Scholz auf der re:publica Signal ja, Wirkung unklar
Die Rede von Kanzler Scholz auf der Konferenz re:publica war gespickt mit digitalpolitischen Schlagwörtern. Dennoch gibt es auch Kritik: Echte Priorität räume Scholz dem Thema nicht ein.
Olaf Scholz lacht. Eigentlich würde man erwarten, dass der Bundeskanzler, zumal im Scheinwerferlicht der Digitalkonferenz re:publica in Berlin, verlegen reagiert oder peinlich berührt ist, von dem, was er da aus seinem Alltag berichtet. "Ich habe heute einen neuen Pass und einen neuen Personalausweis offline beantragt - es war nicht anders möglich." Ein Fakt, den der Regierungschef so heiter erzählt, als könnte man den Zustand der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland einfach wegschmunzeln.
Scholz ist der erste deutsche Regierungschef, der zur re:publica kommt. Angela Merkel war - trotz Dauereinladung - in den langen Jahren ihrer Kanzlerschaft kein einziges Mal da. Für Scholz ist die Veranstaltung an sich kein Neuland, zuletzt war er 2019 noch als Finanzminister dabei. Und es hat sicher ein bisschen Signalwirkung, dass er auch im neuen Amt zu diesem wichtigen Treffen von Digitalszene, Techcommunity und netzpolitischen Köpfen kommt.
Der Wandel fällt schwer
In seiner Rede spricht der Bundeskanzler über die Ukraine, den russischen Angriffskrieg, wie sich das internationale Gefüge verschoben hat. Er redet vom Kampf gegen Desinformation und Hass im Netz. Er warnt vor Cyberangriffen. Er kritisiert, dass Technologien als Machtinstrumente missbraucht werden. Er plädiert für digitale Souveränität, einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten und deren sinnvolle Nutzung.
Es ist eine Rede voller digitalpolitischer Schlagwörter. Dass der digitale Wandel im eigenen Land schwerfällt, gerade in Ämtern und Verwaltungen, verschweigt Scholz nicht. Es scheint aber nicht sein besonderes oder gar persönliches Projekt zu sein, das zu ändern. Vielmehr wirkt es so, als würde er über etwas sprechen, mit dem er selbst verantwortungshistorisch wenig bis nichts zu tun hat.
"Keine digitale Zeitenwende"
"Meine Erwartung waren nicht hoch und er hat sie nicht unterschritten", sagt Anke Domscheit-Berg über die Ausführungen von Scholz. Die Bundestagsabgeordnete ist digitalpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke und bedauert den Kanzler besonders angesichts der analogen Ausweisbeantragung: "Gerade in seiner Position, in der man doch eigentlich nicht die Zeit hat, auf Ämter zu gehen, wäre es doch charmant gewesen, wenn es digital funktioniert hätte."
Domscheit-Berg kritisiert, dass Scholz aus ihrer Sicht der Digitalisierung keine echte Priorität einräumt. "Für mich war das keine digitale Zeitenwende." Deutschland sei digital zweitklassig, wirft Linda Zervakis, die das Gespräch nach der Rede moderiert, dem Kanzler hin. "Deutschland braucht erhebliche Fortschritte", macht Scholz daraus.
Er hat die Koordinierung der Digitalpolitik, die unter Angela Merkel zuletzt im Kanzleramt angesiedelt war, größtenteils abgegeben. Unter anderem an einen, der den Titel "Digitalminister" trägt, aber auch für Verkehr zuständig ist: Volker Wissing. "Wir müssen das Analoge überwinden", sagt der FDP-Politiker drei Stunden vor dem Kanzler an gleicher Stelle. Er verspricht viel: Ambitionen, Strategien und natürlich den Breitbandausbau für alle bis 2030.
Wissing bezieht Stellung
Markus Beckedahl kennt diese "Durchhalteparolen", wie er sie nennt. Der Journalist ist einer der Mitbegründer der Re:publica. Für ihn ist die Regierung von SPD, Grünen und FDP mit vielen guten digitalpolitischen Vorsätzen gestartet - geliefert hat sie bislang aber noch nicht. Immerhin, dass sich Kanzler und Digitalminister Fragen auf der durchaus politikkritischen Netzkonferenz stellen, sei zu begrüßen.
Beckedahl ist zudem positiv überrascht, dass Wissing bei zwei heiklen Themen klar Stellung bezieht: bei der Ablehnung einer anlasslosen Chatkontrolle, wie sie gerade auf EU-Ebene vorgeschlagen wurde, und beim Bekenntnis zur Netzneutralität. Die besagt, dass Internetanbieter alle Daten beim Durchleiten oder beim Streaming gleich behandeln müssen.
Verantwortlichkeiten nicht geklärt
Es fehlt allerdings immer noch die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Digitalstrategie der Ampel. Auf der re:publica erklärt Wissing, dass ein erster Entwurf in "Frühabstimmung" zwischen den Ministerien sei und er einen Kabinettsbeschluss im Juli wolle, aber aktuell sei er noch nicht zufrieden: "Da muss noch mehr Butter bei die Fische."
Das mag auch damit zusammenhängen, dass der Digitalminister für vieles doch nicht oder nicht so ganz zuständig ist. Um Cybersicherheit und Verwaltungsdigitalisierung kümmert sich zum Beispiel das Innenministerium, beim Thema Daten will das Wirtschaftsministerium mitreden. Aktuell sind immer noch nicht alle digitalen Verantwortlichkeiten geklärt, die Lage ist unübersichtlich.
Es fehle die eine Anlaufstelle in der Regierung, findet Journalist Beckedahl. "So richtig digital und motiviert ist da noch niemand in der ersten Reihe." Gerade auch der Kanzler nicht, der sei auch durch seine Sozialisierung "bisher eher ein teilnehmender Beobachter der Digitalisierung."
Scholz gibt ein Versprechen ab
Linken-Politikerin Domscheit-Berg unterschreibt das - auch nach der re:publica-Rede. "Digitalisierung ist definitiv nicht das Herzensthema von Scholz", meint sie. Am Ende wird der gefragt, wann es denn endlich so weit sein wird, dass man einen Ausweis digital beantragen kann. "Das möchte ich nicht so laut sagen, weil ich ja die Abläufe kenne in Deutschland", antwortet Scholz, lächelt wieder laut und verspricht: "Wir werden das mit größter Geschwindigkeit vorantreiben."
Dabei gibt es eigentlich, darauf verweist Domscheit-Berg, sehr wohl ein Datum. Bis Ende 2022 sollen zumindest 35 Verwaltungsleistungen - darunter Personalausweise, Eheschließungen und Ummeldungen - flächendeckend in Deutschland digital angeboten werden. So hat es ein gemeinsames Gremium von Bund und Ländern beschlossen.
Vorbehalte im Bundesrat
Ob das klappt, ist ungewiss. Auch ein anderes Digitalvorhaben der Regierung ist aktuell nicht sicher: der Anspruch auf eine Mindestversorgung mit Internet, die helfen soll, dass weiße Flecken wenigstens ein bisschen Netz bekommen. Die entsprechende Verordnung wurde kürzlich im Bundestag verabschiedet.
Sie ist aber umstritten, weil die vorgeschriebenen Up- und Downloadgeschwindigkeiten aus Sicht von Netzaktivisten und Verbraucherschützern nicht ausreichen. Weil das auch manche Bundesländer so sehen, könnte das Vorhaben am Freitag bei der Abstimmung im Bundesrat noch scheitern.