Lars Klingbeil, Friedrich Merz und Markus Söder
Überblick

Sondierungsgespräche Migration, Bürgergeld und XY ungelöst

Stand: 07.03.2025 08:36 Uhr

Schnell haben die Union und SPD bei ihren Sondierungen erste Weichen gestellt. Doch einige Wunden des Wahlkampfs sind noch nicht verheilt und bei einigen Themen liegen schwarz und rot noch weit auseinander.

Union und SPD haben sich auf ein riesiges Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur geeinigt - sie brauchen dafür aber noch die Zustimmung der Grünen oder der FDP. Doch es geht nicht nur um Geld. In den Sondierungen von CDU, CSU und SPD stehen jetzt Gespräche über Themen an, bei denen es im Wahlkampf harte Konfrontationen gab.

In den kommenden Tagen könnte es dazu Entscheidungen geben - worauf dann noch Koalitionsverhandlungen folgen würden. CDU-Chef Friedrich Merz nennt als zentrale Punkte den Bundeshaushalt, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, das Bürgergeld, die Verbesserung der inneren Sicherheit und eine Begrenzung der irregulären Migration.

Migrationspolitik

Bei der Migrationspolitik gibt es viele Konfliktfelder - vom Doppelpass für alle, den die Union am liebsten wieder abschaffen würde, bis zum Umfang des Familiennachzugs für Angehörige von Flüchtlingen. Der schwierigste Punkt dürfte allerdings die Frage sein, ob an der Grenze zurückgewiesen wird. 

Möglich sind Zurückweisungen grundsätzlich nur da, wo es stationäre Grenzkontrollen gibt. Die hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zwar inzwischen zeitlich begrenzt für alle deutschen Landgrenzen angeordnet. Wer einen Asylantrag stellen will, darf aber in der Regel einreisen.

Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesinnenministerium rund 80.000 unerlaubte Einreisen festgestellt, wobei es in etwa 47.000 Fällen zu einer Zurückweisung kam - etwa, wenn jemand gefälschte Dokumente vorlegte oder weil nach einer Abschiebung eine Einreisesperre ausgesprochen worden war.

Doch die Union will mehr. Merz hatte im Wahlkampf gesagt, er wolle am ersten Tag seiner Amtszeit als Bundeskanzler das Innenministerium mittels seiner Richtlinienkompetenz anweisen, "ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen".

Sollte das Innenministerium nach einer Koalitionsbildung an einen Politiker oder eine Politikerin aus den Reihen von CDU oder CSU fallen, müsste er diese Karte wohl gar nicht ziehen. Denn dafür bedarf es nur einer Anordnung des Ministeriums.

Ein Gesetz müsste dafür nicht geändert werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass einzelne Zurückgewiesene vor einem Verwaltungsgericht klagen würden. Die SPD hat europarechtliche Bedenken gegen umfassende Zurückweisungen. 

Haushalt

Eine der zentralen Aufgaben der neuen Koalition wird die Verabschiedung eines Bundeshaushalts für das laufende Jahr sein. Die Ampelkoalition war vor allem an einem Haushaltsstreit gescheitert. Derzeit gilt eine vorläufige Etatführung: Der Staat kommt weiterhin gesetzlichen Verpflichtungen nach, das betrifft etwa Ausgaben für die Rente oder das Bürgergeld. Neue Projekte können aber nur begrenzt angestoßen werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Loch im Ampel-Entwurf für den Haushalt auf 26 Milliarden Euro beziffert. Das hat mit der schlechten konjunkturellen Entwicklung und geringeren Steuereinnahmen zu tun. Auch in der weiteren Finanzplanung in den Jahren darauf klafften große Löcher. Das lag vor allem an der Frage, wie mehr Geld für die Verteidigung bereitgestellt werden kann. Dazu kommt ab 2028 die milliardenschwere Tilgung von Corona-Schulden sowie ab spätestens 2031 die Tilgung der Schulden aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr.

Falls es mit Grünen oder FDP eine Einigung darauf gibt, für Verteidigungsausgaben die Schuldenbremse zu lockern, könnte dies Union und SPD aber viel Luft verschaffen - wie auch das Sondervermögen für Infrastruktur. Denn Streitigkeiten in den Verhandlungen können mit Geld einfach geschlichtet werden, nach dem Motto: Du bekommst dein Projekt und ich dafür meins.

