Ampel-Kabinett Die Unscheinbaren
Baerbock, Habeck, Lindner, Lauterbach - es gibt Minister, die ständig im Rampenlicht sind. Und es gibt diejenigen im Kabinett, die kaum auffallen. Was machen die eigentlich?
Die Besetzung des Ampel-Kabinetts vor rund einem Jahr war kein leichtes Unterfangen. Gleich viele Frauen und Männer sollten es sein, so Bundeskanzler Olaf Scholz. Für das wichtige Amt des Finanzministers gab es mit Robert Habeck und Christian Lindner zwei ambitionierte Anwärter, für das Gesundheitsministerium einen bereits prominenten Karl Lauterbach als Favoriten und ansonsten blieben lange einige Fragezeichen.
Vor einem Jahr wurden die damals neuen Ministerinnen und Minister ernannt. Viele von ihnen beherrschen seither die Schlagzeilen. Andere sind unauffälliger geblieben. Ein Überblick.
Volker Wissing (FDP) - Viele Probleme, wenig Lösungen
Mann am Steuer: Weit gekommen ist Verkehrsminister Wissing aber noch nicht.
"So wie es ist, kann es nicht bleiben", bilanzierte Bundesverkehrsminister Volker Wissing recht schnell nach Amtsantritt und meinte damit vor allem den Zustand der Deutschen Bahn. Zugausfälle, massive Verspätungen, überfüllte Bahnhöfe, ein unübersichtliches Tarifgeflecht: Deutschland hat auch an dieser Stelle ein Problem. Ein Jahr ist seit dem Amtsantritt vergangen, die Bestandsaufnahme läuft. Derzeit wird geprüft, in welchem Zustand die Schienen sind. Im Ministerium ahnt man, dass die Lage auch hier verheerend ist. Gelöst ist noch nichts.
Das 9-Euro-Ticket kann Wissing als Erfolg verbuchen. Seine Idee hat im Sommer zwei Dinge gezeigt: Zum einen, dass ein deutschlandweit einheitlicher Tarif möglich ist. Zum anderen aber auch, wie schnell der deutsche Zugverkehr seine Grenzen stößt. Das Nachfolgeticket, verabredet ist ein 49-Euro-Ticket, wackelt jedoch und das seit Monaten. Die Länder fordern mehr Geld, der FDP-Politiker lehnt ab. Der Verkehrsminister, der früher als Richter gearbeitet hat, soll die Länder mit seiner stoischen Art und viel Geschick während der Verhandlungen häufig zur Weißglut getrieben haben. Wissing ist qua Amt auch für das Thema Digitalisierung verantwortlich. Doch auch hier fehlt bisher der große Wurf. Immerhin ist mittlerweile ein Team zusammengestellt, um die von der Bundesregierung entwickelte Digital-Strategie mit Leben zu erfüllen. Denn auch bei der Digitalisierung gilt wahrscheinlich Wissings Satz: "So wie es ist, kann es nicht bleiben."
Klara Geywitz (SPD) - Auf der Baustelle
Hat noch viel zu tun, um ihre Ziele zu erreichen: Bauministerin Klara Geywitz
Wer die Bundesbauministerin Klara Geywitz im ersten Amtsjahr auf Baustellen, in Produktionshallen und in Bürgerämtern beobachtet hat, erlebte eine zugewandte, interessierte und unprätentiöse Ministerin mit trockenem Humor. Einer größeren Öffentlichkeit blieb das meist verborgen. Die SPD-Politikerin habe sich gut eingearbeitet, bescheinigen ihr viele aus der Branche. Tempo machte sie März 2022 beim Heizkostenzuschuss, dem ersten Gesetz der Koalition, obwohl ihr Ministerium noch im Aufbau war. Inzwischen ist das Ministerium, dessen Aufgaben vorher im Bundesinnenministerium lagen, eigenständig. Ein großer Teil von Geywitz' Etat fließt in das neue "Wohngeldplus", das ab Januar kommt und bis zu zwei Millionen Haushalten unterstützen soll. Ob das Geld auch wirklich pünktlich bei den Betroffenen ankommt, steht und fällt mit der Frage, ob alle Ämter die Anträge ab Januar 2023 umsetzen können.
