zustimmung auch die Angst verbergen, noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren, die ja auf der Seite Maaßens stand?

Von Lucke: Ja, das dürfte in der Tat ein Grund gewesen sein. Das Dilemma der SPD besteht ja darin, dass sie seit Neuestem von drei Seiten attackiert wird: Seit jeher wird sie von links von der Linkspartei angegriffen und jetzt auch noch von der linken Sammlungsbewegung. Inzwischen aber immer stärker auch aus der Mitte, also von der Merkel-Union, die viele liberale Positionen übernommen hat, und von den Grünen, die sich als neue Volkspartei gerieren - und das in Bayern ja teilweise auch untermauern.

Und jetzt erfolgt auch noch ein dritter Angriff, nämlich von rechts, durch die AfD. Denn autoritäre Charaktere, die bisher noch SPD gewählt haben, sind der AfD teilweise näher als beispielsweise den Grünen. Da mag die Angst von Andrea Nahles, diese Wähler nach einem Platzen der Koalition auch noch an die AfD zu verlieren, so groß gewesen sein, dass sie diesem faulen Kompromiss zugestimmt hat.

"SPD braucht Ermutigung nach innen"

tagesschau.de: Die SPD wirkt jetzt einmal mehr zerstritten, schwach, ohne klaren Kurs. Wie kann sie aus dieser Rolle wieder herauskommen?

Von Lucke: Diese strategische Schwäche, der die SPD ausgesetzt ist, wird sie nur überwinden können, wenn sie es auch einmal zum Schwur kommen lässt und entschieden für etwas einsteht. Es ist auch für die Partei im Inneren fatal, wenn der Eindruck entsteht, dass sie immer wieder klein beigibt. Dann wird die Bereitschaft der Wähler, aber auch der SPD-Mitglieder immer geringer werden, die Partei offensiv zu verteidigen. Es braucht daher dringend eine Ermutigung für die Partei nach innen.

Die unbedingte Forderung nach Entlassung von Maaßen schien genau das zu sein. Was jetzt aber passiert ist, ist genau das Gegenteil davon und hat den Kampfesmut eher geschwächt. Und das stärkt wiederum die Kritiker der Großen Koalition, die es ja auch in den eigenen Reihen um Juso-Chef Kevin Kühnert in großer Zahl gibt.

Die entscheidende Frage für die SPD wird sein, nachdem sie so schwach in diese Koalition gestartet ist, ob sie es noch einmal schafft, einen neuen Anfang zu machen. Dieser Anfang hätte darin bestehen können, dass Nahles sich gemeinsam mit der Kanzlerin gegenüber Horst Seehofer behauptet. Hätte Nahles mit dem Koalitionsbruch gedroht, hätte Merkel womöglich Seehofer geopfert. Doch diese Chance ist verstrichen und im Bundesinnenministerium sitzen jetzt gleich zwei Merkel-Kritiker, Seehofer und Maaßen.

"Verheerend für Vertrauen der Bevölkerung in Koalition"

tagesschau.de: Offenbart das nicht auch eine große Schwäche der Kanzlerin, die Maaßens umstrittenen Äußerungen ja ebenfalls kritisch gegenüberstand?

Von Lucke: Absolut. Angela Merkel hat es einmal mehr vermieden, ihre Richtlinienkompetenz wirklich durchzusetzen. Das hat auch ihrem Ansehen geschadet. Nur geht das in diesem Fall noch stärker zulasten derjenigen, die die größten Erwartungen geweckt hat, und das war eben Andrea Nahles. Merkel hat sich, ganz wie es ihre Art ist, nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Sie lässt die Dinge bekanntlich erst einmal auf sich zukommen und schaut in jeder Situation nach den strategischen Möglichkeiten, das für sie Optimale rauszuholen.

Offensichtlich hat sie sich für einen Fortbestand der Koalition mit Horst Seehofer entschieden. Auch in dem Wissen darum, dass eine Entlassung von Seehofer die bayerischen Landtagswahlen nicht erleichtert hätte und damit auch sie dem Schuldvorwurf am 14. Oktober ausgesetzt hätte. Beide - Merkel und Nahles - trafen ihre Entscheidungen auch aus purer Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD bei der Bayernwahl. Das hat die Positionen beider geschwächt und letztlich die Position Seehofers gestärkt.

tagesschau.de: Das ist nun schon die zweite existenzielle Krise dieser Koalition in nur einem halben Jahr Regierungszeit. Wie soll das weitergehen?

Von Lucke: Die Krise im Sommer war parteipolitisch heftiger, weil es im Kern um eine dauerhafte Trennung der Union ging. Aber die jetzige Krise ist verheerender im Hinblick auf das Vertrauen der Bevölkerung in diese Koalition und ihre Regierungsfähigkeit. Das heißt, wenn diese Regierung nicht noch einmal einen Neuanfang findet und CDU, CSU und SPD nicht bald konstruktiv zusammenarbeiten, dann hat diese Koalition keine Zukunft. Die Causa Maaßen hat die Halbwertszeit der Koalition massiv gesenkt. Nach der bayerischen Landtagswahl wird sich die Frage wohl ein letztes Mal stellen: Findet diese Koalition noch mal zu einem Neuanfang? Und vieles spricht dafür, dass das ohne Horst Seehofer wesentlich leichter funktionieren könnte.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 19. September 2018 um 17:00 Uhr.