Umstritten ist noch, ob kurzfristig drei Milliarden Euro für Waffenhilfen für die Ukraine mobilisiert werden. Die Union hat in ihrem Wahlprogramm zudem angekündigt, alle Ausgaben und besonders Subventionen zu hinterfragen.

Bürgergeld

Bei den Haushaltsverhandlungen dürfte es auch um Mehrausgaben im Sozialbereich gehen. Zentraler Punkt: Die Union will das maßgeblich von der SPD eingeführte Bürgergeld abschaffen und durch eine "neue Grundsicherung" ersetzen. Das soll nach Unions-Plänen auch für milliardenschwere Einsparungen sorgen. Das Bürgergeld senke die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, argumentieren CDU und CSU.

Wettbewerbsfähigkeit

Nach zwei Rezessionsjahren wird auch für dieses Jahr nur ein Mini-Wachstum erwartet. Das geplante 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastruktur über zehn Jahre soll einen Beitrag leisten, um die Konjunktur anzukurbeln. Das dürfte aber nicht ausreichen. Wirtschaftsverbände fordern Entlastungen mit Blick auf im internationalen Vergleich hohe Energiekosten. Dazu geht es um weniger Bürokratie und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Steuern

Große Differenzen gibt es in der Steuerpolitik. Die Union setzt sich für breite Steuerentlastungen auch für Unternehmen ein. Die SPD will einen "Made in Germany"-Bonus, um Investitionen anzukurbeln. Steuerlich will sie vor allem Entlastungen für Gering- und Normalverdiener. Im Gegenzug will die SPD Superreiche stärker belasten - das lehnt die Union ab. 

Innere Sicherheit

Mehrere Gewalttaten, Anschläge und Amoktaten der vergangenen Monate haben dazu geführt, dass sich eine Mehrheit der Menschen weniger sicher fühlt. Menschen mit Migrationshintergrund berichten zudem von mehr rassistischen Anfeindungen und Übergriffen nach tödlichen Gewalttaten, die von Zuwanderern verübt wurden.

Tendenziell steht die SPD zusätzlichen Befugnissen für die Sicherheitsbehörden aufgeschlossener gegenüber als ihre alten Koalitionspartner Grüne und FDP. Das gilt auch für die Verpflichtung von Kommunikationsanbietern, IP-Adressen für einen bestimmten Zeitraum zu speichern - etwa, um Mitwisser von Terroranschlägen zu identifizieren oder Menschen auf die Spur zu kommen, die Bilder von sexueller Gewalt an Minderjährigen im Internet anbieten. Doch ob sich die potenziellen Koalitionäre hier auch beim Kleingedruckten einig werden, ist schwer vorherzusagen - zumal bei einigen Vorhaben auch die Länder zustimmen müssten, wo teilweise die Grünen mitregieren.

Was sind die nächsten Schritte?

Sollten die Sondierungen von Union und SPD erfolgreich verlaufen, können die Verhandlungen über die Bildung einer Regierungskoalition starten.

Am 13. März soll der scheidende Bundestag noch einmal zusammenkommen. Auf der Tagesordnung steht dann die Beratung des Finanzpakets in der sogenannten ersten Lesung. Das heißt: Nach einer rund 120-minütigen Debatte zu dem Thema werden die Gesetzesänderungen in die zuständigen Ausschüsse verwiesen.

Am 18. März finden nach nur wenigen Tagen Bedenkzeit für die Abgeordneten im Parlament die zweite und dritte Lesung statt. Nach der dritten Lesung ist die Verabschiedung der Grundgesetzänderungen geplant. Union und SPD sind auf die Zustimmung einer anderen Fraktion angewiesen, am wahrscheinlichsten gilt dies bei den Grünen

Am 21. März - also drei Tage nach der geplanten Verabschiedung im Bundestag - ist ohnehin eine Sitzung des Bundesrats anberaumt. Wenn der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt hat, wird die Länderkammer das abschließende Votum abgeben können. Damit die Grundgesetzänderungen in Kraft treten können, ist auch dort eine Zweidrittelmehrheit nötig.

Am 25. März tritt gut einen Monat nach der Bundestagswahl der Bundestag mit seiner neuen Sitzverteilung erstmals zusammen.