Ein anderes großes Ziel, der Bau von 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen, rückt in immer weitere Ferne. Es ist in diesem Jahr nicht erreichbar und auch für 2023 unwahrscheinlich. Zwar stellt Geywitz bis 2026 den Bundesländern für den sozialen Wohnungsbau insgesamt 14,5 Mrd. Euro zur Verfügung und damit mehr als vorherige Regierungen. Doch die strukturellen Hemmnisse für schnelleren Wohnungsbau werden dadurch nicht gelöst: zu wenig Personal in den Bauämtern, 16 verschiedenen Landesbau- und Brandschutzordnungen. Auch die fehlende flächendeckende Digitalisierung von Bauakten bremst das Tempo. Zudem haben ausgelaufene oder gestoppte Bau-Förderprogramme für erhebliche Unruhe gesorgt - zwar soll es ab Januar neue Programme geben, doch Verlässlichkeit sei erstmal verloren gegangen, beklagen viele in der Bau- und Wohnungsbranche. Wenig hilfreich sind zudem gestiegene Baukosten, steigende Zinsen für Baukredite und die Inflation. Das alles macht das Erreichen des Ziels der 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen zu einer wirklich großen Baustelle von Geywitz.
Steffi Lemke (Grüne) - Mitspielerin in zweiter Reihe
Im Scheinwerferlicht stehen andere: Umweltministerin Lemke
Die internationale Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh hätte ihre große Bühne werden können. Stattdessen spielt Umweltministerin Steffi Lemke nun im "Team Deutschland". Aber nicht als Kapitänin, diese Rolle hat die Außenministerin übernommen. Annalena Baerbock führt die Verhandlungen für Deutschland - nicht mehr, wie zuvor üblich, das Umweltministerium. Lemke ist trotzdem viele Tage vor Ort in Ägypten und kümmert sich um Naturschutz und Biodiversität - zwei überaus wichtige Themen. Doch ins grelle Scheinwerferlicht der Klimakonferenz schafft die grüne Umweltministerin es nicht. Die Schlagzeilen bestimmen andere, die Kameras sind vor allem auf ihre Parteifreundin und Außenministerin Baerbock gerichtet. Lemke ist anzumerken, dass sie auf gar keinen Fall ihre Kompetenzen überschreiten möchte.
Und Lemke steht im Schatten eines anderen Grünen: Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz. Der leistet sich einen wochenlangen Streit über den Streckbetrieb der Atomkraftwerke mit Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, am Ende entscheidet der Kanzler per Richtlinienkompetenz. Habeck scheint fast erleichtert, dass der Streit entschärft ist. Der Umweltministerin fällt es sichtbar schwer, die verlängerte Laufzeit der AKW zu verkünden. Die muss aus einem schmerzhaften einen Kompromiss eine Erfolgsgeschichte machen. Die lautet: Deutschland steigt zum 15. April endgültig aus der Atomenergie aus.
Svenja Schulze (SPD) - Im Stillen wirken
Ihre offene Art kommt an: Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze im November beim Besuch eines Förderprojekts in Alexandria (Ägypten).
