Autismus-Vergleich Warum Strack-Zimmermanns Aussage für Kritik sorgt
Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hat Kanzler Scholz als "Rechthaber" mit "geradezu autistischen Zügen" bezeichnet. Nun bittet sie um Verzeihung - nicht beim Kanzler, aber bei Betroffenen. Was sagen die dazu?
Je näher die Europa-Wahl kommt, desto härter wird die Gangart, mit der man sich in der Politik angeht. Das lässt sich eigentlich an jeder Wahl sehen und so ist es jetzt auch. Für die FDP geht es um viel - momentan steht sie in Umfragen sehr deutlich einstellig da.
Die Spitzenkandidatin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat Bundeskanzler Scholz jetzt in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung "autistische Züge" diagnostiziert.
Nach drei Jahren stelle ich fest, dass er geradezu autistische Züge hat, sowohl was seine sozialen Kontakte in die Politik betrifft als auch sein Unvermögen, den Bürgern sein Handeln zu erklären. Man erreicht ihn nicht, weil er ein krasser Rechthaber ist.
In der SPD forderte man sehr schnell eine Entschuldigung. Doch in der Debatte kommen Menschen mit Autismus selbst nicht zu Wort.
Betroffene rufen zu mehr Vorsicht auf
Rainer Döhle ist Vorstandsmitglied von Aspies e. V., einer Selbstvertretungsorganisation autistischer Menschen in Deutschland. Er ist selbst autistisch. Und hört solche Vergleiche nicht zum ersten Mal - auch, weil Behinderungen oder Erkrankungen immer wieder als Beleidigung genutzt werden. Das passiere oft einfach aus Gedankenlosigkeit.
Wenn ein Kind auf dem Schulhof dann "Spast" oder "Freak" höre, sei das nochmal was anderes, als wenn jemand, der rhetorisch geschult sei, so etwas vom Stapel lasse. Das habe dann die entsprechenden Auswirkungen, so Döhle. Wenn Diagnosen als Schimpfwort verwendet würden, fühle man sich ausgegrenzt und diskriminiert. Außerdem gerieten Menschen mit Autismus so in einen Rechtfertigungsmodus – weil Autismus oft mit Egoismus verwechselt werde.
Strack-Zimmermann reagiert auf Kritik
Am Morgen folgte eine kurze Entschuldigung. Auf die Äußerungen angesprochen sagte die FDP-Politikerin, dass sie sich bei jenen, die im autistischen Bereich arbeiten, entschuldigt habe. Auf weitere Fragen aus dem ARD-Hauptstadtstudio reagierte ihr Sprecher nur knapp.
Auf die Fragen, bei wem genau sie sich entschuldigt hat, wie es dazu kam, oder wie das zu dem Verhaltenskodex während Wahlkämpfen passt, den unter anderem die FDP gerade erst mitunterzeichnet hat, folgte ein kurzes Statement: Sie entschuldige sich bei allen Betroffenen und sei über das Ziel hinausgeschossen. Das bedaure sie als jemand, der sich seit vielen Jahren für Kinder, Jugendliche und Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die zu Recht Sensibilität von der Gesellschaft erwarten können, einsetzt, sehr. Olaf Scholz' Art des Handelns und seine Nicht-Kommunikation habe sie zutiefst enttäuscht und frustriert.
"Falsche Bilder aus dem Weg räumen"
Für die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, ist das keine Rechtfertigung. Man solle Behinderungen oder Erkrankungen auf keinen Fall nutzen, um damit vermeintliche oder tatsächliche negative Eigenschaften von einer Person zu beschreiben - schon gar nicht im Wahlkampf. Das sei für die Betroffenen stigmatisierend und verletzend, so Bentele.
Hier sind sich Betroffene und Verbände einig: Klischees und deren ständiges Wiederholen befeuern ein falsches Bild von Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten in der Gesellschaft. Rainer Döhle wünscht sich, dass man auf Betroffene zugeht und so falsche Bilder über Erkrankungen oder Behinderungen aus dem Weg räumt, anstatt sie öffentlichkeitswirksam zu wiederholen.