SPD-Chef Gabriel im Interview "Verhandlungen werden jetzt härter"
SPD-Chef Gabriel hat seine Partei aufgerufen, Gestaltungswillen zu zeigen. Das Votum über eine Große Koalition sei entscheidend, sagte er im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Er kündigte härtere Verhandlungen an, um SPD-Kernpunkte durchzusetzen.
Ulrich Deppendorf: Herr Gabriel, am Ende dieses Parteitages: Welches Gefühl haben Sie? Nach den Rückschlägen auch bei der eigenen Wahl, bei der Wahl auch von den anderen - verzweifelt an den Delegierten?
Sigmar Gabriel: Nein, ganz im Gegenteil. Ich meine, man muss sich einfach mal vorstellen, wo dieser Parteitag stattfindet: Er ist ein Parteitag des Übergangs. Wir sind aus der Bundestagswahl nicht so rausgegangen, wie wir das gehofft hatten. Keiner weiß so richtig: Was steht im Koalitionsvertrag? Da gibt es große Unsicherheiten. Aber Sie haben vielleicht eben selbst erlebt, wie die Debatte eben gelaufen ist. Das ist dann doch ein starkes Signal gewesen, dass wir diesen Koalitionsvertrag versuchen sollen, dass wir das durchsetzen sollen. Dann werden auch alle dafür kämpfen. Und dann habe ich auch keine Sorge, dass das mit dem Votum nicht so klappt.
Deppendorf: Sie haben hier eigentlich zwei Reden gehalten: Eine am Anfang, sehr schonungslos, sehr offen, sehr ehrlich. Eine Zumutung für die Parteitagsdelegierten? Heute spontan: Ja, die emotionsgeladene Rede für die Große Koalition. Haben Sie gespürt, die Delegierten mögen Ihnen möglichweise nicht folgen?
Gabriel: Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe nur das Gegenteil gespürt. Das haben Sie ja gesehen. Die Reaktionen waren ja sehr spontan. Standing Ovations kriegt man auf einem Parteitag nicht so schnell. Und bei der ersten Rede ging es um die Frage: Was ist schief gegangen? Was müssen wir verändern - insgesamt in der SPD? Und jetzt ging es um die Frage: Was wollen wir in einer Großen Koalition erreichen? Und warum müssen wir, wenn wir das erreichen, dann auch den Mut haben zu regieren und dürfen nicht verschreckt in der Ecke sitzen. Abwarten war noch nie sozialdemokratische Tugend.
"Wir werden nicht alles durchsetzen"
Deppendorf: Sie haben auch gesagt, die SPD steht möglicherweise vor der wichtigsten Entscheidung der nächsten 30 Jahre. Steht sie am Scheideweg?
Gabriel: Ja, sicher steht man natürlich öfters mal am Scheideweg. Aber das ist schon eine ganz entscheidende Bedeutung. Erstens, die Partei muss zeigen: Sie will gestalten. Auch wenn wir da sozusagen Ängste haben in der SPD. Unsere Wählerinnen und Wähler wollen doch, dass wir was verbessern. Die Deutschen wollen, dass wir nicht im Interesse von Parteien handeln, sondern im Interesse der Menschen in unserem Land. Und zweitens: Wir müssen alles versuchen, in einem Koalitionsvertrag so etwas hinzubekommen. Wir werden nicht alles durchsetzen. Frau Merkel hat eine Wahl gewonnen, und wir können nicht von ihr verlangen, dass sie alles unterschreibt, was die SPD will.
Deppendorf: Werden die Koalitionsverhandlungen jetzt härter werden - nach diesem Parteitag?
Gabriel: Ja, das werden sie, aber nicht wegen des Parteitages, sondern weil jetzt einfach die letzten 14 Tage anbrechen. Dann müssen wir fertig sein. Und dann muss man jetzt einfach, wie man bei uns sagen würde, zu Stuhle kommen.
Deppendorf: Waren Sie enttäuscht von Merkel und Seehofer, dass man Ihnen jetzt nicht für diesen Parteitag im Vorfeld irgendein Zückerchen gegebenen hat?
Gabriel: Nein, erstens hätte das gar nichts geholfen - Zückerchen. Darum geht es nicht. Da unterschätzen Sie ja auch gleich die Delegierten. Außerdem kann ich das verstehen: Frau Merkel und Herr Seehofer können ja nicht irgendwelche Vorabzugeständnisse machen. Denn sie haben ja auch Forderungen an uns. Und am Ende gilt alles nur, wenn man alles vereinbart und nicht nur Teile vereinbart.
Deppendorf: Wie groß ist Ihre Angst vor dem Mitgliederentscheid? Sind Sie nach diesem Parteitag eher skeptischer oder optimistischer?
