Internationaler Gerichtshof Wie Deutschland zum Verfahren gegen Israel steht
Israel wird vor dem Internationalen Gerichtshof Völkermord vorgeworfen. Die Bundesregierung weist die Anschuldigung zurück. Leicht tut sich Deutschland mit einer Positionierung aber schon länger nicht mehr.
Auf dem internationalen Parkett habe man es schwer, hört man immer wieder aus Regierungskreisen. Grund sei die uneingeschränkte Unterstützung von Deutschland für Israel, besser gesagt für die aktuelle in Teilen rechtsextreme Regierung von Benjamin Netanyahu.
Die Bilder getöteter oder hungernder Kinder erhöhen den Druck - auch juristisch. Die Situation wird als dramatisch beschrieben für die Zivilisten in Gaza, aber auch für die verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation Hamas.
Nicaragua klagt gegen Deutschland
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag befasst sich in mehreren Verfahren aktuell mit dem Vorgehen Israels im Nahen Osten. Ein Verfahren gegen die Hamas ist nicht anhängig - in Den Haag können nur Staaten klagen und verklagt werden.
Es geht um nichts Geringeres als dem Vorwurf, dass Israel einen Genozid begeht. Nun steht auch Deutschland im Fokus. In der vergangenen Woche reichte Nicaragua eine Klage wegen Beihilfe gegen die Bundesrepublik ein.
"Jeder Vertragsstaat der Völkermordskonvention hat die Pflicht, alles zu unternehmen, um einen Völkermord zu verhindern", heißt es in der Antragsschrift. Dieser Verpflichtung werde Deutschland nicht gerecht, in dem es politische, finanzielle und militärische Unterstützung liefere und die Hilfsorganisation UNRWA nicht mehr finanziere.
In der Antragsschrift geht es aber nicht nur um Gaza, sondern auch um die Situation in der Westbank, in der allein 2024 laut der deutschen diplomatischen Vertretung knapp 400 Palästinenser vertrieben und mehr als 170 Häuser seien zerstört wurden. Amnesty International berichtet sogar von mehr als 60 getöteten Palästinensern, darunter 13 Kinder.
Ein Termin für eine mündliche Verhandlung in dem Verfahren steht noch nicht fest, könnte aber in den nächsten Wochen kommen. Die Bundesregierung weist den Vorwurf weit von sich, bereitet sich jetzt aber auf das Verfahren vor.
Südafrika verklagt Israel vor dem IGH
So ähnlich lautete auch die Reaktion auf die erste Völkermord-Klage von Südafrika gegen Israel aus dem Januar. Während Außenministerin Annalena Baerbock da schon deutliche Kritik am Vorgehen der Israelis formulierte, hieß es aus dem Kanzleramt: "Der Genozid-Vorwurf entbehrt jeder Grundlage."
Die Einschätzung erfolgte via X, noch bevor das Gericht überhaupt mündlich verhandelt hatte. Mehr noch: Die Bundesrepublik kündigte an, für Israel beim IGH zu intervenieren. Das könnte herausfordernd werden.
Südafrika wendet sich erneut an den IGH
Auf 84 Seiten hatte Südafrika aufgelistet, warum aus ihrer Sicht das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen nicht nur Palästinenser tötet, sondern ihnen schwere seelische und körperliche Schäden zufügt und Lebensbedingungen schafft, die darauf ausgelegt sind, ihre physische Zerstörung herbeizuführen.
"In den ersten Wochen nach dem 7. Oktober hat Israel 6.000 Bomben eingesetzt - pro Woche", so Adila Hassim, Rechtsanwältin und Repräsentantin Südafrikas vor dem IGH während der mündlichen Verhandlung. "200 Mal waren es 2.000 Pfund Bomben." Die größten und zerstörerischsten Bomben überhaupt.
Den besonderen Vorsatz für einen Genozid begründete Südafrika mit Zitaten ranghoher israelischer Politiker wie etwa von Verteidigungsminister Joav Galland, der nach dem Massaker vom 7. Oktober in Bezug auf Palästinenser von "menschlichen Tieren" sprach und sagte: "Wir werden alles auslöschen."
Am 26. Januar entschied das Gericht unter anderem: "Zumindest einige Handlungen und Unterlassungen, die durch Israel in Gaza begangen wurden, scheinen unter die Vorschriften der Genozid-Konvention fallen zu können."
Das Gericht gab Israel mehrere einstweilige Maßnahmen auf, die Zivilbevölkerung mehr zu schützen. Wegen der sich ausbreitenden Hungersnot hat sich Südafrika am Mittwoch erneut an das Gericht gewendet und bittet um weitere einstweilige Maßnahmen. Es schreibt von einem "unerhörten Bruch der Konvention".
Gefangen in der eigenen Argumentation
Deutschland hält weiterhin an seiner Position fest. Aus Regierungskreisen heißt es, Israel handele "in der Absicht, sich gegen die bewaffneten Angriffe der Hamas zu verteidigen". Also in Verteidigungsabsicht und damit nicht der Absicht, einen Genozid zu begehen.
Doch so grausam die Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober sind, das Selbstverteidigungsrecht, das daraus zweifelsfrei resultiert, kann den Vorwurf nicht entkräften, sagen mehrere Völkerrechtsexperten. So etwa Björn Schiffbauer von der Uni Rostock gegenüber tagesschau.de: "Das Völkermordverbot gilt absolut und ist Teil des zwingenden Völkerrechts, es steht also gemeinsam mit wenigen anderen Normen, wie insbesondere dem Gewaltverbot und auch dem Apartheidsverbot, an der Spitze der Völkerrechtsordnung. Völkermord kann daher durch nichts - auch nicht durch Selbstverteidigung - gerechtfertigt werden."
Dazu kommt auch, dass Deutschland in seiner Intervention nur darlegen kann, wie es den Begriff ganz allgemein auslegt. "Es geht also nicht um die Anwendung des Übereinkommens auf einen bestimmten Sachverhalt, sondern um die generelle Auslegung des Rechts", sagt Christian Tams von der Uni Glasgow zu tagesschau.de.
Das hat Deutschland aber bereits in einem anderen Genozid-Verfahren getan: Im Fall Gambia gegen Myanmar hat Deutschland für eine weite Auslegung argumentiert.
Mike Becker, Völkerrechtler vom Trinity College Dublin sagt dazu gegenüber tagesschau.de: "Deutschland ist nun beschränkt auf die Interpretation, die es dem Gericht gegenüber im Myanmar-Fall gemacht hat, wo Deutschland einen eher offenen Ansatz vertreten hat, wie das Gericht die schwierige Frage des Völkermord-Vorsatzes bestimmen soll. Ich kann nicht erkennen, wie Deutschland davon wieder wegkommt."