Interview zum SPD-Parteitag "Er muss über 90 Prozent holen"
Schnörkellos, emotional und kurz - so wird nach Einschätzung von ARD-Hauptstadtstudioleiterin Hassel der SPD-Parteitag werden. Schulz soll nun auch offiziell Parteichef und Kanzlerkandidat werden. In einigen Themen lägen er und Merkel beieinander, im Typus seien sie grundverschieden.
tagesschau.de: Heute ist SPD-Bundesparteitag. Weiß man als Journalistin schon vorher, wie so ein Parteitag abläuft?
Tina Hassel: Es kann immer Überraschungen geben. Aber bei diesem Parteitag heißt es im Grunde: Schnörkellos, emotional und kurz. Es wird keine großen Hymnen geben, keinen Einmarsch der Gladiatoren, sondern alles wird kurz und knapp und gleichzeitig natürlich möglichst euphorisch für den dann neuen Parteichef ablaufen.
90 Prozent plus x
tagesschau.de: Martin Schulz stellt sich zur Wahl. Ab wie viel Zustimmung kann man von einem guten Ergebnis sprechen?
Hassel: Auf der jetzigen Welle müsste er schon über 90 Prozent holen. Und ich würde ihm das auch zutrauen. Denn noch sind ja alle begeistert. Und noch ist er auch nicht so konkret geworden, dass vielleicht doch der eine oder andere denken könnte: Mensch, das ist vielleicht doch nicht das, was ich mir gewünscht habe.
tagesschau.de: Will Martin Schulz am Sonntag vor allem seine Genossen motivieren? Oder richtet er sich an die Öffentlichkeit und seine möglichen Wählerinnen und Wähler?
Hassel: Wenn man hört, wie er spricht, dann ist es doch eine gewisse Ansprache an beide: Er rockt den Saal - das wird er auch mit Sicherheit am Wochenende machen - aber er denkt immer auch an die SPD-Mitglieder und Bürgerinnen und Bürger draußen mit. Er wird natürlich wieder von Gerechtigkeit reden. Er wird von Europa reden. Er wird von seiner Biografie reden. Wichtig ist da die Art, wie er in der Jugend Dinge bewältigt hat, wie er eben sich hochgekämpft hat. Wichtiges Thema ist bei ihm immer wieder der Student oder der Rentner, der nachts aufwacht und nicht schlafen kann. Er spricht also von den Leuten, die umgetrieben werden von echten oder empfundenen Sorgen.
Ein bisschen Abschied von Gabriel
tagesschau.de: Sigmar Gabriel musste erleben: Seit Schulz im Rampenlicht steht, steigen die Umfragewerte der SPD stark an. Birgt das Sprengstoff bei diesem Parteitag?
Hassel: Im Grunde wird die Verabschiedung von Sigmar Gabriel die Klippe bei diesem Parteitag werden. Da stehen zwei, die seitdem demonstrativ bewiesen haben, dass sie nach wie vor Freunde sind und als Tandem weitermachen wollen. Mit Gabriel wird jemand verabschiedet, der sehen muss, wie die Partei jetzt euphorisiert ist. Das ist natürlich bitter für ihn. Also wird Schulz darauf achten - und die ganze Regie des Parteitages wird darauf achten - dass Gabriel gebührend gewürdigt wird. Man wird zusehen, dass Gabriel in der Mitte bleibt, da er jetzt nicht aus der Partei ausscheidet. Es heißt ja auch, dass er weiterhin eine ganz wichtige Rolle spielen wird. Und erleichtert ist das Ganze dadurch geworden, dass Gabriel einen sehr guten Start hatte als Außenminister, fast wie befreit wirkt - und ihm insofern das Loslassen sicherlich leichter fällt.
Wichtig wird der Umgang mit Gabriel sein.
Spannender Wahlkampf der Gegensätze
tagesschau.de: Ist Schulz der Anti-Merkel?
Hassel: Der ist Anti-Merkel! Was immer das heißt. Also, erst mal in der Performance: Er kann Klartext. Er ist sehr deutlich. Er rockt Säle. Er ist emotional, manchmal auch aufbrausend. Die Kanzlerin ist die Wissenschaftlerin: Sie ist besonnen. Sie mag Emotionen nicht sehr. Also, vom Typus, vom Temperament sind die absolut unterschiedlich. Was Europa angeht, was teilweise auch Innenpolitik angeht, liegen die gar nicht so weit auseinander. Aber vom Typus her ist es eine echte Alternative. Und das macht den Wahlkampf ja jetzt auch spannend.
Das Interview führte Thomas Kreutzmann, ARD-Hauptstadtstudio, für tagesschau.de