Elf Länder hat Svenja Schulze in ihrem ersten Jahr als Entwicklungsministerin bereist. Ihre bislang weiteste Reise führte die SPD-Politikerin nach Südamerika. Im bolivianischen Urwald ist sie jetzt Ehrenbürgerin eines kleinen Dorfes. Egal, ob bei indigenen Oberhäuptern, ägyptischen Bauern im Nildelta oder der kolumbianischen Vizepräsidentin: Schulzes offene Art kommt gut an. Wer die Ministerin dabei begleitet, hat den Eindruck: Berührungsängste kennt Schulze nicht. Im Kabinett sticht die SPD-Politikerin hingegen nicht hervor. Aus ihrem Haus kommen keine Gesetzesvorhaben, der Fokus liegt auf der Zusammenarbeit mit dem globalen Süden. 65 Partnerländer hat das Ministerium inzwischen. Deutschland ist einer der größten Geldgeber im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Die Ministerin stieß neue Projekte an: Den Schutz des Amazonas-Regenwalds, den Aufbau einer eigenen Covid-Impfstoffproduktion in Afrika und das Bündnis für globale Ernährungssicherheit, um Hunger weltweit zu bekämpfen.
Das Amt der Entwicklungsministerin ist keines, mit dem man im Rampenlicht steht. Das wurde auf der Klimakonferenz in Ägypten deutlich. Schulzes Haus hatte ein zentrales Instrument auf den Weg gebracht: Den Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken. Er soll ärmere Länder finanziell vor den Folgen des Klimawandels absichern. Auch Klimapartnerschaften, mit denen Deutschland Länder wie Südafrika bei der Energiewende unterstützt, zahlen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auf das Konto der Ministerin ein. Dabei wurde das Fundament in ihrem Haus erarbeitet. Dafür hat sich Schulze, die zuvor Umweltministerin war, einen der erfahrensten Klimaschutzpolitiker als Staatssekretär mit ins Entwicklungsministerium mitgenommen: Jochen Flasbarth gilt als Architekt vieler internationaler Abkommen. Im Ministerium selbst sprechen Mitarbeitende von einem besseren, offenen Austausch, seit die bodenständige Rheinländerin das Haus von dem CSU-Minister Gerd Müller übernommen hat.
Cem Özdemir (Grüne) - Noch fehlt die Handschrift
Ernährungssicherung und Schutz von Klima und Umwelt: Özdemir will beides.
Ein grundsätzliches Umsteuern ist nötig, findet Agrarminister Cem Özdemir, und macht gleich zu Beginn seiner Amtszeit deutlich: Eine Landwirtschaft auf Kosten von Menschen, Tieren, Umwelt und Klima wolle er nicht länger hinnehmen. Ein wichtiges Anliegen des Grünen-Politikers: Schweine, Rinder und Geflügel sollen artgerechter gehalten werden. Dafür startet der Landwirtschaftsminister einen neuen Anlauf für ein staatliches Tierhaltungskennzeichen. Die Vorgängerregierung war zuletzt mit dem Vorhaben gescheitert, ein freiwilliges Label einzuführen. Özdemir zeigt sich entschlossen und stellt Eckpunkte für ein verpflichtendes Kennzeichen auf Fleischverpackungen vor, zunächst soll es für Schweinefleisch gelten. Einen Kabinettsbeschluss gibt es bereits, aber die entscheidende Frage ist noch nicht geklärt: Wie soll das Vorhaben langfristig finanziert werden? Das Label bleibt also weiter eine Baustelle.
Auch die Pläne, mehr geschützte Flächen für die Artenvielfalt zu schaffen, müssen warten. Als Folge des Ukraine-Krieges rückt die Frage der Ernährungssicherung auch hierzulande zunehmend in den Fokus. Eigentlich sollten zusätzliche Flächen vom kommenden Jahr an künftig der Biodiversität dienen, und nicht dem Getreideanbau. Dies soll nun erst ein Jahr später gelten. Bis dahin wird der Anbau von Getreide ermöglicht, um Nahrungsmittel zu produzieren.
