Schwäche der Wirtschaft Wie wirksam sind die Ampel-Beschlüsse?
Die Bundesregierung will die Wirtschaft mit verschiedenen Maßnahmen wieder zum Laufen bringen. DIW-Chef Fratzscher sieht allerdings nicht den großen Wurf - trotzdem gebe es Grund zur Zuversicht.
Deindustrialisierung, Stillstand, Pleitewelle - die Liste der Begriffe, die den wirtschaftlichen Zustand Deutschlands beschreiben sollen, ist lang. Für Marcel Fratzscher, den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), treffen die allerdings nicht zu.
Im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio kritisiert er, dass die Deutschen sich selbst zu schlecht reden: "Ich glaube, es läuft vieles gut. Ich denke, wir haben im Augenblick eher eine mentale Depression." Die Struktur der deutschen Wirtschaft sei gesund, aber in einer schlechten Phase. "Ich glaube, wenn wir das hinkriegen - und nicht wie damals, als Deutschland der kranke Mann Europas war, noch mal zehn Jahre warten, bis wir die notwendige Reform machen - kriegen wir diese Herausforderungen hervorragend gelöst", macht Fratzscher Mut.
"Das gibt mir keine Hoffnung"
Allerdings: Im Hinblick auf die Arbeit der Bundesregierung zeigt sich der Wirtschaftsforscher eher skeptisch: "Die Hoffnung würde ich nie aufgeben, aber man sieht doch, dass diese drei Ampelparteien häufig zu weit auseinander sind." Deutlich sei das zum Beispiel bei der Kindergrundsicherung gewesen. Da sehe man, "dass da zwei Parteien auf komplett unterschiedlichen Planeten leben und das gibt mir keine Hoffnung", so Fratzscher.
Die grüne Familienministerin Lisa Paus hatte ursprünglich sieben bis zwölf Milliarden Euro dafür gefordert - geeinigt hat sie sich in einem ersten Schritt mit Finanzminister Christian Lindner von der FDP auf lediglich 2,4 Milliarden.
Marcel Fratzscher ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Dabei hält Fratzscher die Schuldenbremse, die der Finanzminister unbedingt einhalten will, für einen Irrweg: "Jede Unternehmerin, jeder Unternehmer weiß: Wenn ich große Herausforderungen habe, neue Technologien einsetzen will, neue Produkte entwickeln will, dann muss ich erstmal einen Kredit aufnehmen und mich verschulden." Das gelte auch für den Staat. Fratzschers Forderung deshalb: Mehr Geld in die Hand nehmen, um die Bildung zu verbessern, die ökologische Transformation durchzuziehen und die digitale Infrastruktur auf Vordermann zu bringen.
Die Beschlüsse aus Meseberg gehen für Fratzscher in die richtige Richtung, ein "großer Wurf" seien sie allerdings nicht.
"Der Regierung fehlt eine langfristige Strategie"
Fratzscher kritisiert auch, dass die Bundesregierung mit ihrer Kommunikation für Unsicherheit sorge - und gerade damit der Wirtschaft schade. "Da geht's um Vertrauen, da geht's um Zuversicht. Und wenn sie als Unternehmerinnen und Unternehmer nicht fest davon überzeugt sind, dass die Zukunftsaussichten gut sind, dass sie ein stabiles Umfeld haben, dass sie eine verlässliche Politik haben, dass die Menschen konsumieren und andere Unternehmen investieren, dann werden sie selber heute keine Investitionen tätigen."
Dabei mache die Bundesregierung auch vieles richtig, findet der DIW-Chef: "Vor 18 Monaten hätte keiner gedacht, dass ein Krieg kommt und sie hat schnell darauf reagiert und gut reagiert. Es gibt viele Erfolge, aber der Bundesregierung fehlt eine klare langfristige Strategie und ein gewisser Zusammenhalt."
Er wirft den drei Ampelparteien vor, mit ihrer Kommunikation und dem offen ausgetragenen Streit, zur "mentalen Depression" der Menschen beizutragen: "Wenn kein Vertrauen da ist bei den Menschen, bei den Unternehmen, dann verfestigt sich eine wirtschaftliche Schwächephase, wird dann zu einer Dauerkrise, geht in einen Teufelskreis und es wird immer schwieriger rauszukommen."
Fratzscher: Industriestrompreis wäre Fehler
Ob die Ampelkoalition diesen Zusammenhalt in Zukunft zeigen kann, ist fraglich. Schon kurz nach der Kabinettsklausur in Meseberg kommen neue Streitpunkte auf. Die FDP will den Atomausstieg rückgängig machen - zur Überraschung von Umweltministerin Steffi Lemke. Und über die Idee eines vergünstigten Industriestrompreises von Wirtschaftsminister Robert Habeck ist auch noch nicht entschieden.
Die FDP lehnt die Idee ab, ähnlich wie DIW-Chef Fratzscher, der den Industriestrompreis für einen Fehler hielte: "Er bedeutet für alle, die ihn nicht erhalten, deutlich höhere Stromkosten. Die Unternehmen, knapp 2.000 davon profitieren, beschäftigen zwei Millionen Menschen. Für zwei Millionen Beschäftigte und ihr Unternehmen ist es sicherlich hilfreich. Für 43 Millionen Beschäftigte ist es richtig schlecht, weil ihre Unternehmen mehr zahlen müssen - und dazu gehören viele kleine Unternehmen, die auch jetzt am kämpfen sind."