Mehr Geld für die Bundeswehr Reicht das Sondervermögen?
Als Bundeskanzler Scholz vor einem Jahr das Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, überraschte er viele: Was hat sich seitdem verändert? Und warum wird noch mehr Geld gefordert?
Was war das für eine Begeisterung im Parlament, als Bundeskanzler Olaf Scholz heute vor einem Jahr das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte. In den Applaus der Abgeordneten hinein rief er: "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind." Dafür gab es - bis auf von der Fraktion der Linken - Zustimmung von allen Parteien, so vermerkt es das Sitzungsprotokoll.
Oben auf der Ehrentribüne saßen an diesem außergewöhnlichen Sonntagvormittag Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und der damalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. Eine funktionierende Bundeswehr - erst recht im Angesicht des russischen Krieges gegen die Ukraine: "Das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa", sagte Scholz damals, und wieder vermerkt das Protokoll Beifall.
Es folgte zäher Alltag
Doch die Begeisterung ist inzwischen einer Ernüchterung gewichen: Dem Moment des Aufbruchs folgte das zähe politische Alltagsgeschäft. Dreieinhalb Monate nach der Zeitenwende-Rede stimmten Bundestag und Bundesrat der Grundgesetzänderung für das Sondervermögen zu, das genauer "Sonderschuld" heißen müsste. Die letzte Hürde sei genommen, freute sich Mitte Juni die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.
Doch zu früh gefreut. Auch danach dauerte es noch einmal ein halbes Jahr - da war es bereits Mitte Dezember -, bis das Ministerium dem Haushaltsausschuss erstmals Projekte vorlegte. Größter Posten: mehr als acht Milliarden Euro für F-35-Kampfflugzeuge. Die sollen die Jahrzehnte alten "Tornado"-Maschinen ablösen. Doch dafür ist noch kein Euro ausgezahlt. Schließlich, so erklärte es vergangene Woche Arne Collatz, der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, sei man "an die Regularien und Gesetze gebunden". Man dürfe also erst zahlen, wenn die Leistung erbracht ist. Heißt übersetzt: Das dauert noch Jahre.
Die F-35-Kampfmaschinen sollen ab 2026 ausgeliefert werden. Das aber werden nur die ersten acht von insgesamt 35 Flugzeugen sein. Ab dann folgen im Jahresrhythmus weitere Tranchen - bis 2029. Arne Collatz vom Verteidigungsministerium nennt das diplomatisch "Zeiträume, derer es für Rüstungslieferungen eben bedarf".
Otte: "Am Ziel vorbei"
Vergangenen Monat hat der Haushaltsausschuss weiteren Zahlungen aus dem Sondervermögen zugestimmt, dieses Mal ging es um den Kauf von acht leichten Luftlanderettungszentren. Das sind miteinander verbundene Zelte, die mit Apotheke, Operationsraum und Intensivbereich ausgestattet sind. Inzwischen sind laut Verteidigungsministerium für Vorhaben aus dem Sondervermögen Verträge in Höhe von zehn Milliarden Euro geschlossen. Weitere 20 Milliarden hat das Ministerium bereits geblockt, unter anderem für die Anschaffung schwerer Transporthubschrauber.
Unterm Strich ist damit inzwischen zwar knapp ein Drittel der Gelder gebunden, aber eben nach wie vor nicht ausgegeben. "Das Sondervermögen ist am Ziel vorbeigegangen", moniert deshalb Henning Otte von der CDU. Er ist Vizevorsitzender des Verteidigungsausschusses. Erst sei es darum gegangen, mit viel Zeitdruck im vergangenen Sommer das Grundgesetz zu ändern. "Jetzt aber ist aus Zeitdruck Zeitlupe geworden." Ein Randaspekt: Die Kaufkraft der 100 Milliarden Euro schmelze durch die Inflation dahin. Dennoch werde die, wie Otte das nennt, "Sonderschuldenaufnahme" wie auf einem "Tablett durch die Republik getragen".
Pistorius fordert mehr Geld
Trotz alledem fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bereits jetzt mehr Geld. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, brachte sogar eine Verdreifachung des Sondervermögens ins Gespräch. Pistorius will neben dem Sondervermögen auch den regulären jährlichen Bundeswehr-Etat von derzeit 50 Milliarden Euro aufstocken. Im Bericht aus Berlin sprach Pistorius von zehn Milliarden Euro. Wo das Geld herkommen soll, müsse nun mit dem Finanzministerium verhandelt werden.
Man werde schließlich die "Neuausstattung der Bundeswehr finanzieren müssen", argumentiert Pistorius. Außerdem stiegen mit jedem neuen Waffensystem, das die Bundeswehr beschaffe, auch die Unterhaltungskosten und damit neue höhere und laufende Kosten, sagte er der "Süddeutschen Zeitung".
Reicht das Geld für andere Projekte?
Moment, nicht ganz so schnell bitte, bekommt Pistorius da allerdings auch aus eigenen Reihen zu hören. SPD-Chefin Saskia Esken erinnert an andere wichtige Koalitionspläne, darunter die Kindergrundsicherung, die auch noch nicht finanziert seien. In der "FAZ" wies sie außerdem auf langwierige Verfahren hin. Jetzt müsse man erst einmal das Beschaffungswesen des Verteidigungsministeriums befähigen, bewilligte Gelder zielgerichtet einzusetzen. Esken: "Dann sprechen wir weiter".
Zuständig dafür ist ein Bundesamt mit der Bandwurm-Abkürzung: BAAINBw - das steht für "Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr". Dafür arbeiten allein am Standort Koblenz 6500 Angestellte, insgesamt sind es sogar 11.000. Ähnlich wie Esken ist auch Grünen-Chef Omid Nouripour nicht davon überzeugt, Gelder schon jetzt aufzustocken. Sie kämen oft nicht bei der Truppe an, sondern "versinken in merkwürdigen Projekten". Es stünden "massive Strukturreformen" an, mahnte der Grünen-Politiker in der ARD. Reformen, die im Übrigen "schon ewig" auf sich warten ließen.
Beschaffung soll beschleunigt werden
Das Beschaffungswesen ist in der Tat eines der dicken Bretter für jeden Verteidigungsminister. Auch Pistorius hat sich da einiges vorgenommen. Er will an "Abläufen und Strukturen", an "Geschwindigkeiten und Methoden" arbeiten.
Den Widerspruch aus der Ampel nennt CDU-Verteidigungsexperte Otte im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio "einen schweren Disput". Er verlangt: Der Verteidigungsminister müsse sich jetzt am Kabinettstisch durchsetzen. Noch gar nicht berücksichtigt bei all dem: die Wiederbeschaffung für das an die Ukraine abgegebene Material, von Munition bis Panzerhaubitzen. Auch hier ziehen sich die Nachkäufe hin. Der große Applaus nach der Zeitenwende-Rede im vergangenen Februar - er ist heute, ein Jahr später, schon lange verhallt.