Ernährungssicherung und Schutz von Klima und Umwelt: Özdemir will beides. Am Ziel von 30 Prozent Ökolandbau hält er fest und betont zugleich immer wieder, dass Landwirte Planungssicherheit bräuchten. Einige Baustellen im Sinne einer nachhaltigeren Landwirtschaft geht er an - ein Förderprogramm für mehr Klimaschutz in den Wäldern etwa, oder die Einschränkung von Antibiotika in der Tierhaltung. Für ein grundsätzliches Umsteuern aber müssen auch Akteure aus Landwirtschaft, Umwelt, Verbraucherschutz, Wissenschaft zusammenarbeiten. Von dort kommen bereits übergeordnete Konzepte. Noch aber fehlt eine politische Gesamtstrategie mit der grünen Handschrift des Ministers, um langfristig Veränderungen in der Agrarpolitik umzusetzen.
Lisa Paus (Grüne) - Wer?
Eingewechselt: Lisa Paus übernahm das Familienministerium erst im April.
Der Name der Bundesfamilienministerin? Nur wenigen Menschen dürfte Lisa Paus ein Begriff sein. Der Fairness halber sei erwähnt, dass Paus weniger Zeit hatte als die anderen Kabinettsmitglieder, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie folgte im April auf Anne Spiegel, die wegen ihres unglücklichen Handelns als Landesministerin bei der Flutkatastrophe im Ahrtal zurücktrat.
Paus, wer? Das war auch damals häufig die Frage, als die Spiegel-Nachfolge publik wurde. Und denjenigen, die sie kennen, ist die Grünen-Politikern eher als Finanzpolitikerin geläufig. Dieser Expertise dürfte in den vergangenen Monaten allerdings nützlich gewesen sein. Bei den Verteilungskämpfen um die knappen Steuergelder musste sich Paus das ein ums andere Mal mit Finanzminister Lindner anlegen. Sie setzte eine Kindergelderhöhung und einen höheren Kindersofortzuschlag für Familien durch, die von Armut betroffen sind. Doch Schlagzeilen machte Paus vor allem mit der Ernennung von Ferda Ataman als Antidiskriminierungsbeauftragte. Paus' größtes politisches Vorhaben, die Kindergrundsicherung, konnte sie noch nicht umsetzen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass Paus lieber im Hintergrund arbeitet. Öffentliche Auftritte liegen ihr nicht. Es gibt kaum ein Statement, bei dem sie frei spricht. Die Karteikarten mit Notizen sind immer dabei.
Bettina Stark-Watzinger (FDP) - Nur erste Schritte
Weit weg von der ersten Reihe: Ministerin Stark-Watzinger gehört auch zum Ampel-Kabinett.
Das Ministerium für Bildung und Forschung ist schon qua Definition keines, mit dem man als Politikerin oder Politiker in der Bundesregierung sonderlich auffällt: Bildung ist im föderalen Deutschland Ländersache und was in der Forschung geschieht, bekommt die breite Öffentlichkeit auch nur selten mit. Noch dazu bestimmten große Krisen das erste Ampel-Jahr, vielleicht hat Bettina Stark-Watzinger als Ministerin auch deswegen gar nicht erst versucht, sich in die vorderste Reihe zu drängen.
Ihr wohl prominentestes Projekt war die BaföG-Reform: Seit Oktober gibt es für Studierende mehr Geld, außerdem sollen mehr Menschen davon profitieren können. Der ganz große BaföG-Neustart, mit dem alle Studierenden unabhängig vom Einkommen der Eltern staatliche Unterstützung beantragen können, steht aber noch aus.
Auch bei anderen Themen ist die FDP-Politikerin bisher nur erste Schritte gegangen: Das angekündigte Startchancenprogramm für Schulen ist zwar in Vorbereitung, wird jedoch erst 2024 kommen. Projekte wie die "Zukunftsstrategie Forschung" oder die "Exzellenzinitiative Berufliche Bildung" klingen zwar innovativ, fraglich ist jedoch, ob sich dahinter mehr verbirgt als die ehrgeizig formulierten Ziele? Antworten muss Stark-Watzinger erst noch geben müssen. Den nötigen Ehrgeiz bringt sie mit.