Kanzler Scholz am Golf Große Vision, kleine Schritte
Drei Länder in zwei Tagen: Für Kanzler Scholz war die Reise an den Golf eine schwierige Mission. Auf der Suche nach neuen Energielieferanten musste er einige Augen zudrücken.
Ein Schiff wird kommen. Immerhin. Ende des Jahres. An Bord rund 140.000 Kubikmeter Gas aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es ist ein erster, wenn auch klitzekleiner Erfolg der Kanzlerwirbelwindtour an den Golf. Drei Länder, zwei Tage, am Ende zwei konkrete Verträge - neben dem Flüssiggasdeal, der LNG zum entstehenden Terminal nach Brunsbüttel bringen soll, eine Lieferung von rund 250.000 Tonnen Diesel an die niedersächsische Firma Hoyer. Ein Erfolg? "Ein Anfang", heißt es aus Regierungskreisen, denn der Kanzler habe die großen Perspektiven in den Blick genommen.
Es gehe auch um die längerfristige Idee für Deutschland, künftig CO2-neutral zu wirtschaften und Wasserstoffprojekte voranzubringen. "Unabhängig von neuen Lieferverträgen will man mit den Golfstaaten auch die technologischen Fortschritte für klimaneutrales Wirtschaften weiterentwickeln und gleichzeitig Energiesicherheit gewährleisten", heißt es im gewohnt nüchternen Scholzsprech in Doha, der letzten Station der 48 Stunden am Golf.
Aber natürlich wissen sie auch im Kanzleramt, dass zuletzt aus der Gaspipeline Nord Stream 1 allein an einem Tag mehr Kilowattstunden Gas flossen, als jetzt der gesamte LNG-Deal mit den Emiraten umfasst.
Scholz bewahrt die Contenance
Der Kanzler jedenfalls bemühte sich auf seiner Golftour redlich. Gelegentlich auch unter Aufbietung diplomatischer Contenance. In Saudi-Arabien etwa, der ersten Station, schüttelte er lächelnd die Hand des Mannes, der mutmaßlich den grausamen Mord am Journalisten Khashoggi in Auftritt gab. Mohammed Bin Salman. Kronprinz und mächtiger Mann des selbstbewussten Saudi-Staates.
37 Jahre ist der Mann und er weiß, dass die Zeit für ihn und sein Land gerade erst gekommen ist. Saudi-Arabien verfügt über reichhaltige Gasreserven, will bis 2030 nicht mehr nur Öl, sondern auch Gas im großen Stil exportieren und dann einer - vielleicht der größte Player für Energie am Markt werden.
Macron hatte den westlichen Bann des Kronprinzen als erster aufgehoben. Der britische Ex-Premier Johnson war gefolgt. Zuletzt US-Präsident Biden. "Wir reihen uns da ein", lautete die realpolitische Antwort auf die energiepolitischen Notwendigkeiten aus dem Kanzleramt.
Licht aus? Nicht in Saudi-Arabien
Überall in Saudi-Arabien protzt das Land mit dem Energiereichtum. Nachts funkeln Lichtinstallationen an den Hochhäusern, die Klimaanlagen laufen auf Hochtouren, um die nächtliche Hitze aushalten zu lassen. Deutsche Debatten über nächtliches Abschalten von Gebäude-Beleuchtungen ernten in Saudi-Arabien gerade mal ein müdes Lächeln.
So war der Kanzler samt Delegation dann im hellbeleuchteten Palast des Kronprinzen, hörte - unter dem Porträt von König Salman sitzend - den Visionen eines Mannes zu, der seinem Land Fortschritt und noch mehr Energiereichtum mit harter Hand verordnet.
Auf der einen Seite eine Öffnung der Gesellschaft auch für die lange Zeit benachteiligten Frauen. Sie dürfen seit kurzem Autofahren - aber auch nur, weil der Kronprinz es jetzt so will. Das Kopftuch ist keine Pflicht mehr, manche tragen es nur, weil sie es so wollen. So erzählen es einige der 30 Künstlerlinnen, Unternehmerinnen, Sportlerinnen, die später dem Kanzler im saudischen Dschidda treffen. Das Land sei progressiver, mit vielen Chancen, berichten ihm die Frauen. "Wir haben in vier Jahren Jahren hier für die Frauen mehr erreicht als in den letzten 40 Jahren", sagt eine Unternehmerin dem ARD-Hauptstadtstudio, die dem Kanzler dann im direkten Gespräch ihr Saudi-Arabien nahebrachte.