Gabriel: Nein, ich bin optimistisch. Aber nur dann, wenn wir was hinkriegen. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind seit 150 Jahren ziemlich realistische Menschen. Aber sie wollen auch sehen, dass die Politik auch was wird. Also solche Prüfaufträge, wie die FDP das da mit in dem Koalitionsvertrag mit der Union hatte, sowas darf es bei uns nicht geben. Wenn unsere Leute sehen, wir schaffen etwas am Arbeitsmarkt, bei der Rente, bei der Bildung, bei Kommunen, doppelte Staatsbürgerschaft, dann werden die die Chance nicht verpassen, das durchzusetzen. Und wenn das alles nicht drinnen steht, brauchen wir nicht antreten.
Deppendorf: Woran könnte die Koalition scheitern? Was ist der wichtigste Knackpunkt?
Gabriel: Es gibt nicht einen wichtigen Knackpunkt, sondern wir müssen uns so verständigen, dass die CDU/CSU das als einen guten Vertrag empfindet und wir auch. Wir müssen beide den Eindruck haben: Ja, wir bewegen etwas für Menschen in Deutschland, in Europa, dann läuft das auch.
"Schlüssel für Rot-Rot-Grün liegt bei der Linkspartei"
Deppendorf: Auf dem Parteitag hat sich die SPD eine Optionsmöglichkeit für 2017 Rot-Rot-Grün geöffnet - zugehen auf die Linken. Kommt der Schritt nicht beinahe zu spät?
Gabriel: Wir werden auch 2017 nicht mit der Linkspartei regieren können, wenn die sich nicht verändern. Ich habe ja auch schon beim letzten Mal kein prinzipielles Problem gehabt, sondern ein ganz pragmatisches: Mit einer Partei, die wichtige Leute hat, die aus dem Euro austreten wollen, mit einer Partei, die keine Vorstellung von finanzieller Solidität hat, kann und darf die SPD nicht regieren. Wenn sich da Dinge verändern, wenn die gestalten wollen und nicht nur die SPD hassen und beschimpfen - warum soll es da nicht gehen? Das haben wir beschlossen. Der Schlüssel dafür liegt im Karl-Liebknecht-Haus, nicht im Willy-Brandt-Haus.
Deppendorf: Nun hat die Katja Kipping, eine der Parteivorsitzenden, nun gleich zu einem Spitzengespräch eingeladen. Werden Sie hingehen?
Gabriel: Nun, jetzt in den Koalitionsverhandlungen sicher nicht. Aber warum soll ich mich nicht mit Katja Kipping treffen? Ich habe mich in den letzten vier Jahren mit allen Vorsitzenden der Linkspartei getroffen. Die haben sich relativ schnell abgelöst und gewechselt. Wir haben mit allen geredet. Aber die Linkspartei war in einer Situation, wo Gregor Gysi gesagt hat, dass sie aus zwei Teilen besteht, die sich gegenseitig hassen. Und mit einer Partei, die sich gegenseitig hasst, kann man nicht regieren. Das müssen die klären und verändern.
Deppendorf: War das vielleicht ein Fehler der SPD, ein historischer Fehler, dass sie nicht den pragmatischen Teil der SED dann doch zu sich rübergeholt hat?
Gabriel: Das kann man als Westdeutscher rückwirkend so beurteilen. Wir beide sind Westdeutsche. Aber wenn Sie sehen, welche Briefe wir bis heute noch bekommen von Menschen, die von der Stasi ins Gefängnis gesteckt wurden, die alles verloren haben, die gefoltert wurden - das sind Leute, die hinterher die SPD im Osten - übrigens noch zu Zeiten von Honecker - gegründet haben. Unter großer Gefahr. Die hätte man nie im Leben mit ihren Verfolgern und Peinigern in eine Partei bringen können. Das ging damals nicht. Und auch heute noch ist es für viele schwer vorstellbar.
"Ich will den Erfolg der Großen Koalition"
Deppendorf: Angenommen, die Große Koalition kommt nicht zustande: Würden Sie dann sofort Koalitionsgespräche mit den Linken führen - oder dies versuchen?
Gabriel: Solche Spekulationen sind ja Unsinn. Ich habe das ja eben hier gesagt und habe große Unterstützung bekommen: Ich will den Erfolg der Großen Koalition, wenn ein gutes Programm dahinter steckt. Und daran arbeite ich jetzt. Und an nichts Anderem.
Deppendorf: Und dann der Wirtschaftsminister mit Energiekompetenz Sigmar Gabriel?
Gabriel: Nicht schon wieder drohen.
Deppendorf: Das nehmen Sie als Drohung?
Gabriel: Nein, nur Spaß. Wir haben übrigens zu Recht, glaube ich, noch nicht über Personal geredet. Weder intern in der SPD noch mit Frau Merkel. Das muss ganz am Ende stehen. Erst müssen die Inhalte klar sein.