Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung, wird am Flughafen in Gao, nach ihrer Ankunft mit einer Militärmaschine, von Oberst Peter Küpper, Kontingentführer des deutschen Einsatzkontingents bei der UN-Mission Minusma, begrüßt.
Analyse

Lambrecht offenbar vor Rücktritt Ein Jahr der Pannen und Fehltritte

Stand: 14.01.2023 00:58 Uhr

Eine misslungene Rede zu Silvester oder 5000 Helme für die Ukraine: Verteidigungsministerin Lambrecht machte wiederholt mit Unzulänglichkeiten Schlagzeilen - bald könnte sie zurücktreten. Ein Rückblick ein Jahr voller Pannen.

Eine Analyse von Moritz Rödle, ARD-Hauptstadtstudio

Der Weg ins Amt der Verteidigungsministerin beginnt für Christine Lambrecht mit einer Rolle rückwärts. Es ist Ende September 2021, die SPD hat gerade die Wahl gewonnen. Nicht viele haben mit dem Sieg gerechnet. Offenbar auch Lambrecht selbst nicht.

Angesichts schlechter Umfragewerte für die Sozialdemokraten hatte die damalige Bundesjustizministerin rund ein Jahr vor der Wahl ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. Doch drei Tage nach der Bundestagswahl ist davon keine Rede mehr. Hinter den Kulissen arbeitet Lambrecht nun daran, wieder Ministerin zu werden.

Die SPD muss ausgleichen

In der neuen SPD-Fraktion kommen diese Bemühungen gar nicht gut an. Niemand habe auf Lambrecht gewartet, heißt es unter anderem. Doch es kommt tatsächlich anders. Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Wahlkampf versprochen, dass er ein Kabinett anführen werde, das zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht.

Die FDP sieht sich an diese Versprechen aber nicht gebunden. Die SPD muss ausgleichen. Das bedeutet, von sieben Ministerien müssen vier von einer SPD-Frau geleitet werden, damit die Rechnung aufgeht. Naheliegende Kandidaten wie der erfahrene Verteidigungspolitiker und Soldatensohn Lars Klingbeil kommen daher nicht in Frage. Und so landet Scholz auf der Suche nach einer Person mit Ministerinnen-Erfahrung bei Lambrecht.

Lambrecht reitet mit der Kavallerie ein

Doch sofort beginnen die Probleme. Schon im Justizministerium hat sich Lambrecht den Ruf erarbeitet, bei Personalentscheidungen nicht zimperlich zu agieren. Insbesondere die engen Mitarbeiterinnen ihrer Vorgängerin Katarina Barley können davon ein Lied singen.

Auch im Verteidigungsministerium reitet Lambrecht mit der Kavallerie ein. Noch bevor sie offiziell einzieht, müssen wichtige Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Bei Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer stößt das so sehr auf, dass sie der offiziellen Amtsübergabe fernbleibt. Lambrecht hat ihren ersten Skandal im neuen Amt produziert. Es sollen weitere folgen.

Eine Frage des Stils

Schon einige Tage später der nächste Stolperer. Im Interview mit der "Bild"-Zeitung wird sie gefragt, ob sie schon einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden könne. Die Ministerin antwortet ausweichend. Ihre erste Frage im neuen Amt sei gewesen, ob sie sich das alles merken müsse. Aber Herr oder Frau plus Nachname reiche.

Bei der Truppe kommt das gar nicht gut an. Eine Verteidigungsministerin, die sich noch nicht mal die Dienstgrade merken will. Oft sind es wie in diesem Fall gar nicht inhaltliche Probleme, sondern Stilfragen, die die Ministerin in die Kritik bringen.

Bild einer zaudernden Regierung

Als im Januar zum ersten Mal die Diskussion über militärische Unterstützung der Ukraine losgeht, kündigt Lambrecht in einem extra einberufenen Pressetermin stolz die Lieferung von 5000 militärischen Schutzhelmen an. Das Echo ist verheerend. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki spricht öffentlich von einem Witz.

Das Magazin "Focus" schreibt von einer "Blamage", die "Berliner Morgenpost" von einer "Lachnummer". Die groß verkündete Lieferung wird zum internationalen Symbol für Deutschlands schwankenden Kurs in der Ukraine-Politik. Auch bei der Frage von Waffenlieferung an die Ukraine macht die Ministerin danach alles andere als einen sattelfesten Eindruck. Sie verfestigt damit das Bild einer zaudernden Bundesregierung.

Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften

Auch danach schafft sie es, mit Unzulänglichkeiten in die Schlagzeilen zu kommen. Bei einem Truppenbesuch in Mali tritt sie in offenen Schuhen mit Absätzen auf. Wieder fühlen sich Soldatinnen und Soldaten nicht ernstgenommen. Die Ministerin verstößt damit auch gegen Sicherheitsvorschriften, die für alle anderen gelten.

Der nächste Eklat: Ein Hubschrauberflug mit ihrem Sohn. Juristisch ist die Familienreise wohl legal, doch kommunikativ ein Desaster. Das liegt vor allem an den Fotos, die ihr Sohn in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht. Gegen die Macht der Bilder kommt die formaljuristische Argumentation des Verteidigungsministeriums kaum an und Lambrecht macht nicht den Eindruck, dass sie das Problem verstanden hat.

F-35-Kampfjets und digitale Funkgeräte

Doch um ihr Amt muss sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht fürchten. Lambrecht gilt dem Kanzler gegenüber als hochloyal. Schon im Bundesfinanzministerium haben beide zusammengearbeitet. Scholz schätze ihre Verlässlichkeit, heißt es aus Regierungskreisen.

Und es geht auch nicht alles schief. In Lambrechts Amtszeit fallen auch die Entscheidungen für das neue Kampfflugzeug F-35 und digitale Funkgeräte. Auf diese hat die Truppe lange gewartet, und vom F-35 musste insbesondere die SPD erst noch überzeugt werden. Und auch bei langen Unterhosen, Schuhen und warmen Jacken gelingt Lambrecht ein echter Durchbruch.

Die Beschaffung dieser Ausrüstung sollte eigentlich erst 2031 abgeschlossen sein. Nach Lambrechts Intervention können die Soldatinnen und Soldaten nun schon deutlich früher mit warmer Dienstunterwäsche rechnen.

Fast niemand äußert sich mehr positiv

Eigentlich ist die SPD-Politikerin damit auf dem richtigen Weg beim Versuch, die Schlagzeilen über sich ins Positive zu wenden. Doch ihre Social-Media-Rede am Silvesterabend macht alles wieder kaputt. Besonders Lambrechts Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kommunikation scheinen danach genervt von der Chefin.

Aus der SPD wird sie nun nur noch leidenschaftslos verteidigt. Fast niemand äußert sich mehr positiv. Der Rücktritt scheint ab da nur noch eine Frage der Zeit. Doch jetzt käme er wohl zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

Kommende Woche stehen wichtige Entscheidungen in ihrem Ressort an. Lambrecht trifft eigentlich den US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, und auf der US-Militärbasis Ramstein findet eine Konferenz statt, bei der die westlichen Verbündeten über Waffenlieferungen für die Ukraine sprechen wollen. All das müsste der oder die neue im Amt dann mit extrem wenig Vorbereitung meistern.

Dietrich Karl Mäurer, Karl Dietrich Mäurer, ARD Berlin, 14.01.2023 17:08 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 14. Januar 2023 um 08:08 Uhr.