Reaktion auf Ampelbeschlüsse "Horror" oder "Riesenfortschritt"?
Während die Ampelparteien die Ergebnisse ihrer Marathonberatungen als langfristige Reform loben, zeigen sich Opposition und Umweltverbände entsetzt. Sie sehen in den Beschlüssen einen deutlichen Rückschritt beim Klimaschutz.
Zweieinhalb Tage statt wie geplant ein paar Stunden dauerte es letztlich, bis die Ampelkoalition eine Einigung über strittige Themen wie Klimaschutzgesetz und den Ausbau der Infrastruktur präsentieren konnte. Die Regierungsparteien loben die gefassten Beschlüsse als wegweisend, doch viele der Kompromisse rufen auch starke Kritik hervor.
Vor allem Umweltschützer schlagen angesichts des teils neuen Kurses der Ampelparteien Alarm. Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnete die Bundesregierung als "Anti-Klimaschutz-Koalition", welche "kaum zählbare Horror-Nachrichten" verkündet habe. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kritisierte vor allem die "sage und schreibe 144 beschleunigten Autobahn-Bauvorhaben und die geplante faktische Gleichstellung von Verbrenner-Pkw mit Elektrofahrzeugen".
"Klima wird weiter gegen die Wand gefahren"
Auch vom Naturschutzbund NABU und Greenpeace ernteten die Ergebnisse der Berliner Marathonberatungen ein negatives Echo. Für beide Organisationen steht dabei ebenfalls die in den Worten der Ampelkoalition angekündigte "Reform des Klimaschutzgesetzes" im Fokus. Mit dieser geht nach Auffassung von NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger die Aufweichung der Sektorenziele einher.
Diese Ziele sollen den Ausstoß schädlicher Treibhausgase in den einzelnen Bereiche wie etwa Verkehr, Bau oder Landwirtschaft begrenzen. Werden die Werte in einem oder mehreren Sektoren überschritten, muss die Bundesregierung mit Sofortprogrammen gegensteuern. Künftig soll die Bundesregierung aber erst dann eingreifen müssen, wenn die Grenzwerte zweimal in Folge überschritten werden - und zwar in allen Sektoren insgesamt. Die Überschreitung der Grenzwerte eines Sektors können damit künftig durch die Unterschreitung der Werte eines anderen Sektors ausgeglichen werden.
Das Klimaschutzprogramm drohe auf diesem Wege "entkernt" zu werden, warnte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Auch mit den "klimaschädlichen Autobahnprojekten", die "beschleunigt durchs Land asphaltiert werden" sollten, werde "das Klima weiter vor die Wand gefahren".
"Deutschland bleibt auf Automobilität angewiesen"
Doch es gibt auch positive Resonanz auf die Kompromisse der Ampel. Mehr Geld für den Ausbau des Schienennetzes, in Zukunft unter anderem finanziert durch Einnahmen aus der Lkw-Maut - das kommt beim Bündnis "Allianz pro Schiene" gut an. "Endlich wird der Zwang abgeschafft, die Lkw-Maut-Einnahmen in Bundesfernstraßen investieren zu müssen. Jetzt darf in umweltfreundliche Alternativen investiert werden, das ist ein Riesenfortschritt", sagte Geschäftsführer Dirk Flege.
Auch die zugesicherte Beschleunigung beim Ausbau bestimmter Autobahnabschnitte findet beim Deutschen Städte- und Gemeindebund Zuspruch. "Deutschland wird noch sehr lange auf die Automobilität angewiesen sein. Es wird Jahrzehnte dauern, das Schienennetz - auch das europäische - so auszubauen, dass das Volumen der Schienentransporte sehr deutlich steigen kann", äußerte sich Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg in der "Rheinischen Post". Daher sei es richtig, auch in den Straßenausbau zu investieren.
"Tragen stellvertretend für Gesellschaft Konflikte aus"
Gerade gegen die beschleunigten Autobahnprojekte hatten sich die Grünen im Ringen um eine Ampeleinigung lange gewehrt. Auch im Nachhinein betonte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: "Das war kein Wunsch der Grünen." Letztendlich sei es aber wichtig, dass die Probleme gelöst worden seien.
Auch die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang zog in den tagesthemen insgesamt eine positive Bilanz der Ausschusssitzung. Die Ampel trage "stellvertretend für die Gesellschaft Konflikte aus". Doch "am Ende sind wir aber eine Koalition", die "letztendlich anpackt, die ins Handeln kommt und auch Strukturreformen angeht".
"Wahren Paradigmenwechsel" ermöglicht
Wie Lang blickte auch der Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, im tagesthemen-Interview auf "insgesamt zweieinhalb gute Tage" zurück. Und es seien "zweieinhalb Tage, die das Land die nächsten Jahrzehnte verändern werden" und die dafür sorgen könnten, dass Deutschland "ein starkes Land bleiben" werde.
In den Augen von FDP-Fraktionschef Christian Dürr wird das "umfassende Modernisierungs- und Beschleunigungspaket" wegweisend sein und einen "wahren Paradigmenwechsel" ermöglichen. Auch Parteichef Christian Lindner sprach von "echten Durchbrüchen" und bescheinigte der Bundesregierung "Handlungsfähigkeit und den Gestaltungswillen".
CDU zeigt sich "in Teilen fassungslos"
Ganz anders klingt das vonseiten der Oppositionsparteien. Schon am Dienstagabend sprach CDU-Chef Friedrich Merz von einer "echten Regierungskrise" und Parteivize Andreas Jung zeigte sich im ARD-Morgenmagazin "in Teilen fassungslos" über die aus seiner Sicht fehlenden Antworten auf politische Streitpunkte. Es gebe keine Beschlüsse zum Bundeshaushalt oder zur Finanzierung der Kindergrundsicherung, kritisierte Jung. Auch er warf der Ampel vor, die "Antwort auf das Problem Klimaschutz" mit der veränderten Handhabung der Sektorenziele aufzuweichen.
Linkspartei wirft Scholz "Führungsschwäche" vor
Für den Fraktionschef der Linkspartei, Dietmar Bartsch, stehen am Ende des Koalitionsausschusses teils nur "nebulöse Ankündigungen", was für die Ampelparteien eine "blamable" Bilanz sei und die "fortgesetzte Führungsschwäche" von Bundeskanzler Olaf Scholz offenbare.
Als "dürftig" bezeichneten die Fraktionschefs der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Ergebnisse der Koalitionsberatungen. Die AfD-Spitze kritisierte vor allem, dass das geplante Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen noch nicht vom Tisch sei. Die Bundesregierung will durchsetzen, dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Für den Einbau klimafreundlicherer Heizungen soll es einen sozialen Ausgleich geben.