Zschäpes Erklärung im NSU-Prozess "Jede Aussage auf Widersprüche abklopfen"
Jede Aussage von Zschäpe muss das Gericht nun auf Widersprüche überprüfen, sagt ARD-Terrorismusexperte Schmidt, der den Prozess in München verfolgt. Schon beim ersten Anhören habe er massive Zweifel, was die Glaubwürdigkeit angeht, analysiert er im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Welche Verteidigungstaktik scheinen Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel zu verfolgen?
Holger Schmidt: Beate Zschäpe erklärt durch ihren Anwalt, dass sie von den Morden und Sprengstoffanschlägen immer nur im Nachhinein erfahren hat. Ganz ausdrücklich bestreitet sie die Anklage der Bundesanwaltschaft, Mittäterin der Morde gewesen zu sein. Bezogen auf das Motiv der Morde, den Fremdenhass ihrer Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, distanziert sie sich davon ausdrücklich. Damit soll deutlich gemacht werden, dass sie weder Mittäterin der Morde gewesen sein kann, noch zur Terrororganisation NSU gehört hat.
tagesschau.de: Für wie erfolgreich - aus Sicht Zschäpes - halten Sie ihre Aussage? Geht die Taktik auf?
Schmidt: Das kann man so kurz nach der Erklärung noch nicht sagen. Sie ist sehr komplex. Gericht und Bundesanwaltschaft werden sie nun Satz für Satz mit den Ermittlungsergebnissen und dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung vergleichen: Sind die Angaben plausibel? Was spricht dafür, was spricht dagegen? Gut für Frau Zschäpe wäre, wenn sich keine Widersprüche zu den bisherigen Ermittlungen ergeben. Da habe ich allerdings schon beim ersten Anhören Zweifel. Wie kommt beispielsweise der rasche Wandel im Lebenslauf von Frau Zschäpe zustande: Ende der 1990er-Jahre noch Nazilieder gegröhlt und ein KZ-Spiel gestaltet - und im Jahr 2000 dann fassungslos sein, dass die beiden Uwes aus rassistischen Motiven töten?!
tagesschau.de: Wie haben die Opfer die Aussage Zschäpes aufgenommen?
Schmidt: Einige Angehörige sind heute hier vor Ort, wollten die Erklärung selbst erleben. Ich bin selbst seit heute Morgen im Verhandlungssaal und habe keinen direkten Kontakt zu Angehörigen oder ihren Anwälten. Die Kolleginnen und Kollegen des ARD-Berichterstatter-Pools sagen, dass es viel Skepsis der Nebenkläger gibt: Man glaubt Beate Zschäpe schlichtweg nicht.
tagesschau.de: Wie hat Zschäpe sich während der Aussage verhalten?
Schmidt: Sie hat offensiv in den Saal geschaut. Schon am Morgen war erstaunlich, dass sie sich nicht wie sonst von den Kameras weggedreht hat, sondern direkt in die Objektive schaute - und lächelte.
tagesschau.de: Sagte sie etwas über die Rolle des Verfassungsschutzes?
Schmidt: Indirekt ja. Sie beschuldigt den Neonazi und Verfassungsschutz-V-Mann Tino Brandt, dass er die treibende Kraft in der Szene um sie herum in den 1990er-Jahren gewesen sei. Er habe durch Taten und Geld die Szene aufgebaut und groß gemacht. Damit gibt sie dem Verfassungsschutz indirekt eine Mitverantwortung - weil er Brandt das Geld gegeben hat. Zschäpe sagte ausdrücklich: Wäre Brandt früher aufgeflogen, hätten die Dinge eine andere Wendung genommen.
tagesschau.de: Inwiefern wird die jetzige Aussage den Prozessverlauf ändern?
Schmidt: Die Aussage macht den Prozess noch komplizierter. Das Gericht muss sie nun im Grunde Satz für Satz prüfen: Kann es sein, was Zschäpe sagt? Die mehr als 50-seitige Erklärung bringt jedenfalls viel Arbeit für das Gericht mit sich und wird den Prozess nach meinem Eindruck eher verlängern als verkürzen.
Die Fragen per Mail stellte Jörn Unsöld, tagesschau.de.