Keine Pressekonferenz, keine unliebsamen Fragen
Das Land der Hinrichtungen, der Verfolgung von Bloggern erwähnten sie allerdings nicht. Darüber - sagt der Kanzler in typischen Worten, habe er durchaus mit dem Konprinzen gesprochen. "Da können sie von ausgehen, dass nicht unbesprochen blieb, was zu sagen ist", lautete die schmallippige Antwort von Scholz.
Ob der Name Khashoggi tatsächlich fiel - niemand weiß es. Die Menschenrechte waren Thema eines 20-minütigen Vieraugengesprächs. Eine Pressekonferenz der Regierungschefs gab es weder in Saudi-Arabien noch in den Emiraten. Unliebsame Fragen werden so vermieden. Der Westen braucht Saudi-Arabien, etwa wenn es um die Kriege im Jemen, in Syrien geht oder die Auseinandersetzung mit dem Iran.
Es gehe um eine "solide Arbeitsbeziehung" ist das Motto der deutschen Regierung. Diese solide Arbeitsbeziehung, das ist wohl eine Bilanz der Blitztour nach Dschidda, dürfte Scholz beim ersten längeren direkten Aufeinandertreffen mit "MBS", wie der Kronprinz gemeinhin genannt wird, durchaus erreicht haben.
Das meiste Gas geht nach Asien
Und die Vereinigten Arabischen Emirate? Ein langfristiger Partner ohnehin. Seit genau 50 Jahren feiern beide Länder gerade die gegenseitigen Beziehungen. Ein rundes Jubiläum als ermunterndes Datum fürs Klinkenputzen eines Kanzlers auf der Suche nach Gas und Wasserstoff.
Über 75 Prozent der reichen Gasressourcen des Landes gehen derzeit allerdings nach Asien. Europa ist als Gaskunde allenfalls Beifang. Grund genug für den Kanzler auch hier die Langfristigkeit der künftigen Kooperation zu betonen. LNG als Brücke auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft, die auf Wasserstoff aus den Emiraten setzt.
Die Emirate wiederum produzieren derzeit schon Solarstrom für 1,3 Cent die Kilowattstunde. Fast viermal günstiger als Deutschland. Wirtschaftsminister Habeck schwärmte damals bei seinem Besuch im März und erzählte die Geschichte, die man sich hier gern erzählt. Schon vor langer Zeit hätten die Scheichs gesagt: "An dem Tag, an dem wir die letzte Tonne Öl produzieren, werden wir feiern. Und bis dahin müssen wir arbeiten."
Und während Scholz' Besuch wurde gearbeitet, Deals ausgehandelt und zu Ende gebracht. Als der Kanzler in einem Mangroven-Park bei Abu Dhabi mit der saudi-arabischen Umweltministerin einen Baum pflanzte, als Signal für mehr Klimaschutz, waren im Hintergrund schon RWE und Total fleißig dabei, Verträgen einzutüten, allerdings für fossile Energie: Flüssiggas und Diesel.
Im Vorfeld haben die Emirate viel für erneuerbare Energien gearbeitet. Bauen riesige Solarfelder, arbeiten an der Produktion von grünem Wasserstoff und sehen sich gut aufgestellt für den Markt der Zukunft. Mit Deutschland als zahlungskräftigem Kunden.
Die nächste Abhängigkeit?
Gehen wir nicht im Golf demnächst die gleiche Energie-Abhängigkeit ein, die uns in Russland dahin führte, wo wir sind? Der Kanzler verneint das. "Das wird uns kein zweites Mal passieren", sagt er sehr selbstbewusst.
Jedes Engagement am Golf sei außerdem eingebettet in den Rahmen, in dem jeder weiß, wer Deutschland ist und für welche Rechte Deutschland stehe. Und so war vor allem die Stimmung etwas frostig in Katar, als der Kanzler mit dem Emir in seinem Palast stand und Positionen leise ablas: Für den Mindestlohn, gute Arbeitsbedingungen, Menschenrechte und ja, auch für die WM 2022, wünsche man alles Gute.
Der Emir von Katar freute sich über 34.000 Tickets, die von deutschen Fans offenbar schon für die WM abgefragt wurden - und zukünftige mögliche Energiegeschäfte mit Deutschland, etwa beim Thema Flüssiggas.
So gab es am Nachmittag in Doha keine wirkliche Erfolgsgeschichte zu erzählen. Die Verhandlungen zu mehr Flüssiggas aus Katar laufen, heißt es. Der Besuch des Kanzlers womöglich nochmal ein Schubs in die richtige Richtung.